Wie viel Chance und Risiko bietet Künstliche Intelligenz?

Freiheiten gewinnen und verlieren

KI-Systeme können komplexe Texte schreiben, Bilder erstellen und Predigten schreiben. Der Philosoph Armin Grunwald ist Mitglied des deutschen Ethikrates und erklärt, was der technische Fortschritt mit unserer Gesellschaft macht.

Symbolbild Mensch und Künstliche Intelligenz / © Stock-Asso (shutterstock)
Symbolbild Mensch und Künstliche Intelligenz / © Stock-Asso ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Künstliche Intelligenz ist Fortschritt einerseits, aber auch gravierende gesellschaftliche Veränderung andererseits. Was macht das mit unserer Gesellschaft?

Prof. Dr. Armin Grunwald (Philosoph, Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am Karlsruher Institut für Technologie, KIT und Mitglied des Deutschen Ethikrates): Das ist eine ganz große Frage. Man sollte vielleicht zuerst dran erinnern, dass die großen Visionen der künstlichen Intelligenz aus den 1950er und 60er Jahren stammen. Es gab in der Zwischenzeit immer wieder ähnliche Diskussionen wie heute. Dann gab es ein langes Tal, die Forschung ging weiter und dann wieder eine neue Welle.

Jetzt freilich, in den letzten etwa fünf bis acht Jahren, ist wirklich sehr viel passiert. Die künstliche Intelligenz ist in viele Firmen eingezogen, in die Polizeiarbeit, auch in viele Berufe. Da ist vieles schon im Gange.

Armin Grunwald ist Professor für Technik-Ethik in Karlsruhe und wohnhaft in Köln-Klettenberg / © Beatrice Tomasetti (DR)
Armin Grunwald ist Professor für Technik-Ethik in Karlsruhe und wohnhaft in Köln-Klettenberg / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Wir reden über die Rolle der Künstlichen Intelligenz in unserer Gesellschaft. Dazu gibt es eine Studie des Ethikrates. Manche Berufe werden nicht mehr gebraucht, da werden Menschen auch ihre Jobs verlieren. Wenn zum Beispiel ein Pflegeroboter eingesetzt wird, ist dann der Einsatz von KI überhaupt noch ethisch vertretbar?

Grunwald: Das kommt ganz darauf an. Natürlich hat man sofort die Sorge im Kopf, dass der Pflegeroboter den menschlichen Pfleger oder die Pflegerin einfach ersetzt und unsere pflegebedürftigen Personen irgendwann in riesigen technischen Anlagen liegen und quasi nur noch durch Technik versorgt werden. Man kennt das aus Science-Fiction-Filmen. Das ist eine Horrorvorstellung. 

Man kann aber auch anders denken. Es gibt im Pflegebereich eine ganze Menge von Tätigkeiten, wo menschliche Nähe und Empathie nicht unbedingt zentral sind. Versorgungsleistungen oder Botendienste sind da zum Beispiel zu nennen. Es gibt mittlerweile Prototypen für automatische Servierwagen. Das sind Roboter auf Rädern. Die könnten dem Pflegepersonal langweilige Routinedinge abnehmen, sodass das Pflegepersonal mehr Zeit hat, um sich um die Menschen zu kümmern.

So kann man die Geschichte auch erzählen. Es kommt auf uns, auf die Politik, auf die Gesellschaft an, in welche Richtung das Ganze weitergehen wird.

Roboter im Gesundheits- und Pflegebereich / © Andrey_Popov (shutterstock)
Roboter im Gesundheits- und Pflegebereich / © Andrey_Popov ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was KI heute schon kann und in Zukunft können wird, ist sicherlich reizvoll. Aber was überwiegt denn im gesellschaftlichen Verständnis bisher, das Potenzial oder eher die Gefahren?

Grunwald: Ich glaube, das ist beides. Es ist schon faszinierend, einmal das ChatGPT zu befragen und dann zu sehen, dass da in wenigen Sekunden Texte in einer Qualität rauskommen, die nicht alle meine Studierenden in gleicher Qualität schaffen würden. Das ist total faszinierend, aber gleichzeitig auch erschreckend, weil die Frage nahesteht, was dann mit uns geschieht, wenn die KI irgendwie alles besser kann?

