Indiens politischer Hinduismus bedroht Andersgläubige

Streit um "Vatikan der Hindus"

In Nordindien wurde eines der größten und teuersten Heiligtümer der Welt eingeweiht. Einige nennen es den "Vatikan der Hindus". Begleitet wurde dieser Schritt von Einschüchterungen gegen Christen. Steckt dahinter eine Strategie?

Autor/in:
Renardo Schlegelmilch
Der indische Premierminister Narendra Modi nach der Eröffnung eines Tempels, der dem hinduistischen Gott Ram gewidmet ist / © Press Information Bureau (dpa)
Der indische Premierminister Narendra Modi nach der Eröffnung eines Tempels, der dem hinduistischen Gott Ram gewidmet ist / © Press Information Bureau ( dpa )

Muslime haben Mekka, die Katholiken den Vatikan und die Hindus in Indien bekommen nun auch ihren heiligsten Ort. Umgerechnet 200 Millionen Euro wurden in das Heiligtum des Gottes Rama im nordindischen Ayodha investiert. Allerdings ist sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart dieses Ortes durch Gewalt geprägt. 

Vor der Einweihung am Montag gab es Übergriffe auf christliche Kirchen. Experten vermuten dahinter eine politische Strategie, die Indien zum autoritären Hindustaat machen soll. Darunter leiden vor allem die Andersgläubigen in Land. 

Heiligtum der Superlative

Geschmückt ist das Rama-Heiligtum mit 15 Kilogramm Gold und 18.000 Edelsteinen. Premierminister Narendra Modi persönlich hat am vergangenen Montag die Einweihung übernommen, und das obwohl der Bau noch gar nicht zu hundert Prozent fertig gestellt ist. Eigentlich ein No-Go, weshalb selbst mehrere hinduistische Ordensführer der Zeremonie fern blieben. 

Rama-Tempel in Ayodha / © Rajesh Kumar Singh (dpa)
Rama-Tempel in Ayodha / © Rajesh Kumar Singh ( dpa )

Die Indien-Expertin Bettina Leibfritz von missio Aachen verfolgt das Geschehen. "Man fragt sich, warum ein im Rohbau stehender Tempel, der noch gar nicht fertig ist, jetzt eingeweiht wird. Es gab auch Kritik von Seiten führender Hinduorden, die sagen, dass man das aus religiöser Sicht noch gar nicht darf und schon gar nicht durch einen Ministerpräsidenten. Eigentlich müsste ein Priester den fertigen Tempel einweihen." Das alles sei Teil von Modis größerer Strategie, aus Indien einen hinduistischen Nationalstaat zu machen. Für Unmut und Sorge führt das bei Christen, Muslimen – und selbst einigen Hindus. 

Religiöser Extremismus als Politik 

Modi ist mit seiner BJP-Partei Teil der sogenannten "Hindutva"-Bewegung, die eine autoritäre Ausrichtung Indiens nach den Vorstellungen eines politisch-kulturell verstandenen Hinduismus anstrebt. Schon seit Kindertagen gehört Modi dieser Bewegung an und wurde dort systematisch zur Führungsfigur aufgebaut, sagt Bettina Leibfritz. "Er ist zu einem zentralen Anführer der Bewegung geworden, einer Leitfigur der indischen Politik." 

Narendra Modi bei der Einweihung des Rama-Heiligtums / © Pib /Press Information (dpa)
Narendra Modi bei der Einweihung des Rama-Heiligtums / © Pib /Press Information ( dpa )

War nach der Unabhängigkeit vor 76 Jahren noch das Ziel, Indien zu einem Staat offen für alle Religionen zu machen, ist spätestens seit Modi klar: Indien soll für die Hindus geschaffen sein. Seit seiner Amtsübernahme im Jahr 2014 hat er sich mehr und mehr dafür eingesetzt, den Hinduismus zur Staatsreligion zu machen und die anderen Religionen ins Abseits zu drängen.

So verabschiedete das indische Parlament 2020 ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz, das explizit hinduistische Gläubige bevorzugt. In diese Strategie passt auch die Einweihung des Rama-Heiligtums am vergangenen Montag. 

