Als die Kritik nicht abreißt, versucht es Kardinal Victor Fernandez mit einem Beispiel. Man stelle sich eine große Wallfahrt vor, schreibt der Präfekt des Glaubensdikasteriums in einer Pressemitteilung, die seine Behörde vergangenen Donnerstag veröffentlicht hat.
Ein wiederverheiratetes Paar geht auf einen Priester zu und bittet um einen Segen. Den Leuten geht es schlecht, sie haben keine Arbeit und sind krank. Der Priester bittet Gott um Beistand für das Paar und darum, dass er sie von allem befreien möge, was seinem Willen widerspreche. Schließlich macht er zwei Kreuzzeichen. Nach 10 bis 15 Sekunden ist die Sache vorbei.
Chefdogmatiker des Papstes pocht auf Segen
"Ist es sinnvoll, diesen beiden Menschen, die darum bitten, diese Art von Segen zu verweigern?", fragt Fernandez rhetorisch in der Mitteilung.
"Sollten wir nicht ihren Glauben unterstützen, sei es im Kleinen oder im Großen, ihren Schwächen mit göttlichem Segen helfen und dieser Offenheit für die Transzendenz einen Zugang geben, der sie dazu bringen könnte, dem Evangelium treuer zu sein?"
Es sind Sätze wie diese, aus denen der Rechtfertigungsdruck spricht, unter dem sich der Chefdogmatiker des Papstes seit gut drei Wochen befindet.
Widerstände und Verweigerung gegen Papsterlass
Kurz vor Weihnachten veröffentlichte die vatikanische Glaubensbehörde die Grundsatzerklärung "Fiducia supplicans" (Das flehende Vertrauen) - und gestattete katholischen Priestern erstmals homosexuelle, unverheiratete und wiederverheiratete Paare zu segnen. Ausdrücklich genehmigt wurde das Papier aus Fernandez' Feder von Papst Franziskus.
Kritik an dem Dokument hagelte es vor allem aus dem afrikanischen Kontinent, wo Homosexuelle in einer Vielzahl von Staaten gesellschaftlich geächtet und strafrechtlich verfolgt werden. Doch auch aus einigen Ländern Asiens, Lateinamerikas und Osteuropas kamen Proteste.
Manche Bischöfe verboten es ihren Priestern sogar, die neue Öffnung aus dem Vatikan vor Ort umzusetzen. Damit gingen sie auf Konfrontationskurs zum Papst und vor allem zu dessen Vertrauten Fernandez. Dass der mit einer derartigen Totalverweigerung gerechnet hat, ist schwer vorstellbar.
Vorgaben für Segnungen
Nun versucht der Franziskus-Landsmann, die Wogen zu glätten. Noch vor Kurzem hatte Fernandez zwar in einem Interview ausgeschlossen, dass sein Dikasterium Vorgaben zur konkreten Ausgestaltung der neuen Segenspraxis machen werde. Aus der nun veröffentlichten Pressemitteilung mit dem Wallfahrts-Beispiel lassen sich aber durchaus so etwas wie Vorgaben herauslesen.
Nur einige Sekunden kurz darf der Segen demnach sein. Im besten Falle erteilt ihn der Geistliche spontan, auf Bitten des Paares hin und ohne genaue Kenntnis von deren Intimleben. Ausdrücklich unterscheidet der Glaubenspräfekt zwischen dem "liturgischen oder rituellen" Segen und dem "spontanen oder seelsorgerisch motivierten" Segen, der in "Fiducia supplicans" gemeint sei.
Er wiederholt zudem die wichtigsten Argumente des Dokuments: Auf gar keinen Fall sei der Segen im Rahmen eines Gottesdienstes zu erteilen; jegliche Verwechslung mit einer Traufeier müsse ausgeschlossen sein; der spontane Segen rechtfertige in keiner Weise die Lebensführung des Empfängers, der ein großer Sünder sein mag. Es handele sich eher um eine "väterliche Geste inmitten seines Mühens um das Überleben".
Umsetzung liegt in Händen der Bischöfe
Laut Pressemitteilung darf jeder Diözesanbischof kraft seiner Entscheidungsbefugnis vor Ort bestimmen, wie schnell - oder langsam - die Erklärung in seinem Bistum umgesetzt wird. Die Bischöfe können auch Vorgaben machen, etwa dass homosexuelle Paare nur im privaten Rahmen gesegnet werden. Vollkommen verweigern dürfen sie die Segnungen jedoch nicht.
In Ländern, in denen Homosexuelle strafrechtlich verfolgt werden, "versteht es sich von selbst, dass eine Segnung nicht angezeigt wäre", erklärt der Glaubenspräfekt. Allein schon deshalb, weil homosexuelle Menschen sonst der Gewalt ausgesetzt wären. Hier sei es der seelsorgerische Auftrag, die Menschenwürde zu verteidigen und die Soziallehre der Kirche zu vertreten.
Die Pressemitteilung wird kaum reichen, um die Kritiker zum Schweigen zu bringen. Und: Der Wirbel um "Fiducia supplicans" dürfte Fernandez' Ansehen selbst unter seinen Befürwortern beschädigt haben. Erst vergangenen Sommer holte der Papst persönlich seinen früheren Ghost-Writer in den Vatikan. Fernandez' Job ist es auch, Öffnungsschritte in der Kirche theologisch sauber auszuformulieren. Die Frage ist, wie lange der Papst seinem Chefdogmatiker diese Aufgabe zutraut.
Fürs Erste verlegte sich Franziskus darauf, seine Kirche zum Zusammenhalten aufzurufen. Beim Gottesdienst am Dreikönigstag forderte er abweichend vom Redemanuskript, "kirchliche Ideologien" zu überwinden und stattdessen wiederzuentdecken, was "die heilige Mutter Kirche" bedeutet. Es gehe um "den Herrn und nicht um unsere Ideen oder unsere Projekte".