Bei dieser Parlamentswahl sagte Franziskanerpater Lech Dorobczynski deutlich: "Nein". Am Eingang seiner Kirche in Warschaus Stadtzentrum befestigte der Geistliche ein Plakat mit seiner klaren Botschaft: "Ich bin mit politischer Agitation auf dem Gelände unserer Kirche NICHT EINVERSTANDEN." Jegliches Werbematerial für Parteikandidaten werde entfernt. Zugleich ermunterte Dorobczynski, Mitte 40, die Mitglieder und Gäste seiner Pfarrei, zur Wahl zu gehen – "aus Liebe zum Heimatland".
Distanz zur Politik
Der Pater pocht auch deshalb auf die Distanz der katholischen Kirche zur Politik, weil einige Parteien versuchten, sie für ihre eigenenpolitischen Ziele auszunutzen. "Es ist, als wollten sie aus der Kirche ein Regierungsministerium für religiöse Angelegenheiten machen, das ihrer Parteilinie folgt", mokierte er sich. Eine Parteikirche wäre keine Kirche Jesu.
Dorobczynski zufolge hat sich bereits 1995 herausgestellt, dass eine kirchliche Wahlempfehlung kontraproduktiv sei. Damals hätten Journalisten Polens Kardinalprimas Jozef Glemp so lange befragt, bis er schließlich verraten habe, er werde bei der Präsidentschaftswahl für Amtsinhaber Lech Walesa stimmen. Walesa wurde dann jedoch abgewählt.
Tabuthema
Die Zeiten, in denen sich polnische Bischöfe offen für einen Kandidaten oder eine Partei aussprachen, sind lange vorbei. Für den heutigen Vorsitzenden der nationalen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki, war die Parlamentswahl vom Sonntag quasi ein Tabuthema.
Der 74-Jährige sagte weder in den Wochen vor dem Urnengang noch in den Tagen danach etwas zur Wahl. Auch der Pressesprecher der Bischofskonferenz äußerte sich trotz Anfrage bisher nicht. Offensichtlich will die katholische Kirche so ein Zeichen für parteipolitische Neutralität setzen. Bischöfen wurde in den vergangenen Jahren eine Nähe zur bis dato regierenden PiS vorgeworfen.
Mehr Regung von der lutherischen Kirche
Der leitende Bischof der luterischen Kirche Polens, Jerzy Samiec, beißt sich hingegen nicht auf die Zunge. Er lobte die Rekord-Wahlbeteiligung von 74 Prozent: "Ich empfinde Dankbarkeit und Freude für das bürgerschaftliche Engagement der Polen, vor allem der jungen Leute, die geduldig in der Kälte in langen Schlangen anstanden." In Warschau wählten sogar 85 Prozent der Stimmberechtigten.
Doch auch der lutherische Bischof kommentierte den Wahlsieg der liberalen und linken Oppositionsparteien bisher nicht. Ausländische Regierungen haben Donald Tusk ebenfalls noch nicht gratuliert, obwohl ziemlich sicher ist, dass der frühere EU-Ratspräsident neuer polnischer Ministerpräsident wird. Die nationalkonservative PiS holte nur noch 35 Prozent und verlor ihre Mehrheit im Parlament.
Abtreibungsbefürworter
Tusk (66) ist ein politisches Urgestein des Landes. Als er 2007 zum ersten Mal eine Parlamentswahl in Polen gewonnen hatte, reagierte der Warschauer Erzbischof Kazimierz Nycz umgehend positiv. Er begrüßte das Wahlergebnis als "kreative Fortsetzung des Polen, das 1989 entstanden ist und dessen Schöpfer in großem Ausmaß Johannes Paul II. war".
Diesmal dürften viele polnische Bischöfe allerdings ein mulmiges Gefühl beim Gedanken an Tusk bekommen. Denn er hat im Wahlkampf versprochen, dass Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen legal werden. Das käme einer Revolution gleich. Aktuell sind in Polen Abtreibungen nur erlaubt, wenn die Schwangerschaft die Gesundheit der Mutter gefährdet, Ergebnis einer Vergewaltigung oder von Inzest ist.
Erstmal kein neues Gesetz
Auf Antrag der bisherigen Regierungspartei PiS hatte das Verfassungsgericht im Oktober 2020 einen Passus im Gesetz von 1993 aufgehoben, der Schwangerschaftsabbrüche bei einer schweren Fehlbildung oder Krankheit des Fötus zuließ. Doch es sieht vorerst nicht danach aus, dass Polen bald ein liberales Abtreibungsgesetz bekommt.
Die von den Nationalkonservativen berufenen Verfassungsrichter würden es für verfassungswidrig erklären. Und der bis 2025 amtierende Staatspräsident und Abtreibungsgegner Andrzej Duda kann nach Belieben gegen jedes Gesetz sein Veto einlegen, das die Abgeordneten beschließen.
Koalition gegen Präsidenten
Tusks angekündigter Dreier-Koalition aus seiner Bürgerkoaltion, dem liberal konservativen Dritten Weg und der Linken fehlt im Parlament die erfolderliche Drei-Fünftel-Mehrheit, um ein Nein des Präsidenten aufheben zu können.
Außerdem: Die konservative Partei PSL, Teil des Wahlbündnisses Dritter Weg, lehnt Abtreibungen ab. Also wird es Tusk trotz allemschwer fallen, genügend Abgeordnete für die Umsetzung seines Wahlversprechens zu finden.