Libanesischer Erzbischof sieht Christen in Bedrängnis

"Unser Land versinkt im Chaos"

Früher gab es im Libanon ein relativ friedliches Miteinander von Sunniten, Schiiten und Christen. Nicht zuletzt durch den Krieg in Syrien hat sich das geändert. Der maronitische Erzbischof Hanna Rahmé spricht von einem "Exodus".

Symbolbild Straßenszene in Beirut, Libanon / © fornStudio (shutterstock)
Symbolbild Straßenszene in Beirut, Libanon / © fornStudio ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie sind im Rahmen des "Monats der Weltmission" auf Einladung von missio in Deutschland und berichten aus Ihrer Heimat. Das Leben im Libanon ist turbulent. Nach dem Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 wurde eine religiös paritätische Regierungsform beschlossen. Seit 2011 leidet das Nachbarland Syrien unter dem Bürgerkrieg. Der Libanon versorgt Millionen Flüchtlinge. 2020 gab es dann die Explosion im Hafen von Beirut. Wie sieht bei Ihnen das Gemeindeleben im Moment aus?

Erzbischof Hanna Rahmé / © Andrea Krogmnn (KNA)
Erzbischof Hanna Rahmé / © Andrea Krogmnn ( KNA )

Hanna Rahmé OLM (Maronitischer Erzbischof von Baalbek-Deir El-Ahmar): Unser Land hat in der Tat die letzten Jahre sehr schwierige Zeiten durchgemacht. Sie haben die Flüchtlinge und die Explosion schon erwähnt, das größte Problem ist aber die sehr schwierige wirtschaftliche Lage, in der wir uns schon seit 2019 befinden. Der Staat ist quasi bankrott. Unsere Währung wurde stark abgewertet. Das Geld der Leute hat also schlicht und einfach keine Kaufkraft mehr.

Die Menschen bei uns im Land hungern. Die Armutsrate ist in den letzten Jahren rapide angestiegen. Dabei fehlt es nicht nur an Lebensmitteln, sondern auch an Medikamenten und Versorgungsgütern für die Krankenhäuser. Auch Bildung können sich die Libanesen kaum noch leisten. Die Kirche versucht den Menschen da zu helfen, wo es geht. Für viele ist sie der einzige Rückhalt in dieser schwierigen Situation.

Vor allem aus dem Ausland bekommen wir da gut Unterstützung. Sowohl von den Institutionen als auch von Privatleuten aus dem Ausland, die Verwandte bei uns haben. Schwieriger wird es noch, weil wir im Prinzip alles in bar bezahlen müssen, die Medizin, Schulbauten und Krankenhäuser. Wir müssen dafür kämpfen, die Schulen überhaupt offen zu halten. Das geht neben den Schulgebühren nur durch das Engagement der Kirche.

Erzbischof Hanna Rahmé

"80 Prozent der Menschen in meinem Bistum leben unterhalb der Armutsgrenze."

Man muss dazu sagen, dass die Infrastruktur im Libanon, was Krankenhäuser und Schulen angeht, von den Kirchen getragen wird, nicht vom Staat. Die besten Krankenhäuser sind kirchlich, die Schulen ebenso. Im Moment kommen wir allerdings nicht mehr mit dem Zahlen der Rechnungen hinterher. Die Patienten in den Krankenhäusern haben oft kein Geld mehr, um ihre Rechnungen zu zahlen, da muss die Kirche halt einspringen.

Wir stehen deshalb vor der schweren Entscheidung, Schulen und Krankenhäuser schließen zu müssen, weil einfach die Gelder nicht da sind. In der Diskussion steht zum Beispiel, das Krankenhaus in Ahmar zu schließen, was zu meinem Bistum gehört. Es gibt dort noch nicht mal ein konstant funktionierendes Stromnetz. Im Durchschnitt fließt nur zwei bis drei Stunden am Tag der Strom. Der Rest muss durch Generatoren erzeugt werden und das wird teuer.

Das Krankenhaus hat da natürlich Priorität, deshalb ist es eines meiner Hauptanliegen, dass dort Strom fließen kann. Es ist noch nicht mal genug Geld da, um Solaranlagen zu installieren. 80 Prozent der Menschen in meinem Bistum leben unterhalb der Armutsgrenze.

Dieser ganze Druck führt natürlich auch dazu, dass viele Menschen auswandern. Viele Libanesen in der Diaspora unterstützen ihre Heimat. Da gibt es eigene Konten für jede Schule, jedes Krankenhaus, jede Einrichtung. Auch die Kirchen im Ausland zahlen da ein und helfen, die Institutionen am Leben zu halten.