Na ja, beim ChatGPT kann man da schnell Entwarnung geben. Ein netter Kollege hat mal das ChatGPT gebeten, einen Text über Armin Grunwald zu schreiben. Da kam dann raus, dass Armin Grunwald im Jahre 2020 das Bundesverdienstkreuz erhalten hat. Das ist eine reine Erfindung. ChatGPT weiß nicht, ob das korrekt ist, was es da schreibt. Es macht einfach auf statistischer Basis gute Texte. Aber ob die stimmen, weiß man nicht.

Armin Grunwald

"Ich denke, dass es bei der KI sehr auf die individuelle Haltung ankommt."

DOMRADIO.DE: Künstliche Intelligenz verändert auch unsere Kirche. KI-Predigten sind schon ausprobiert worden oder komplett KI-vorbereitete Gottesdienste gibt es schon. Wie weit dürfte man denn da aus ethischer Sicht gehen? Wäre zum Beispiel die Beichte bei einer KI vertretbar.

Grunwald: Jetzt bin ich hier nicht nur als Wissenschaftler, sondern wahrscheinlich auch noch als Christ gefragt. Da muss ich sagen, dass ich ein ganz klarer Verfechter von Präsenz bin. Ich würde auch, solange ich es kann, immer zu einem Gottesdienst in die Kirche gehen und ihn nicht am Bildschirm mitverfolgen.

Gerade der persönliche Zuspruch, also wo es um Vergebung, um Trost und um aufbauende Gespräche seelsorgerischer Art geht, ist wichtig. Das an eine Maschine zu delegieren, erscheint mir grotesk. Technisch würde es vermutlich durchaus gehen. Aber da ist ja doch noch etwas anderes davor, und zwar die authentische Begegnung zwischen Menschen. Die kann eben die KI nur simulieren, aber nicht wirklich ersetzen.

DOMRADIO.DE: Schwierig ist es, gesellschaftlich einen Konsens zu finden. Denn es gibt unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche, was den Einsatz der KI angeht. Sind Sie optimistisch, dass man da gut ins Gespräch kommt?

Grunwald: Was viele Dinge betrifft, brauchen wir keinen Konsens, denn die Menschen sind unterschiedlich. Manche nutzen beispielsweise gerne einen Online-Gottesdienst. Und zwar nicht nur diejenigen, die es vielleicht nicht mehr schaffen, in die Kirche zu gelangen oder denen das zu anstrengend geworden ist. Es ist auch eine Frage der persönlichen Einstellung.

Man kann genauso einen Gottesdienst am Bildschirm mitfeiern. Es wäre für mich persönlich zwar nichts, aber wenn andere Menschen das können, ist es doch gut. Ich denke, dass es generell bei der KI sehr auf die individuelle Haltung ankommt.

DOMRADIO.DE: Der technische Fortschritt soll die Freiheit des Menschen vergrößern und ihn unabhängiger von den Launen der Natur machen. Trifft das überhaupt noch zu?

Grunwald: Zunächst einmal würde ich sagen, ist das weitgehend erfolgt. Wenn wir in unsere Supermärkte gehen und die Lebensmittel anschauen und das mal damit vergleichen, wie sich die Menschen vor 200 Jahren ernährt haben, dann sind wir heute von Jahreszeiten und Regionen sehr unabhängig. Es gibt sozusagen immer alles. Das ist in hohem Maße gelungen, allerdings um den Preis der allseits bekannten Umwelt- und Klimaprobleme.

Das Versprechen, mehr Freiheit durch Technik zu ermöglichen, den Menschen zu emanzipieren, ihm mehr Optionen an die Hand zu geben, spielt nach wie vor in der Denkweise von Ingenieuren oder auch Technikförderern und Computerleuten eine große Rolle.

Armin Grunwald

"Da müssen wir aufpassen, dass wir unsere Freiheit nicht schleichend, unbemerkt verlieren."

DOMRADIO.DE: Droht also keine Unfreiheit, wenn zum Beispiel Algorithmen die Kontrolle übernehmen? Oder wenn Digitalkonzerne uns mit ihren Datenvorräten manipulieren?

Grunwald: Das ist genau die Sorge. Das Versprechen, mehr Freiheit zu ermöglichen, wird auch immer wieder erfüllt. Es gibt einfach im ganzen Bereich der Digitaltechnik ganz viele Sachen, die erst in den letzten fünf bis 15 Jahren möglich geworden sind, die die menschlichen Möglichkeiten erweitern. 

