DOMRADIO.DE: Die Vorlage für den Gottesdienst, den Frauen am Weltgebetstag im März weltweit feiern, kommt jedes Jahr aus einem anderen Land, dieses Mal zufällig aus den palästinensischen Gebieten. Daran hat sich in Deutschland heftige Kritik entzündet. Dieses Material sei in Teilen antisemitisch. Was genau stand im Kreuzfeuer der Kritik?
Ulrike Göken-Huismann (Vorsitzende des Weltgebetstag der Frauen für Deutschland): Ich würde zunächst mal sagen, dass schon 2017 auf der internationalen Konferenz beschlossen worden ist, dass Palästina das Weltgebetstagsland 2024 ist. Die palästinensischen Christinnen haben die Gottesdienstordnung schon 2021/22 geschrieben.
Wir haben das Material im Sommer veröffentlicht. Das heißt, die vorliegende Gottesdienstordnung aus Palästina kann die aktuellen Ereignisse seit dem 7. Oktober gar nicht berücksichtigen. Das hat uns vor eine Herausforderung gestellt: Diese Gottesdienstordnung ohne eine Aktualisierung, ohne in den aktuellen Kontext des Krieges gestellt zu werden, ohne für beide Seiten zu beten – das geht unseres Erachtens nicht.
Deswegen haben wir gesagt, wir brauchen eine aktualisierte Fassung, die die Ereignisse seit dem 7. Oktober berücksichtigt.
DOMRADIO.DE: Gehen wir einen Schritt zurück. Woher kam die massive Kritik?
Göken-Huismann: Es gab eine Stellungnahme des Deutschen Koordinierungsrates für jüdisch-christliche Gesellschaften, in dem 80 Gruppierungen, die sich dem jüdisch-christlichen Dialog verschrieben haben, Mitglied sind. Die haben eine sehr detaillierte Stellungnahme abgegeben, in der sie unsere bisherigen Schritte ganz wohlwollend benannt haben. Aber sie haben auch Kritik an der Gottesdienstordnung und an weiteren Materialien geübt, insbesondere an dem Bild der Künstlerin Halima Aziz.
DOMRADIO.DE: Das Bild hätte eine große Rolle gespielt.
Göken-Huismann: Die Künstlerin Halima Aziz ist in Deutschland geboren, in Gaza aufgewachsen, lebt mittlerweile wieder in Deutschland, in NRW, hat in den Tagen nach dem 7. Oktober auf Instagram in ihren Stories Dinge gepostet, die Hamas-freundlich gedeutet werden können. Es ist uns leider nicht gelungen, diese Vorwürfe gegen Halima Aziz auszuräumen, so dass wir gesagt haben: Aufgrund dieser Äußerung der Künstlerin können und möchten wir das Bild nicht weiter verwenden. Somit haben wir die Plakate mit diesem Titelbild schon Mitte Oktober gestoppt.
DOMRADIO.DE: Als deutsches Komitee haben Sie reagiert, Material teilweise zurückgezogen. Das Plakat ist nur ein Beispiel. Das war eine der schwersten Entscheidung Ihres Lebens, sagen Sie. Warum?
Göken-Huismann: Es ist mir ein großes Anliegen, jedes Jahr die Stimmen von Frauen aus einem anderen Land zu hören, deren Erfahrungen, deren Lebenssituationen, deren Schwierigkeiten, deren Sorgen, deren Hoffnungen zu teilen. Es ist für uns eine Gratwanderung zwischen der Frage "Wie schaffen wir es, die Stimmen der palästinensischen Frauen weiterhin zu Gehör zu bringen?"
Und gleichzeitig der Kritik, die nicht nur von außen kam, sondern auch aus unserer Bewegung selbst. Diese Gratwanderung zwischen diesen beiden Polen und die Verantwortung für unsere Bewegung, war für mich wirklich eine schwere Entscheidung, um die wir auch in der Mitgliederversammlung des Vereins sehr intensiv gerungen und diskutiert haben.
Wir haben dann entschieden, dass diese Gottesdienstordnung eine Aktualisierung braucht. Also wir haben sie nicht gecancelt. Wir wollen weiterhin die Stimmen der palästinensischen Christinnen zu Gehör bringen. Die Christinnen im Heiligen Land brauchen wirklich unsere Solidarität, auch angesichts der aktuellen Situation. Aber die Gottesdienstordnung braucht eine Aktualisierung, die Fürbitten brauchen eine Überarbeitung und daran machen wir uns jetzt.
DOMRADIO.DE: Die Aktualisierung ist ein Balanceakt. Wie kann der gelingen?
Göken-Huismann: Wir richten eine Gruppe ein, die aus den unterschiedlichen Konfessionen besetzt ist, katholisch, evangelisch, sogenannte "kleine Kirchen", aus dem Vorstand, der Geschäftsstelle, gegebenenfalls weiteren Beratern. Wir werden das versuchen, natürlich jetzt auch ein Stück unter Zeitdruck, weil wir eine neue Printfassung drucken müssen. Wir haben unseren Weltgebetstagsschwestern in Deutschland zugesagt, dass Anfang Januar eine neue Fassung vorliegt. Mit ganz viel Gebet und Geisteskraft wird uns das hoffentlich gelingen.
DOMRADIO.DE: Werden am Ende Frauen in anderen Ländern ihre Gottesdienste nach der ursprünglichen Vorlage gestalten, nur in Deutschland nicht?
Göken-Huismann: Ich bin sicher, dass die biblischen Texte erhalten bleiben und die Stimmen der palästinensischen Christinnen zu hören sein werden. Es wird anders sein, aber die Struktur des Gottesdienstes wird sich nicht verändern. Ich bin sehr sicher, dass wir uns mit einer aktualisierten Liturgie in die Gebetskette am ersten Freitag im März einreihen können.
DOMRADIO.DE: Wissen Sie denn etwas von ähnlichen Problemen in anderen Ländern?
Göken-Huismann: Wir hören von Diskussionen in den anderen deutschsprachigen Ländern nicht so viel, nicht so polarisiert wie bei uns in Deutschland, aber auch aus der Schweiz, aus Südtirol, aus Österreich kommen Nachrichten, dass um die Gottesdienstordnung gerungen wird.
DOMRADIO.DE: Inwieweit ist Ihnen durch diese Erfahrung die Komplexität der Beziehung zwischen Israelis und Palästinensern noch deutlicher geworden?
Göken-Huismann: Es wird mit mir sehr deutlich. Wir kriegen so viele E-Mails, die immer sehr polarisiert sind, entweder schwarz oder weiß, mit wenig oder kaum Verständnis für die andere Seite, auch mit persönlichen Angriffen und mit Beschimpfungen, die wehtun. Ich fühle mich manchmal wie zwischen die Fronten geraten, obwohl das ein kriegerisches Bild ist, das ich nicht so schätze.
Ich habe es so empfunden, wie von zwei Seiten in die Zange genommen zu werden. Ich lese in den Mails immer so konträre Dinge und sehe manchmal so wenig Bereitschaft, aufeinander zu hören. In dem Bibeltext, den die palästinensischen Christinnen ausgesucht haben, ist ein Wort, das mir in den letzten Tagen oft durch den Kopf geht: "Ertragt einander in Liebe".
Das Interview führte Hilde Regeniter.