DOMRADIO.DE: Es gab eine Zeit, in der auch Päpste mit Piraten im Mittelmeer zu tun hatten. Die machten den Päpsten das Leben schwer, bis sie sich im 15. Jahrhundert zur Wehr setzten. Was wollten die Piraten?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Buchautor): Das Mittelmeer ist in der Geschichte sehr von Piraten heimgesucht worden. Wer ein Fan von Asterix und Obelix ist, weiß aus fast jedem Heft, wie sich die gallischen Comichelden mit Piraten auseinandersetzen mussten.
Das wurde in lustiger Art und Weise aufgegriffen, aber in der Realität war das eine sehr ernste Angelegenheit. Wir wissen, dass die alten Römer und dass Pompeius einen Krieg gegen die Seeräuber führen mussten, um dieser Plage Herr zu werden.
Das hat natürlich auch die Päpste erreicht. Schon im 8. und 9. Jahrhundert sind sie damit konfrontiert worden. Papst Johannes VIII. ist sogar als Admiral gegen sie in den Krieg gezogen. Das ist bemerkenswert. Eine eigene Flotte bzw. eine Küstenwache haben die Päpste im 14., 15. und 16. Jahrhundert aufgebaut. Da haben sie auch Abenteuer erlebt, die eigentlich filmreif wären.
DOMRADIO.DE: Worum ging es den Piraten?
Nersinger: Es ging ihnen vor allem darum, fremde Schiffe zu entern. Aber auch darum, an Land zu gehen und dort die Menschen zu verschleppen und zu versklaven. Das war schon eine heftige Sache.
DOMRADIO.DE: Von was für Abenteuern sprechen Sie?
Nersinger: Gerade Julius II., den wir als sehr kriegserfahrenen und kriegerischen Papst kennen, hat etwas erlebt, was ihn für Monate in Rage versetzt hat. Da gab es eine päpstliche Galeere, die gemütlich auf einen Hafen zusteuerte.
In der Nähe war ein Korsarenschiff, ein Piratenschiff. Diese Piraten haben das päpstliche Schiff erobert und in der Ferne ein weiteres päpstliches Schiff gesehen. Dann haben die Piraten zu einer unglaublichen List gegriffen.
Sie haben die Besatzung unter Deck geschafft, sich deren Kleidung angezogen und das eigene Schiff wie als Beute an die Galeere angehangen. Und als dann das nächste päpstliche Schiff kam, haben sie das dann auch erobert.
Das hat Julius II. in Rage versetzt. Wir wissen aus den Schriften des päpstlichen Zeremonienmeisters, dass der Papst tagelang nicht ansprechbar war und wütend durch die Säle des Apostolischen Palastes gelaufen ist.
DOMRADIO.DE: Demnach hatten auch die Päpste eigene Flotten. Wie muss man sich denn diese Schiffe vorstellen?
Nersinger: Zunächst hatten sie, das verdanken sie Alexander VI. und seinem Vorgänger, eine Art Küstenwache aufgebaut. Sie hatten also noch keine richtige Flotte. Aber als das Problem immer größer wurde, hat Papst Sixtus V., der von 1585 bis 1590 regierte, dann etwas ganz Besonderes gemacht.
Als er die Kurie reformierte, hat er eine eigene Kongregation geschaffen. Die hatte den wunderschönen Namen “Heilige Kongregation für die Errichtung und Erhaltung einer Flotte zur Verteidigung des Kirchenstaates”.
Bevor diese Flotte aber aufgebaut war, sind 200 Piraten, darunter ein ganz gefürchteter Pirat, an der Küste des Kirchenstaates gelandet, ins Landesinnere eingedrungen und haben aus einer kleinen Ortschaft über 103 Personen verschleppt, von denen man nie wieder etwas gehört hat.
DOMRADIO.DE: So eine Flotte wird nicht ganz billig gewesen sein. Woher kam das Geld?
Nersinger: Er hat eine eigene Galeeren-Steuer erhoben. Die gab es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.
DOMRADIO.DE: Wie lange hat sich der Vatikan eine Streitmacht auf dem Wasser geleistet?
Nersinger: Beim Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert begann es, etwas abzuflauen. Dann hat man nur noch wenige Schiffe eingesetzt. Aber man hat dann die Küste mit Geschütztürmen ausgestattet.
Es gab aber trotzdem Überfälle von den Korsarenstaaten an der nordafrikanischen Küste. Aber die wurden mit der Zeit, im 19. Jahrhundert, zurückgedrängt.
DOMRADIO.DE: Glauben Sie, man könnte sich etwas von der Kampfstrategie der Päpste damals gegen heutige Piraten abgucken?
Nersinger: Im Jahre 2009 hat Papst Benedikt XVI. beim Angelus-Gebet auf die Gefahren der Piraterie hingewiesen, die auch in unserer Zeit Seeleuten und Fischern drohen.
Er hat natürlich keine Vorschläge gemacht, aber wenn man in die Geschichte der Päpste schaut, lag der Fokus auf einem robusten militärischen Vorgehen gegen dieses Problem. Nicht auf Verhandlungen. Ich denke, das ist es ja auch, was momentan die europäischen Staaten unternehmen, um dieses Problems habhaft zu werden.
Das Interview führte Carsten Döpp.