90.000 Jahre alter Gottkönig

Rama gilt als siebte Inkarnation des Gottes Vishnu und sei vor 90.000 Jahren als Königssohn in Ayodha geboren, genau dort, wo sich jetzt das neue Heiligtum befindet. Innerhalb weniger Jahre wurde der gigantische Komplex errichtet. Bis 1992 stand hier allerdings eine jahrhundertealte Moschee, die bei einem Angriff radikaler Hindus zerstört wurde. Nach Medienberichten sind damals 2.000 Menschen ums Leben gekommen. 

Soweit ist es bis diesmal zum Glück noch nicht gekommen, aber die Gewalt nimmt zu, bestätigt auch die Indien-Expertin Leibfritz. Sie sieht einen klaren Trend seit Modis Wahl 2014: "Pogrome auf Christen und Muslime gab es zwar auch vorher, aber es hat zugenommen. Die Rechte von Menschen anderer Religionen sind nicht mehr gewährleistet." 

Übergriffe auf Kirchen

So gab es einen Tag vor der Weihe des Heiligtums Übergriffe auf mehrere christliche Kirchen in der Region. Junge Hinduisten sind nach den Sonntagsgottesdiensten auf die Dächer von vier christlichen Kirchen in Jhabua, in der Nachbarprovinz von Ayodha, gestiegen und haben sogenannte "Safran-Flaggen" gehisst, die als Symbol der Hindutva-Bewegung gelten. 

Der indische Journalist Saji Thomas hat die Vorfälle beobachtet und berichtet gegenüber DOMRADIO.DE: "Das waren zum größten Teil Jugendliche, die mit Modis Regierungspartei zu assoziieren sind. Sie sind auf die Kirchen geklettert und haben die “Safran-Flagge” gehisst, auf der das Antlitz von Gott Rama zu sehen ist." 

Aggressive Stimmung

Auch wenn es nicht zu offener Gewalt gekommen ist, friedlich waren diese Aktionen keinesfalls, bestätigt Paul Muniya von der "Shalom Church" dem amerikanischen Magazin Crux: "Die kamen mit Motorrädern von einem Markt in der Nähe. Das schien alles gut durchgeplant. Sie hatten Schlagstöcke dabei und wurden immer wilder und lauter, als sie von Kirche zu Kirche gezogen sind. Am Ende waren das sicher über 200 Leute." 

Dabei leben in dieser Region vor allem Eingeborene aus lokalen Volksstämmen, die die Hindutva-Nationalisten weder als wahre Christen noch als richtige Hindus betrachten. Nach ihrer Ansicht haben die Christen, die sich in dieser abgelegenen Region sehr für Bildung engagieren, die Einheimischen hinters Licht geführt und gegen ihren Willen missioniert. 

Übergriffe seit Jahren

Grund genug für die Hindutva-Anhänger, auf den Kirchen ihre eigenen Flaggen zu hissen und sie zurück zum “wahren Glauben” zu führen, so Saji Thomas. "Die Hindu Nationalisten versuchen sie seit Jahren schon zu konvertieren, da sie ihrer Meinung nach keine richtigen Christen sind, auch wenn sie sich so bezeichnen." 

Zur Polizei gegangen sind die christlichen Gemeinden bis jetzt allerdings nicht. Lokale Medien berichten davon, dass es Einschüchterungsversuche von Seiten der Regierung gibt. Das bestätigt auch der Journalist Saji Thomas im Interview: "Es gibt große Angst bei den Christen. Deshalb haben sie auch nicht die Polizei eingeschaltet, sie haben Angst, dass es dann noch mehr Ausschreitungen gibt." 

Grund zur Angst gibt es auch mit Blick auf das Wochenende. Am Sonntag soll in Jhabua der neue katholische Bischof Peter Rumal Kharadi geweiht und eingeführt werden. Die Diözese hat nun vorab um eine Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen gebeten. Ob es nun wieder zu Ausschreitungen kommt, bleibt abzuwarten.

Religionen in Indien

Indien ist der größte Staat Südasiens und flächenmäßig mehr als neunmal so groß wie Deutschland. In den 29 Bundesstaaten und sieben Territorien leben inzwischen mehr als 1,3 Milliarden Menschen, und die Bevölkerung wächst weiter stark. Fast 30 Prozent sind jünger als 15.

Weihnachten in Indien: Nationalfeiertag, auch wenn Christen in der Unterzahl sind / © Channi Anand (dpa)
Weihnachten in Indien: Nationalfeiertag, auch wenn Christen in der Unterzahl sind / © Channi Anand ( dpa )
Quelle:
DR