DOMRADIO.DE: Anfang der Woche haben Sie gemeinsam mit zwei anderen Frauen im Vatikan mit Papst Franziskus und seinem K9-Kardinalsrat über die Rolle der Frau in der Kirche beraten. Wie kam es zu dieser Einladung? Vor zwei Jahren haben Sie ja schon mal den Papst bei einer Zusammenkunft internationaler Religionsführer in Kasachstan getroffen.
Bischöfin Jo Wells (Vize-Generalsekretärin der "Anglikanischen Gemeinschaft"): Oh, das hat damit gar nichts zu tun. Das war nur vielleicht das letzte Mal, dass ich auf dem Radar des Vatikans aufgetaucht bin. Ich wurde von Schwester Linda Pocher eingeladen. Mit ihr und der italienischen Ordensfrau Giuliva Di Bernardino habe ich vor dem Kardinalsrat gesprochen.
Wenn ich das richtig verstehe, hat Papst Franziskus Schwester Linda gebeten, diese Gespräche zu organisieren. Alles in allem sind das vier Gespräche alle zwei Monate, die zwischen den beiden Runden der Weltsynode über die Rolle der Frau in der Kirche beraten. Ich denke, sie hat da große Freiheit, die Themen und auch die Gesprächspartner vorzuschlagen.
DOMRADIO.DE: Wie hat man denn im Vatikan auf Sie als weibliche Bischöfin reagiert? Gab es ein warmes Willkommen?
Wells: Ich würde sagen, das war wirklich ein herzlicher und warmer Empfang. Alle in diesem kleinen Raum waren sehr offen und zuvorkommend, obwohl das Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern mit unterschiedlichem Hintergrund sind. Sie haben alle sehr aufmerksam zugehört und wir sind in einen konstruktiven Dialog eingetreten.
DOMRADIO.DE: Die Frage der Frauenordination bewegt die katholische Kirche seit langem. Aber auch bei Ihnen in der anglikanischen Kirche war das auch nicht immer schon so. Sie waren Mitte der 1990er Jahre eine der ersten Frauen, die im Priesteramt geweiht wurden. Was war das damals für ein Prozess für die anglikanische Kirche?
Wells: Der Weg der anglikanischen Kirche zur Frauenordination war viel länger, als man vielleicht denken mag. Bereits im 19. Jahrhundert gab es eine große Zahl von Frauen, die Verantwortungspositionen in unserer Kirche eingenommen haben, selbst wenn das damals noch nicht formell mit einer Ordination verbunden war. Das waren Missionarinnen, Gemeindeleiterinnen, Lehrerinnen.
Bei uns in der "Church of England" hatten wir den Orden der Diakonissen, der bis in die 1860er Jahre zurückgeht. Wir haben also schon früh als Kirche das Charisma der Frauen anerkannt und ihnen die Autorität zur Führung zugestanden – wenn auch zuerst nur in einer begrenzten Form.
Diese Diakonissen haben sich dann in ihrer Form weiterentwickelt und wurden als Diakoninnen geweiht. Das war 1986 in der "Church of England". Verglichen mit anderen protestantischen Konfessionen ist das ja schon relativ spät. Über die angemessene Rolle der Frauen in der Kirche haben wir also in der Tat jahrzehntelang diskutiert.
Die erste Priesterin der anglikanischen Weltunion geht allerdings noch weiter zurück. Li Tim-Oi wurde bereits 1944 geweiht. Das ist eine interessante Geschichte. Das wurde damals nicht groß publik gemacht. Grund dafür war der Ausnahmezustand des Zweiten Weltkrieges.
Die chinesische Gemeinde in Hongkong war das damals. Der örtliche Bischof hat entschieden eine Frau zu weihen, die eh schon die Gemeinde geleitet hat. Der Gemeindepfarrer war zu dem Zeitpunkt in japanischer Kriegsgefangenschaft und konnte also auch nicht die Eucharistie mit den Gläubigen feiern. Der Bischof hat sie ohne großes Drama geweiht, und für zwei Jahre hat sie den Dienst getan.
Nach dem Krieg hat das dann doch größere Wellen gemacht und eine Kontroverse ausgelöst, sodass sie den Posten wieder abgegeben und ihren Dienst im Laienstatus getan hat. Jahrzehnte später ist sie dann nach Kanada ausgewandert und konnte dort auch offiziell als Priesterin zugelassen werden. Eine beeindruckende Frau.
Diese Geschichte habe ich dem Papst und dem Kardinalsrat erzählt. Natürlich war das damals eine außergewöhnliche Situation, aber in gewissem Sinne befindet sich auch die katholische Kirche im Moment in einer außergewöhnlichen Lage.
DOMRADIO.DE: Das war ein Ausnahmefall, aber keine Grundsatzentscheidung der anglikanischen Kirche, Frauen in Weiheämter zu berufen. Wie und warum kam das?