Aber die Sorge ist, dass sozusagen durch die Daten hintenrum, die wir dauernd preisgeben, etwas passiert, was zu Unfreiheit, zu Manipulation führt. Oder vielleicht sogar zu einer neuen Abhängigkeit vom reibungslosen Funktionieren dieser KI-Systeme, die man ja oft gar nicht mehr versteht.

Diese Sorgen nehme ich auch ernst. Da müssen wir aufpassen, dass wir unsere Freiheit nicht schleichend, unbemerkt verlieren, nur weil alles so bequem mit der Digitalisierung ist.

DOMRADIO.DE: Wie würden Sie es zusammenfassen? Welche Folgen hat die Weiterentwicklung von KI Systemen für unsere Freiheit oder Unfreiheit?

Grunwald: Die Freiheit wird verändert. Wir gewinnen Freiheiten ohne Zweifel dazu, aber wir sind immer in der Gefahr, auch andere Freiheiten zu verlieren. Wenn wir die Zuständigkeit für Entscheidungen an autonome KI-Systeme übergeben, geben wir Freiheiten ab. 

Aber wenn diese KI-Systeme das gut machen, dann gewinnen wir Freiheiten für andere Dinge. Also es ist kein "entweder oder", sondern ein "sowohl als auch". Das heißt, wir müssen immer sehr genau hinschauen, sehr sorgfältig beobachten, dass uns nicht unter der Hand Freiheiten abhandenkommen, die wir vielleicht ganz schwer oder gar nicht mehr zurückbekommen, weil die Welt sich dann in diese Richtung weiterentwickeln würde.

Armin Grunwald

"Sie sind nicht irgendwie etwas Wunderbares, sondern Mittel zu Zwecken."

DOMRADIO.DE: Worauf kommt es denn an, wenn KI zu einer guten Zukunft beitragen soll?

Grunwald: Es ist ganz entscheidend, dass wir Menschen die KI realistisch einschätzen. Es gibt so viele Erzählungen, die oft aus der Science-Fiction-Welt von diesen intelligenten Algorithmen kommen, die vielleicht ein eigenes Selbstbewusstsein bekommen. Wir dürfen nicht vergessen, dass dies sehr komplexe statistische Rechenprogramme sind. Die können genial große Datenmengen schnell auswerten und damit Dinge tun, die wir Menschen einfach nicht können. Aber es bleiben letztlich Rechenprogramme. 

Als Rechenprogramme wurden sie von Menschen gemacht. Und zwar für einen bestimmten Zweck, wie ein Geschäftsmodell, um Geld zu verdienen oder im Sicherheitsbereich für Behörden.

Das heißt, sie sind nicht irgendwie etwas Wunderbares, sondern sie sind Mittel zu Zwecken. Sie sind technische Mittel, die uns helfen sollen, ein gutes Leben zu führen und die uns nicht zwingen sollen, uns irgendwo anzupassen. Diese Denkweise aufrechtzuerhalten, ist das Wichtigste.

Das Interview führte Dagmar Peters. 

Information der Redaktion: Unter dem Titel "Künstliche Intelligenz - Förderung menschlicher Freiheiten oder ihr Ende?" hält Prof. Grunwald am Dienstag, 30.01.2024, um 19 Uhr einen Vortrag in der Karl-Rahner-Akademie.

Was ist Künstliche Intelligenz?

Der Begriff Künstliche Intelligenz (KI) wurde vor mehr als 60 Jahren geprägt durch den US-Informatiker John McCarthy. Er stellte einen Antrag für ein Forschungsprojekt zu Maschinen, die Schach spielten, mathematische Probleme lösten und selbstständig lernten. Im Sommer 1956 stellte er seine Erkenntnisse anderen Wissenschaftlern vor. Der britische Mathematiker Alan Turing hatte sechs Jahre zuvor bereits den "Turing Test" entwickelt, der bestimmen kann, ob das Gegenüber ein Mensch ist oder eine Maschine, die sich als Mensch ausgibt.

Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser (shutterstock)
Symbolbild Künstliche Intelligenz / © maxuser ( shutterstock )
Quelle:
DR