DOMRADIO.DE: Der Nikolaustag ist ein nichtgebotener Gedenktag. Das heißt also, wer am Nikolaustag die Heilige Messe mitfeiert, muss damit rechnen, dass der Tagesheilige überhaupt keine Erwähnung erfährt. Ist das wirklich so?
Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti (Brauchtumsforscher und Heiligenexperte): Das ist so, ja. Das ist eine Regelung, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gefasst wurde. Damals hat man versucht, die Heiligen aus dem Kalender zu streichen, die wissenschaftlich nicht ausreichend fundiert sind. Das betraf auch den Nikolaus. Und zwar deshalb, weil das, was wir von Nikolaus aus Legenden wissen, nicht nur den Nikolaus von Myra betrifft, sondern auch den Nikolaus von Sion.
Beide Legendenstränge sind so miteinander vermischt, dass man sie nicht genau trennen kann. Das war der Grund dafür, sich mit dem Nikolaus von Myra etwas in die Deckung zu begeben.
Das war weltkirchlich so gewollt. Allerdings haben die Bischöfe deutscher Zunge das nicht mitvollzogen. Vielmehr haben sie in ihrem Kalender, dem Regionalkalender deutscher Zunge, genau diesen Nikolaus dringelassen. Sie mussten ihn aber von der Qualität der Einordnung zurücknehmen.
DOMRADIO.DE: Beim Heiligen Martin von Tours ist das ja völlig anders. Im Generalkalender hat er mindestens den Rang als gebotener Gedenktag. Schaut man in den liturgischen Büchern, findet man sehr viele Eigentexte, also solche, die ganz speziell nur mit ihm zu tun haben. Warum hat er dann doch wieder eine andere Qualität, was den liturgischen Rang anbelangt?
Becker-Huberti: Martinus ist sogar älter als Nikolaus. Er ist 397 gestorben. Nach dem, was wir wissen, hat Nikolaus erst im Jahrhundert darauf gelebt.
Tatsache ist aber, dass Belege über Martin vom Todeszeitpunkt an existieren. Es gibt keinen Zweifel an seiner Historizität und einzelnen Dingen, die über ihn berichtet werden. Dementsprechend ist er natürlich hoch eingestuft.
DOMRADIO.DE: Was weiß man denn überhaupt historisch vom Heiligen Nikolaus, außer dass er Bischof von Myra in Lykien, in der heutigen Türkei war?
Becker-Huberti: Wir wissen so gut wie gar nichts über ihn. Wir haben Gebeine, von denen wir nicht sagen können, ob sie echt oder nicht echt sind. Wir wissen nur, dass sie aus Myra entführt und nach Bari und zum Teil auch nach Venedig gebracht worden sind. Das lässt sich aber nicht nachprüfen.
Bei den Legenden ist es auch nicht sicher, ob sie nun von dem Nikolaus aus Myra oder von dem aus Sion entstammen. Sie sind aber so vermischt, dass sie eine neue Figur ergeben haben, die wir als den Heiligen Nikolaus bezeichnen.
Dementsprechend sind der Vatikan und das Konzil vorsichtig gewesen und haben diesen Nikolaus dann liturgisch zurückgestuft, was an seiner Person aber nichts ändert.
DOMRADIO.DE: Es wird auch gesagt, Nikolaus habe als Bischof von Myra am großen Konzil von Nicäa teilgenommen und sich auch in ganz besonderer Weise für die kirchliche Lehre eingesetzt. Er soll gegen die Arianer, die ja glauben, dass Jesus Christus nur eine rein menschliche Natur hatte, zu Felde gezogen sein und Arius auf dem Konzil sogar geohrfeigt haben. Ist das legendär oder ist die Teilnahme am Konzil ein Fakt?
Becker-Huberti: Das ist ein Fakt. Das lässt sich belegen. Es ist in den Konzilsunterlagen enthalten.
Es gibt zudem einen Hinweis bei seinen Reliquien. Man hat sie untersucht und festgestellt, dass er eine gebrochene Nase gehabt haben muss. Also zumindest der, der die Reliquien geliefert hat.
Wenn das tatsächlich der Nikolaus von Myra ist, der sich in diesen Reliquien zeigt, dann könnte Arius beim Zurückschlagen tatkräftig gewesen sein. Zumindest aber wäre der Nikolaus einer, der in Prügeleien verwickelt gewesen ist.
DOMRADIO.DE: "Heut ist Nikolausabend da", heißt es in einem Nikolauslied. Ist der Nikolausabend der Abend vor dem Nikolaustag oder der Abend am Nikolaustag selbst?
Becker-Huberti: Es ist der Abend vor dem Nikolaustag. Die Zeitrechnung ist eine andere. Der Orient rechnete vom Sonnenuntergang zum Sonnenuntergang einen Tag. Das heißt, nicht um Mitternacht beginnt der Tag wie bei uns heute, sondern mit dem Sonnenuntergang des Vortages.
Wir haben das so schön in dem Wort "Sonnabend" für den Samstag drin. Der Sonnabend ist immer ein Samstag. Also ist der Nikolausabend schon am 5. Dezember.
DOMRADIO.DE: Am 5. Dezember werden auch die Schuhe rausgestellt. Ist dieses Brauchtum ebenfalls eine Sache, die auf eine Legende zurückgeht?
Becker-Huberti: Es geht darauf zurück, dass der Nikolaus in die Rolle des Kinderbeschenkers geraten ist. Die ist ursprünglich eine andere gewesen. Im frühen Mittelalter wurden die Kinder am Fest der unschuldigen Kinder beschenkt.
Erst als der Nikolauskult aufkam, ist das Kinderbeschenken auf den Nikolaus übergegangen. Die Schuhe haben etwas damit zu tun, dass es irgendwelche individuellen Hinweise auf den Geschenkeempfänger geben musste. Da waren die Schuhe ganz passend.
Das waren meistens auch keine Schuhe, so wie wir sie heute kennen, sondern Holzschuhe oder irgendwelche Strümpfe, die dafür herhalten mussten. Die waren aber zuzuordnen, bei den Strümpfen vielleicht sogar durch den Geruch.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.