Das Geld hilft auch dabei, Grundstücke für unsere Landwirte zu kaufen. Viele Libanesen haben in der Landwirtschaft gearbeitet. Deren Höfe liegen aber nun seit Jahren brach, weil es sich wirtschaftlich nicht gelohnt hat. Jetzt lohnt sich das, weil die Landerzeugnisse mehr wert sind, als das Geld. Aber es fehlt an der Anfangsfinanzierung. Da springt die Kirche auch mit der Finanzierung ein.

DOMRADIO.DE: Wie sieht das interreligiöse Miteinander bei Ihnen aus? Die Regierungsposten sind seit dem Bürgerkrieg 1990 paritätisch zwischen Christen, Schiiten und Sunniten aufgeteilt. Trotzdem leben Sie in der Praxis unter der Bedrohung der radikalislamischen Hisbollah, die gerade in Ihrer Region sehr aktiv ist. Seit Jahren geht auch die Zahl der Christen im Libanon konstant zurück. Was heißt das alles für das Miteinander?

Figur einer gekrönten Madonna im Schaufenster eines Geschäfts mit Heiligenfiguren im Libanon / © Francesca Volpi (KNA)
Figur einer gekrönten Madonna im Schaufenster eines Geschäfts mit Heiligenfiguren im Libanon / © Francesca Volpi ( KNA )

Rahmé: Das kommt ganz drauf an, ob Sie von der Bevölkerung oder der Politik sprechen. Das Volk lebt sehr gut miteinander zusammen. Es gibt einen gegenseitigen Respekt. Man feiert zusammen die Feste und lebt tagtäglich miteinander. Im eigentlichen Zusammenleben gibt es also kaum Probleme.

Das Problem liegt eher in der Politik. Die bewaffnete Hisbollah-Miliz stellt natürlich eine Gefahr für das ganze Land dar. Sie untergräbt die Macht der eigentlichen Staatsgewalt. Auch deshalb gibt es im Moment immer weniger staatliche Institutionen, die noch funktionieren.

Das Problem ist, dass wir Christen den Staat und seine Sicherheitskräfte brauchen, um vor bewaffneten Gruppen geschützt zu sein. An der Situation können wir aber nichts ändern, sondern nur die Politik. Die muss daran arbeiten, die Hisbollah zu entwaffnen.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es denn konkret im Alltag aus? Brauchen Sie Polizeischutz für die Gottesdienste? Müssen Sie sich fürchten, wenn Sie als Christen auf die Straße gehen?

Rahmé: Auch da gibt es Unterschiede. Einerseits haben wir unser christliches Kernland, auch bei mir im Bistum. Die Region ist zum größten Teil von Christen bevölkert. Da sind Ausschreitungen relativ selten, und wir sind in der Regel nicht auf Schutzmaßnahmen angewiesen. Da brauchen wir keine Armee, um unseren Glauben frei auszuüben.

Erzbischof Hanna Rahmé

"Man versucht uns als Christen loszuwerden."

Anders sieht es auf dem Land aus. Es gibt viele Dörfer, wo Christen und Muslime gemischt leben. Dort ist die Armee immer präsent, vor allem um Gewalt vorzubeugen. In diesen Gebieten werden wir nicht gut behandelt. Man versucht uns als Christen loszuwerden.

Vielerorts versuchen die Muslime auch unsere Ländereien aufzukaufen, was unsere Situation nochmals schwächer macht. Die Leute haben Angst, sie gehen entweder in rein christliche Gebiete oder verlassen das Land gleich komplett. Das Gute ist, dass wir der Armee vertrauen können. Die besteht zwar aus Christen und Muslimen, aber sie beschützt ausnahmslos alle Bürger.

DOMRADIO.DE: Ihr Bistum, Ihre Eparchie liegt direkt an der syrischen Grenze. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges sind Millionen von Flüchtlingen zu Ihnen ins Land gekommen. Wie kommen Sie damit klar? Wie können Sie auch helfen?

Flüchtlinge im Libanon / © Marwan Naamani (dpa)
Flüchtlinge im Libanon / © Marwan Naamani ( dpa )

Rahmé: Die Anzahl der syrischen Flüchtlinge ist in der Tat ein großes Problem. In den letzten Jahren sind über zwei Millionen Syrer zu uns gekommen. Und der Libanon hat ja nur vier Millionen Einwohner. Der Prozentsatz ist also sehr hoch, vor allem bei uns an der syrischen Grenze. Wir haben diese Menschen natürlich aufgenommen, das sind unsere Schwestern und Brüder. Wir haben in meinem Bistum extra eine eigene Schule für syrische Flüchtlinge aufgebaut. In den Krankenhäusern werden sie natürlich auch versorgt. Wir haben die Flüchtlinge mit offenen Armen aufgenommen.

Das Problem heute ist, dass unsere Infrastruktur einfach so schlecht aufgestellt ist. Wir haben zum Beispiel nicht mal genug Strom für die Libanesen. Durch die Flüchtlinge wird die Infrastruktur jetzt noch mal umso mehr beansprucht. Das betrifft Wasser, Stromversorgung, aber auch Umweltverschmutzung. Wir haben in unserer Region einen Abwasser-See, der sich gebildet hat. Das ist eine regelrechte Naturkatastrophe.

