DOMRADIO.DE: Schon wieder gibt es Streit um päpstliche Äußerungen. Immer wieder gab es Kritik an Franziskus, weil er es im Krieg gegen die Ukraine vermeidet, Russland klar zu verurteilen. Kann man abschließend klären, was der Papst am Mittwoch gesagt hat und was nicht?
Severina Bartonitschek (Rom-Korrespondentin der Katholischen Nachrichtenagentur KNA): Am Mittwoch sorgten – mögliche – Papstäußerungen gleich mehrfach für Irritationen.
Zum Hintergrund: Vor seiner Generalaudienz hatte sich Franziskus im Vatikan mit zwei Gruppen getroffen: einmal mit Angehörigen israelischer Hamas-Geiseln, einmal mit Verwandten von Palästinensern in Gaza. Offenbar noch berührt von dem, was er bei den Treffen gehört hatte, erzählte er am Ende seiner Generalaudienz davon: "Heute Morgen habe ich zwei Delegationen empfangen, eine von Israelis, die Verwandte als Geiseln in Gaza haben, und eine andere von Palästinensern mit in Israel inhaftierten Verwandten. Sie leiden so sehr und ich habe gehört, wie sie beide leiden. Kriege verursachen das. Aber hier sind wir über Kriege hinausgegangen, das ist keine Kriegsführung, das ist Terrorismus." Anschließend bat der Papst um Friedensgebete.
Gleich zwei Äußerungen sorgten dabei für Kritik. Zum einen, dass er mit den Angehörigen-Treffen unschuldige Geiseln mit in Israel verurteilten Straftätern gleichsetzt. In diesem Fall schien der Papst aber etwas missverstanden zu haben – eventuell aufgrund von sprachlichen Ungenauigkeiten in der Übersetzung. Bislang ist nämlich unklar, ob Angehörige palästinensischer Häftlinge an dem Treffen teilnahmen. Bekannt sind Palästinenser, die Freunde und Verwandte im aktuellen Krieg in Gaza verloren haben.
Kritisiert wurde aber vor allem seine Terrorismus-Aussage. Hier benannte er keine der beiden Kriegsparteien explizit. Demnach könnte sie indirekt auch als Terror-Anklage für Israel ausgelegt werden. Hinzu kam am Mittwochnachmittag noch ein Eklat auf der Pressekonferenz der Palästinenser-Delegation. Die Angehörigen behaupteten, der Papst habe das Wort "Genozid" benutzt. Der Vatikan wies dies zurück. Weder Pressesprecher Matteo Bruni noch Kardinalsstaatssekretär Pietro Parolin sei bekannt, dass Franziskus das Wort genutzt habe.
DOMRADIO.DE: Es ist nicht das erste Mal, dass Franziskus kritisiert wird, weil er anscheinend versucht, neutral zu bleiben. Warum aber vermeidet er es, beispielsweise Russland als klaren Aggressor zu verurteilen und die Hamas deutlicher als Hauptschuldige der derzeitigen Lage in Gaza zu benennen?
Bartonitschek: Grundsätzlich verurteilen Papst und Heiliger Stuhl die schrecklichen Ereignisse sowohl in der Ukraine als auch in Israel, aber eben auch in Russland und Gaza. Denn sie haben vor allem die humanitäre Lage im Blick, weniger die politische Dimension.
Auf beiden Seiten sterben unschuldige Menschen aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen. Der Wert eines Menschenlebens ändert sich nicht, je nachdem auf welcher Seite es beendet wird. Als katholisches Kirchenoberhaupt denkt Franziskus zudem an die Christen in Gaza und in den Palästinensergebieten, deren Situation er mit möglichen Äußerungen nicht verschlimmern möchte.
DOMRADIO.DE: Franziskus ist für seine spontane Art und seinen lockeren Unterhaltungston bekannt – kommt sein Regierungsstil angesichts der komplexen Weltlage da eine Grenze oder ist er vielleicht auch schlecht informiert?
Bartonitschek: Schlecht informiert ist der Papst keinesfalls, der Vatikan verfügt über ein riesiges Informationsnetzwerk weltweit. Er versucht jedoch zu vermeiden, sich politisch zu positionieren – auch um Gesprächskanäle zu allen Seiten offenzuhalten. Sein Hauptanliegen ist – wie schon gesagt – die Lage der unter den Kriegen leidenden Menschen zu verbessern.
Konkret gilt das etwa für die nach Russland verschleppten ukrainischen Kinder oder die Hamas-Geiseln. In beiden Fällen setzt sich der Vatikan für eine Rückführung ein – im ersten Fall wohl auch mit Erfolg. Mit Aufgabe der Neutralität würde sich seine Vermittlerposition verschlechtern.
Das ist der Grund, warum der Papst nicht in die Ukraine reist, ohne auch Russland zu besuchen. Oder dafür, dass das Treffen mit den Angehörigen von Hamas-Geiseln erst jetzt stattfand. Um Vereinnahmungen zu vermeiden, sollte auch eine Gruppe der anderen Kriegspartei in den Vatikan kommen.
Im aktuellen Fall wirkte Franziskus als Mensch ergriffen von dem, was er auf den Treffen gesehen und gehört hatte. Möglicherweise hat die palästinensische Gruppe auch ihm Fotos von toten und verletzten Kindern gezeigt, wie später auf der Pressekonferenz. Dies und Erzählungen vom Tod vieler unschuldiger Menschen könnte Franziskus dann zu diesen Äußerungen bewogen haben.
DOMRADIO.DE: Eigentlich hat die vatikanische Diplomatie einen guten Ruf – dass sie im Moment bei den Krisen dieser Welt ein Faktor ist, scheint aber im Moment nicht zu gelten oder ist das ein falscher Eindruck?
Bartonitschek: Natürlich ist die Vatikandiplomatie ein Faktor. Was den Vatikan neben dem Nichtvorhandensein von militärischen und wirtschaftlichen Eigeninteressen ausmacht, ist seine Diskretion. Auch der Papst selbst spielt als moralische Instanz eine große Rolle, seine Worte haben Gewicht – wie im aktuellen Fall zu sehen.
Das zeigt sich durch die Kontaktaufnahme politischer Verantwortungsträger verschiedener Staaten, etwa der Türkei oder des Iran, kurz nach Beginn des Nahost-Krieges. Solche Gespräche lehnt der Vatikan nicht ab, obwohl er weiß, dass mit ihnen auch Propaganda betrieben wird. Denn der Kontakt könnte einmal bei diplomatischen Friedensbemühungen nützlich sein.
So öffneten sich auch dem päpstlichen Friedensbeauftragten im Ukrainekrieg, Kardinal Matteo Zuppi, weltweit viele Türen hochrangiger Regierungsvertreter, auch in Russland und China.
Die Fragen stellte Mathias Peter.