DOMRADIO.DE: Neben dem weltberühmten Trevi-Brunnen geht die römische Barock-Kirche "Santi Vincenzo e Anastasio" leicht unter. Dabei ist das eine ganz besondere Kapelle. Darin werden nämlich die "praecordia", die Herzen der Päpste aufbewahrt. Wie kam es dazu?
Ulrich Nersinger (Vatikanjournalist und Buchautor): Dieser Brauch entstand Ende des 16. Jahrhunderts unter Papst Sixtus V. Der Quirinalspalast, der ja ganz in der Nähe ist, war ja auch eine der Residenzen der Päpste.
Man hatte diese kleine Kirche beim Trevi-Brunnen dann zur päpstlichen Pfarrkirche bestimmt. Später entstand der Brauch, das Herz und die Eingeweide eines Papstes dann dort in der Kirche beizusetzen.
Warum das so war, weiß man nicht mit hundertprozentiger Sicherheit. Es gibt verschiedene Theorien. Eine führt uns zum Beispiel zurück in die Zeit der Pharaonen.
Im alten Ägypten war es Brauch, dass man den Verstorbenen, insbesondere den Pharaonen, die Herzen entnommen hat, weil man die Vorstellung hatte, dass nach dem Tod die Herzen gesondert vor ein Totengericht gestellt werden.
Natürlich wurde den Herzen auch eine besondere Verehrung entgegengebracht, und so ein bisschen muss sich dieser Brauch dann im Laufe der Zeit erhalten haben, auch bei den Päpsten.
Warum das erst im 16. Jahrhundert so richtig angekommen ist, weiß man auch nicht genau. Man hat also die Herzen und die Eingeweide der Päpste seither in dieser Kirche am Trevi-Brunnen beigesetzt.
DOMRADIO.DE: Wie genau kann man sich so eine Beisetzung denn vorstellen?
Nersinger: Der Beruf des päpstlichen Leibarztes endete ja nicht mit dem Tod des Papstes. Für gewöhnlich hatte er noch den Auftrag, dem Papst, nachdem man seinen Tod festgestellt hatte, die Eingeweide und besonders das Herz, zu entnehmen.
Die kamen dann in ein besonderes Zinkgefäß, wurden in einem speziellen Zeremoniell versiegelt und dann – vielleicht nicht still und heimlich, aber eben doch nicht allzu öffentlichkeitswirksam – von einem der päpstlichen Kammerherren in Begleitung eines Nobelgardisten in die Kirche gebracht und dort beigesetzt.
DOMRADIO.DE: Waren die Päpste denn damit einverstanden, dass sie dann teilweise auch außerhalb des Vatikans bestattet wurden?
Nersinger: Das war sogar teilweise ihr ausdrücklicher Wunsch gewesen – bis zum Jahre 1903. In diesem Jahr entschied der neue Papst Pius X., der ja auch ein Reform-Papst war, dass dieser Brauch nicht mehr durchgeführt werden sollte.
DOMRADIO.DE: Das heißt, diese Tradition wird nicht mehr fortgeführt.
Nersinger: Ja und nein. Wir haben einen seltsamen Bericht, den ich aber auch nicht verifizieren konnte. Es hieß nämlich einmal, dass nach der Operation von Johannes Paul II. – infolge des gegen ihn gerichteten Attentat – Blut von ihm und auch ein Teil seines Darms aufbewahrt worden sein soll.
Schließlich erzählte man sich dann in Rom, ein Teil dieses Darms sei auch in der Kirche am Trevi-Brunnen beigesetzt worden. Aber das lässt sich nicht beweisen.
Ich habe versucht, das irgendwie zu eruieren, aber das ist mir leider nicht gelungen. Im Grunde kann man also sagen, dass dieser alte Brauch im Jahre 1903 sein Ende gefunden hat.
DOMRADIO.DE: Erhält die Kirche denn viel touristische Aufmerksamkeit?
Nersinger: Eigentlich wäre die Kirche in der Tat ein spannendes Ziel für Touristen. Sie zu besuchen, gilt aber als gar nicht so einfache Angelegenheit.
Papst Johannes Paul II. hatte diese Kirche vorübergehend der bulgarisch-orthodoxen Kirche überlassen, damit sie dort ihre Gottesdienste feiern konnte. Sie ist also in gewisser Hinsicht ökumenisch geworden, deshalb ist sie nicht jederzeit zugänglich.
Wer aber die Chance hat, der Kirche einen Besuch abzustatten, wird die zwei großen Tafeln mit den Namen der Päpste, deren Eingeweide dort beigesetzt worden sind, entdecken, die noch Zeugnis von diesem außergewöhnlichen Brauch der "praecordia" geben.
Das Interview führte Michelle Olion.