Aber das Hauptproblem ist ein anderes. Viele syrische Flüchtlinge sind seit Jahren schon bei uns, es gibt aber keinerlei Hilfestellung, sie in ihre Heimat zurück zu bringen. Es wird ihnen geholfen, auch von dem Vereinten Nationen, aber nur, damit sie überleben können. Es gibt keine Hilfe und auch keinen Plan, sie wieder zurückzuführen. Die Häuser in der Heimat sind zerstört, da bräuchten sie einfach finanzielle Hilfe.

Erzbischof Hanna Rahmé

"Wir Christen werden immer mehr zur Minderheit."

Die Furcht der Christen ist aber, wenn die Syrer bleiben, dass sie mit ihrer Anzahl Überhand gewinnen. Die syrischen Flüchtlinge sind zu 95 Prozent muslimisch. Das zerstört das ganze Gleichgewicht im Land. Mit zwei Millionen mehr Muslimen im Land, die eh schon die Mehrheit stellen, werden wir Christen immer mehr zur Minderheit.

Im Moment sind wir 35 Prozent, aber das geht konstant zurück. Wenn wir die syrischen Flüchtlinge alle einbürgern würden, landen wir unter zehn Prozent. Damit hätten wir auch politisch keinen Einfluss mehr, was den Exodus der Christen aus dem Nahen Osten noch verschärfen würde.

In letzter Zeit fangen die Syrer auch mehr und mehr an sich zu bewaffnen. Es gibt gewaltsame Auseinandersetzungen untereinander. Das heißt, inzwischen haben wir nicht nur die bewaffnete Hisbollah, sondern auch einige syrische Gruppen. Unser Land versinkt im Chaos.

DOMRADIO.DE: Sie sind maronitischer Bischof, das ist eine katholisch-unierte Konfession im Nahen Osten. Können Sie etwas über Ihre Religionsgemeinschaft erzählen? Wie stehen Sie zum Beispiel zum Papst in Rom?

Papst Franziskus schüttelt dem maronitischen Patriarchen Béchara Pierre Kardinal Raï während einer Zeremonie in der maronitischen Kathedrale Unserer Lieben Frau von Gnaden in Nikosia die Hand / © Alessandra Tarantino (dpa)
Papst Franziskus schüttelt dem maronitischen Patriarchen Béchara Pierre Kardinal Raï während einer Zeremonie in der maronitischen Kathedrale Unserer Lieben Frau von Gnaden in Nikosia die Hand / © Alessandra Tarantino ( dpa )

Rahmé: Wir Maroniten waren die erste christliche Kirche, die mit Rom uniert wurde. Noch vor der Spaltung von katholischer und orthodoxer Kirche im Jahr 1054. Wir sind deshalb schon immer dem Papst gefolgt. Bei uns gibt es ein altes Sprichwort: Wir Maroniten folgen dem Papst überall hin, selbst in die Hölle.

Erzbischof Hanna Rahmé

"Wir Maroniten folgen dem Papst überall hin, selbst in die Hölle."

Wir fühlen uns Rom also sehr nahe. Nach unserer Auffassung stehen wir von allen orientalischen Kirchen dem Papst am nächsten. Die anderen Kirchen haben sich erst nach 1054 wieder geteilt: griechisch-orthodox und griechisch-katholisch, syrisch-orthodox und syrisch-katholisch. Wir haben uns nie gespalten und standen immer hinter dem Papst.

DOMRADIO.DE: Was erhoffen Sie sich von der Weltsyonde in Rom?

Rahmé: Ich erhoffe mir zwei Sachen. Unsere Heimat ist das Heilige Land, dort ist das Christentum entstanden. Wir brauchen Hilfe, dass wir auch in Zukunft in dieser Region als Christen weiterleben können. Andererseits sind wir aber auch im Libanon immer mehr ökumenisch aufgestellt. Die verschiedenen christlichen Konfessionen arbeiten immer enger zusammen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Dafür erhoffen wir uns auch mehr Unterstützung.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Weltmissionssonntag und Monat der Weltmission 2023

Der Weltmissionssonntag ist die größte Solidaritätsaktion der Katholikinnen und Katholiken weltweit. Mehr als 100 päpstliche Missionswerke sammeln an diesem Tag auf allen Kontinenten für die soziale und pastorale Arbeit der Kirche in den 1.100 ärmsten Bistümern der Welt. Die Spenden kommen unter anderem den dort arbeitenden Seelsorgerinnen und Seelsorgern zugute.

missio-Plakat zum Sonntag der Weltmission 2023 / © missio
missio-Plakat zum Sonntag der Weltmission 2023 / © missio
Quelle:
DR