Wells: Das ging Stück für Stück, da gab es nicht den einen großen Moment. 1976 hat unsere Synode beschlossen, dass es keinen essentiellen Grund für den Ausschluss von Frauen von Weiheämtern gibt. Das heißt nicht, dass die kirchenrechtlichen, theologischen oder ekklesiologischen Gründe negiert wurden. Dieser Beschluss hat aber die Tür für eine Debatte geöffnet.
In der akademischen Welt wurde zu diesem Zeitpunkt schon viel Energie in dieses Thema gesteckt. Wie sieht die Geschlechterdynamik unserer Kirche aus? Was sagen die Evangelien zu diesem Thema? Damals war ich noch Teenagerin.
Später hatte ich die Möglichkeit, in den USA zu studieren. Die Gemeinde, die ich dort besucht habe, hatte schon seit 20 Jahren eine weibliche Pfarrerin. Das war einfach eine Selbstverständlichkeit. Das hat mir eine andere Perspektive gegeben. Als ich nach England zurückgekehrt war, hatte sich bei dem Thema eine regelrechte Dynamik entwickelt. Nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in Gemeinden, bei Laien und Klerikern. Da war die Frage eigentlich nicht mehr das "Ob", sondern nur noch das "Wann".
DOMRADIO.DE: Eines der großen Argumente gegen Frauenweihe ist bei den Katholiken auch die Angst um die Einheit der Kirche. Einige Kreise würden das nicht akzeptieren und es gäbe die Gefahr eines Schismas. Wie sieht das bei den Anglikanern aus? Gibt es knapp drei Jahrzehnte nach Einführung der Frauenweihe immer noch Konflikte oder Widerstand?
Wells: Ich würde das nicht Widerstand nennen. Es gibt unterschiedliche Ansichten, ganz klar. Sowohl in der "Anglikanischen Gemeinschaft", als auch in der "Church of England". (Anm. d. Red: Die "Anglikanische Gemeinschaft" ist der weltweite Verband der anglikanischen Kirchen, die "Church of England" ist Englands anglikanische Nationalkirche) Obwohl es eine große Mehrheit gibt, die hinter der Frauenweihe steht, gibt es immer noch eine signifikante Minderheit, die dem widerspricht – und das auch mit sehr fundierten theologischen Argumenten und aus tiefster Überzeugung.
Wir kriegen es aber relativ gut hin, dieses große Spektrum an Meinungen in unserer Kirche unter einen Hut zu bringen. Dafür ist es wichtig, dass wir uns gegenseitig ernst nehmen, ohne dem anderen den rechten Glauben abzusprechen – und das aus beiden Perspektiven, ob nun pro oder contra Frauenweihe.
Ich gebe zu, diese Spannung auszuhalten, ist nicht unkompliziert. Aber es ist auch sehr wichtig, in einer Kirche mit Meinungsunterschieden klar zu kommen. Natürlich ist das eine Herausforderung. Es gibt auch einige, die diesen Weg nicht mit uns gehen konnten. Aber wie viele hätten wir denn verloren, wenn wir diesen Schritt nicht gegangen wären?
DOMRADIO.DE: Sehen Sie denn gerade eine ähnliche Entwicklung in der katholischen Kirche?
Wells: Was ich im Moment sehe, ist die Bemühung, die Getauften auf allen Ebenen wieder mehr in den Dienst an der Kirche zu involvieren. Die katholische Kirche befasst sich gerade mit der Frage, wie alle ihre Mitglieder auf ihre eigene Weise Gott dienen können. Das ist ein anderer Ansatz als das Augenmerk als allererstes auf die strikte Trennung zwischen Laien und Klerikern zu richten, wie es in der katholischen Kirche auf lange Zeit geschehen ist. Das führt zwangsweise zu Klerikalismus. Das haben wir ja erlebt.
Wir in der anglikanischen Kirche sind einen Weg gegangen, der am Ende zum Priesteramt und Bischofsamt für Frauen geführt hat. Im Hintergrund war und steht aber bei uns, wie auch jetzt bei den Katholiken, die Frage der Einbindung aller Getauften in das Leben der Kirche als höchste Priorität, egal ob man dem nun bestimmte Titel oder Funktionen gibt.
Dieser Prozess ist in der katholischen Kirche gerade sehr aktiv. Wenn Papst Franziskus Laien, Frauen und Männer als Mitglieder zur Synode beruft, dann ist das ein eindeutiges Zeichen dafür.
DOMRADIO.DE: Sie sagen es, auf der einen Seite beruft Franziskus Frauen zur Synode. Er hat auch wie kein Papst vor ihm Frauen auf Verantwortungsposten im Vatikan gesetzt. Andererseits verneint er nach wie vor den Schritt der Weihe für Frauen. Liegt darin nicht ein Widerspruch?
Wells: Da sehe ich nicht zwangsläufig einen Widerspruch. Ich bin sehr froh darüber, dass das Charisma von Frauen in der katholischen Kirche immer mehr Anerkennung findet. Wenn Frauen in welcher Form auch immer in Führungsrollen eingebunden werden, macht das die Kirche zu einem reicheren, tieferen und besseren Ort für alle.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.