Kardinal Ouellet sieht Zeitalter des Christentums beendet

Menschheit in tiefgreifendem Epochenwandel

Der frühere Leiter der Bischofsbehörde im Vatikan sieht die Menschheit in einem tiefgreifenden Epochenwandel. Das gehe auch mit einem Wandel im menschlichen Selbstverständnis einher und einer neuen Aufgabe für Christen.

Kardinal Marc Armand Ouellet / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Marc Armand Ouellet / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Der emeritierte Kurienkardinal und frühere Leiter der Bischofskongregation, Kardinal Marc Ouellet, sieht die Welt in einem Epochenwechsel mit rasanten technologischen Entwicklungen und Krisenphänomenen.

"Das Zeitalter des Christentums ist vorbei", schreibt Ouellet in einem Gastbeitrag für das Portal "communio.de". Zugleich aber seien die Impulse einer christlichen Anthropologie notwendig, um die "Koordinaten des Menschlichen" neu in die Gesellschaft einzuspeisen. Denn die neue Epoche werde eine neue kulturelle Unübersichtlichkeit und die Notwendigkeit einer neuen Selbstverständigung des Menschen mit sich bringen.

Gottesdienstbesucher / © Julia Steinbrecht (KNA)
Gottesdienstbesucher / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Die menschliche Identität sei zu einem Experimentierfeld geworden, so der kanadische Kirchenmann. Ouellet wörtlich: "Der epochale Wandel zeigt sich vielleicht am markantesten in der Anthropologie. Religiöse Bezüge werden verdrängt, die Autorität der modernen Geisteswissenschaften wächst; ein Panorama kontrastierender Sichtweisen auf das Wesen des Menschen ist entstanden."

Die Optionen schwankten "zwischen einem von der körperlichen Verfassung losgelösten Spiritualismus und einem Materialismus, der alle transzendenten Bestrebungen auf technisch kontrollierbare biopsychische Daten reduziert", so Ouellet.

Gilt theologisch als "Ratzingerianer"

Es gebe keine Einigkeit mehr darüber, was das Wesen des Menschen ausmache, schreibt der 79-Jährige, der theologisch als "Ratzingerianer" gilt und einst auch für dessen Nachfolge im Papstamt im Gespräch war. Die Entwicklung sei von einem derart "wahnsinnigen Vorwärtsdrang" auf vielen Gebieten, dass es nötig sei innezuhalten und dialogbereit auf die kulturelle und religiöse Vielfalt zu schauen sowie neue christliche Visionen anzubieten.

Marc Ouellet und Georg Bätzing / © Björn Steinz (KNA)
Marc Ouellet und Georg Bätzing / © Björn Steinz ( KNA )

"Stehen wir an der Schwelle zu einem qualitativen Sprung der menschlichen Spezies, an der Schwelle zu einer transhumanistischen Mutation? Alles scheint möglich", so der nordamerikanische Kardinal.

Und: "Dabei vergessen wir leicht, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen unter unmenschlichen Bedingungen lebt." In dieser Situation müsse sich die Kirche fragen, "welchen Grund zur Hoffnung wir Sinnsuchenden anbieten" können, schreibt Ouellet. Die neue anthropologische Lage verpflichte zu Dialog, Achtung der Vielfalt und zu Solidarität mit den Ärmsten und Schwächsten.

Quelle:
KNA