Mit einer großen Freiluftmesse im Fußballstadion von Marseille ist am Samstagnachmittag die Reise von Papst Franziskus nach Südfrankreich zu Ende gegangen. Rund 50.000 Menschen waren nach Angaben der örtlichen Behörden versammelt, Tausende säumten die Straßen rings um die imposante Sportarena.
Auch der französische Präsident Emmanuel Macron ließ es sich nicht nehmen, dabei zu sein - trotz Kritik von Linken und Laizisten. Die Kritiker, allen voran der linke Politiker Jean-Luc Melenchon, sahen dadurch das Prinzip des französischen Laizismus gefährdet.
Auf den Kern im Glauben besinnen
Der Papst ging in seiner Predigt nicht darauf ein, er widmete sich grundsätzlicheren Problemen. Wie schon beim Treffen mit Seelsorgern am Vortag beschwor er vor Hunderten von Priestern und Bischöfen die in einer schweren Krise dümpelnde katholische Kirche des Landes, sich auf ihren Kern im Glauben zu besinnen, ohne in Selbstbezogenheit zu verfallen.
Beinahe poetisch formulierte er: "Wir wollen Christen sein, die Gott im Gebet und ihren Brüdern und Schwestern in Liebe begegnen; Christen, die Freudensprünge machen, die beben, die das Feuer des Geistes aufnehmen und sich dann von den Fragen von heute verzehren lassen, von den Herausforderungen des Mittelmeerraums, vom Schrei der Armen, von den 'heiligen Utopien' der Geschwisterlichkeit und des Friedens."
Damit streifte er in seiner Predigt ein letztes Mal das andere wichtige Thema seines knapp zweitägigen Besuchs in der Hafenmetropole: die Migration. Durch die Zuspitzung der Lage auf der Insel Lampedusa und an der italienisch französischen Grenze war die Aufmerksamkeit für seine Worte besonders groß. Franziskus nutzte das für aufrüttelnde Botschaften, die sich über Marseille hinaus an ganz Frankreich und an Europa richteten.
Migration war oft Thema der Papstreden
In zwei seiner vier Reden war die Migration das zentrale Thema. Nie zuvor hat sich ein Papst so grundsätzlich über Migration und Integration geäußert. Dass Franziskus sich dafür Marseille als Ort ausgewählt hatte, war nicht ohne Risiko, denn die Hafenmetropole gilt mit ihrer notorischen Gesetzlosigkeit, Kriminalität und ihren sozialen Spannungen als ein heißes Pflaster. Der häufig gehörte Satz "Marseille ist nicht Frankreich!" bringt das - mit einem resignierten Unterton - auf den Punkt.
Doch der Papst drehte den Spieß um und sprach beim "Mittelmeer-Treffen" am Samstagvormittag von einer besonderen Berufung dieser Stadt: "Eine Vielzahl von Völkern hat Marseille zu einem Mosaik der Hoffnung gemacht, mit ihrer großen multiethnischen und multikulturellen Tradition, der Einwanderung." Die Teilnehmer an dem Treffen kamen aus allen Anrainerstaaten des größten Binnenmeers der Welt, unter ihnen war auch Macron. Sie feierten die Rede mit stehendem Beifall.
Der Papst hütete sich davor, ein verklärtes Bild von der sozialen Wirklichkeit zu zeichnen. "Natürlich sind die Schwierigkeiten bei der Aufnahme, dem Schutz, der Förderung und der Integration (...) nicht zu übersehen, aber das Hauptkriterium kann nicht der Erhalt des eigenen Wohlstandes sein, sondern vielmehr die Wahrung der Menschenwürde."
Reguläre Einreisen statt Abschottung
Wie schon am Vortrag beim Gedenken an die ertrunkenen Migranten vor der Basilika Notre-Dame de la Garde warnte der Papst bei dem Treffen vor einem drohenden "Schiffbruch der Zivilisation". Die Zukunft liege nicht in der Abschottung, "sondern - den jeweiligen Möglichkeiten entsprechend - in der Sicherstellung einer Vielzahl von legalen und regulären Einreisemöglichkeiten, die dank einer ausgewogenen Aufnahme in Europa in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern möglich sind".
Und weiter: "Künftige Generationen werden uns danken, wenn es uns gelungen ist, die Bedingungen für eine unvermeidliche Integration zu schaffen."
Damit bezog er Position gegen die extremen Rechten, die nicht nur in Frankreich eine drohende Verdrängung der eingesessenen Bevölkerung durch Migranten heraufbeschwören.
Migration sei Phänomen der Zeit
Auch das Grenzregiment mehrerer EU-Länder (darunter Italien) nahm er aufs Korn, als er sagte: "Verschiedene Mittelmeerhäfen haben geschlossen. Und zwei Worte waren immer wieder zu hören und schürten die Ängste der Menschen: 'Invasion' und 'Notstand'. Aber diejenigen, die ihr Leben auf dem Meer riskieren, sind keine Invasoren, sie suchen Aufnahme."
Das Migrationsphänomen sei "nicht so sehr eine momentane Notlage, die immer gerne für panikmachende Propaganda herhalten muss, sondern eine Gegebenheit unserer Zeit, ein Prozess, der drei Kontinente rund um das Mittelmeer betrifft und der mit kluger Weitsicht gestaltet werden muss".
Bei seiner kurzen Reise nach Marseille hat der Papst sich und seine Kirche in der schärfer werdenden Migrationsdebatte in Europa nicht nur moralisch, sondern auch politisch klar positioniert.