DOMRADIO.DE: In den Nachrichten kommt Positives meist zu kurz. Welche Konflikte und Krisen auf der Welt haben sich 2023 gebessert?
Oliver Müller (Leiter von Caritas international): Es ist gar nicht so leicht, diese zu finden, weil sich in der Tat mehr Krisen als zuvor abgespielt haben. Es gibt Entwicklungen wie zum Beispiel in Kolumbien, wo einer der ältesten Bürgerkriege der Welt herrschte und die Situation nach wie vor sehr angespannt ist.
Aber es ist zumindest nicht zu weiteren Kampfhandlungen gekommen, auch haben die Kriegsparteien, die Konfliktparteien, sich wieder an einen Tisch gesetzt. Wir sehen im Bereich der humanitären Hilfe, dass viele Naturkatastrophen durch sinnvolle Vorsorgemaßnahmen auch verhindert werden können. Es gibt also schon viele positive Entwicklungen, oftmals auch im Kleinen. Aber die Nachrichtenlage wird natürlich durch die großen Meldungen dominiert.
DOMRADIO.DE: Was wird denn jetzt im neuen Jahr 2024 Schwerpunkt für Caritas International sein?
Müller: Ein großer Schwerpunkt wird weiterhin die Hilfe für die Menschen in der Ukraine sein. Das erklärt sich von selbst, wir sehen die Bilder jeden Tag. Wir werden uns aber auch weiterhin sehr stark um vergessene Katastrophen kümmern.
Ich denke da vor allem an Afghanistan, wo 90 Prozent der Bevölkerung auf Überlebenshilfe angewiesen ist, wo die Lage der Frauen ganz besonders prekär ist und diese sich in einem Teufelskreis aus Armut, Rechtlosigkeit und Unterdrückung befinden.
Aber auch viele Länder Afrikas werden bei uns im Mittelpunkt stehen. Ich nenne mal als Beispiel den Südsudan, aber auch Länder wie Burkina Faso, wo man sehr wenig darüber hört, wo es aber weiterhin Konflikte gibt und bei denen die Menschen in der Zivilbevölkerung die Leidtragenden sind, die oftmals überhaupt nichts dafür können.
DOMRADIO.DE: Sie hatten gesagt, dass die Spendenbereitschaft für Afghanistan, um jetzt mal bei dem Beispiel zu bleiben, relativ gering ist. Woran liegt das? Wissen wir da zu wenig, was mit den Spenden passiert? Haben die Leute womöglich Angst, dass die Taliban von diesen Geldern profitieren könnten?
Müller: Dafür gibt es wahrscheinlich mehrere Gründe. Das eine ist, dass generell weniger gespendet wird, wenn es um Kriege und bewaffnete Konflikte geht als für Naturkatastrophen. Das andere ist, dass wahrscheinlich schon eine Angst vorherrscht, dass die Hilfe nicht ankommt.
Das erleben wir jetzt im Krieg in Palästina. Menschen befürchten, dass die Hilfe für die Notleidenden in Gaza in die Hände der Hamas gerät. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für Spenden in Afghanistan, die in die Hände der Taliban geraten könnten.
Wir versuchen immer wieder darauf hinzuweisen, dass wir über langjährige Kontakte in höchstem Maße sicherstellen können, dass die Caritas-Hilfen eben wirklich auch bei den Menschen ankommen, aber das ist schwierig in der Kommunikation.
Wir bekommen Gott sei Dank trotzdem einige wenige Spenden dafür. Wir müssen ansonsten auf die zweckungebundenen Spenden zurückgreifen und können das dann auch durch Mittel des Auswärtigen Amtes entsprechend ergänzen.
DOMRADIO.DE: Welche weiteren Konflikte sind Ihrer Meinung nach in der Öffentlichkeit zu wenig sichtbar?
Müller: Es sind aus meiner Sicht vor allem die Konflikte in Ländern Zentralafrikas, über die wir sehr wenig erfahren, zum Beispiel in Mali. Die Bundeswehr ist jetzt endgültig abgezogen. Das wird auch dafür sorgen, dass sich wahrscheinlich die Aufmerksamkeit ein Stück weit davon entfernt. Dabei ist die Lage in Mali angespannter denn je. Auch hier leidet die unschuldige Zivilbevölkerung unter dem Kampf verschiedener Gruppen.
Die Hintergründe sind auch oft nicht leicht zu durchblicken, das macht es natürlich umso schwieriger, sich mit diesen Konflikten zu befassen. Ich habe ja auch Burkina Faso genannt, das ist klar, dass diese Konflikte etwas außerhalb der allgemeinen Wahrnehmung stehen. Aber zumindest die Hilfswerke sollten diese Situation nicht vergessen.
DOMRADIO.DE: Befürchten Sie denn jetzt für 2024, dass sich die Lage generell auf der Welt eher noch verschlimmern wird?
Müller: Es ist anzunehmen, dass es nicht besser wird. Wir sprechen in der humanitären Hilfe eigentlich von den drei großen C's - also Conflict, Covid und Clima - die dafür gesorgt haben, dass sich die Notsituation weltweit zugespitzt hat. Konflikte gibt es mehr denn je. Die Covid-Krise ist Gott sei Dank am Abklingen.
Wir merken, dass es immer mehr klimabedingte Vertreibungen gibt, also dass Menschen dort nicht mehr leben können, wo sie immer gelebt haben. Wir sehen das zum Beispiel in vielen wüstenähnlichen Gebieten Afrikas, wo es noch weniger Niederschläge gibt als zuvor.
Das wiederum führt zu enormen Druck auf städtische Zentren und natürlich auch potenziell zu mehr Spannungen. So gesehen ist auch der Klimawandel einen Aspekt, was Krisen und Konflikte betrifft.
Das Interview führte Florian Helbig.