DOMRADIO.DE: Warum ist es Ihnen wichtig, dass die Kirche die Deutsche Einheit feiert?
Stefan Heße (Erzbischof von Hamburg): Die Deutsche Einheit ist eines der größten Wunder in der Geschichte unseres Landes. Jedenfalls habe ich noch kein größeres erlebt. Man hatte die Hoffnung doch schon fast aufgegeben und dann kam es doch noch zur Wiedervereinigung.
Ich finde das überwältigend und glaube, dass es nicht nur auf die Menschen zurückzuführen ist, die vor allem im Osten durch ihre friedliche Demonstration Großartiges geleistet haben.
Aber ich kann mir das Ganze nur mit einer kräftigen Wegbegleitung von oben erklären. Deswegen finde ich es gut, dass wir den Horizont aufreißen, an dem Festtag auch an Gott denken und ihm für diese große Stunde in unserem Land danken.
DOMRADIO.DE: Die evangelische Kirche war zahlenmäßig die größte christliche Gruppe in der damaligen DDR und in den 1980er-Jahren auch ein geschützter Ort für alternative Kulturen oder politische Oppositionsgruppen. Welche Rolle hat die Kirche beim Thema Wiedervereinigung gespielt?
Heße: In unserem Erzbistum Hamburg bekomme ich das ganz gut mit, weil die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein im Westen, Mecklenburg aber im Osten Deutschlands liegt, das früher zur DDR zählte. Menschen erzählen mir immer wieder, wie es damals war, wie sie aufpassen mussten, was sie sagten und die Konsequenzen abschätzen mussten.
Ich höre Geschichten, wie Jugendliche die Jugendweihe verneinten und sich stattdessen Firmen ließen, aber damit auch in Kauf nehmen mussten, dass sie kein Abitur machen oder nicht studieren konnten. Das war je nach Phase der Geschichte immer etwas unterschiedlich, aber doch ziemlich radikal. Es bedeutete schon etwas, wenn man dort als Christ lebte.
Gerade bei den ersten Schritten nach der Einheit gab es die Runden Tische, an denen gesellschaftliche Gruppen beteiligt waren, um das Leben zu organisieren und Fragen zu klären. Ich habe oft gehört, wie viele Katholiken und Christen mit am Tisch gesessen haben und das Ganze namhaft geleitet und gestaltet haben. Sie haben ihre Verantwortung wahrgenommen und waren Gott sei Dank kräftig mit dabei.
DOMRADIO.DE: Damals ging es auch darum, eine Verbindung zwischen den Kirchen in West und Ost aufzubauen. Wie erleben Sie das heute? Wie stark ist diese Verbindung?
Heße: Ich kann es auch wieder nur auf unser Erzbistum Hamburg herunterbrechen. Das ist ja das jüngste in Deutschland. Es ist erst 1995, also ein paar Jahre nach der Einheit, gegründet worden. Durch die deutsche Einheit kam die Frage auf, wie sich das kirchlich-strukturell niederschlagen wird.
Das Erzbistum Hamburg hat eine lange Geschichte, die ins neunte Jahrhundert auf Ansgar zurückgeht, ist aber in der Reformation untergegangen. Es ist also das jüngste und gleichzeitig auch flächenmäßig das größte Bistum. Das bringt gewisse Herausforderungen mit sich.
Das Erzbistum Köln entgegen hat eine lange Geschichte hinter sich. Die Dinge sind dort ganz anders gesetzt und verankert, als bei unserem jungen Bistum. Wir ruckeln uns hier noch zusammen und wir sind auf dem Weg zu einer größeren Einheit untereinander.
Dabei muss man bedenken, dass es heute auch noch kirchlicherseits große Unterschiede und regionale Spezifika zwischen den drei Regionen Mecklenburg im Osten und Hamburg und Schleswig Holstein im Norden und Westen gibt.
DOMRADIO.DE: Das heißt, auch rund 34 Jahre nach dem Mauerfall bzw. 33 Jahre nach dem Beginn der deutschen Wiedervereinigung bleibt das eine Aufgabe. Thema im Gottesdienst ist das Wasser, ein schönes Bild, denn die Elbe in Sichtweite des Michels, wo der Gottesdienst gefeiert wird, verbindet ja Ost und West. Werden Sie das in Ihrer Predigt aufgreifen oder was machen Sie zum Thema?
Heße: Ja, das zieht sich durch. Im letzten Buch der Bibel, in der geheimen Offenbarung, ist von einem Strom die Rede, der alles erfasst. Ich will deutlich machen, dass dieser Strom zwei Gesichter hat. Einerseits ist das ein Lebensstrom, andererseits erleben wir aber auch Ströme, die uns gefährlich werden, wie zum Beispiel die Überschwemmungen in Griechenland und Libyen.
Außerdem möchte ich meinen Dank für alle ausdrücken, die unsere Gesellschaft mitgestalten. Ich bin froh, dass darunter viele Christinnen und Christen sind, die aus ihrem Glauben heraus versuchen, gesellschaftliches Leben zu gestalten.
Wir leben in einer Zeit, wo das Miteinander ganz schön auf die Probe gestellt wird. Migration ist im Moment zum Beispiel ein großes Thema, das für Emotionen und Probleme sorgt. Da gilt es, anzupacken und zu klären. Ich hoffe, dass Christen weiter ihren guten Geist einbringen, damit wir eine offene, faire und solidarische Gesellschaft sind.
Das Interview führte Verena Tröster.