DOMRADIO.DE: Was ist konkret beschlossen worden?
Sebastian Knapp (Dozent beim Institut für theologische Zoologie): Es ist das sogenannte EU-Renaturierungsgesetz beschlossen worden. Es stellt einen Teil des "Green New Deals" (Bezeichnet Konzepte, mit denen der ökologische Umbau eines Wirtschaftssystems eingeleitet werden soll, um gesellschaftliche Herausforderungen (insbesondere den Klimawandel) zu bewältigen, Anm. d. Red.) der EU dar. Man möchte damit wahrscheinlich das, was man 2022 bei der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal versprochen hat, einzuhalten versuchen.
Konkret bedeutet das, dass die EU-Staaten mit diesem Gesetz sich dazu verpflichten, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Lebensräume in schlechtem Zustand wiederherzustellen. Das ist eine Art Staffelplan. Bis 2040 soll es auf 60 Prozent und bis 2050 auf 90 Prozent ausgeweitet werden.
Dieses Gesetz stellt insofern eine Besonderheit dar, dass es weltweit das erste Mal so ist, dass sich eine Staatengemeinschaft dazu verpflichtet, nicht nur zu bewahren, was noch da ist, sondern auch wiederherzustellen, was in schlechtem Zustand ist.
DOMRADIO.DE: Wird es bundesweit verbindliche Vorgaben zur Wiederherstellung der Natur geben?
Knapp: Bis jetzt gibt es die noch nicht in Deutschland. Es gibt keine bundesweiten, verbindlich gültigen Vorgaben zur Wiederherstellung der Natur. Dieses neue Gesetz kann eine gute Möglichkeit darstellen, diese kleinen Projekte, die es schon überall gibt, die auch von NGOs und Initiativen bereits vorangetrieben werden, zu bündeln und sie dadurch bundesweit voranzutreiben.
In einem Gesetz ist vorgeschrieben, dass die Mitgliedstaaten unter Einbeziehung der Öffentlichkeit erstmal nationale Renaturierungs-Programme erstellen, die dann von der EU-Kommission geprüft werden. Das soll zunächst in Deutschland stattfinden und wird hoffentlich in gebündelten, bundesweiten Vorgaben in den Bundesländern umgesetzt.
DOMRADIO.DE: Inwiefern soll es möglich sein, mit dem neuen Gesetz großflächig Ökosysteme wiederherzustellen?
Knapp: Das Gesetz ist da sehr ausgiebig. Es führt mehr als 30 konkrete Beispiele auf, welche Ökosysteme wiederhergestellt werden können. Dabei geht es um die Wiederherstellung aller Ökosysteme, also Wälder, Moore, Flüsse, Meere und Agrarsysteme. Das ist wirklich sehr breit gefächert. Jeder Bereich wird konkret behandelt, auch mit Hinblick darauf, welche Möglichkeiten man dort hat, um eine Renaturierung umzusetzen.
DOMRADIO.DE: Kann es nicht sein, dass man sich mit vielen Möglichkeiten verzettelt?
Knapp: Das Risiko ist natürlich immer da, dass man sich verzettelt. Aber die Lage ist so prekär, dass man dieses Problem an allen Ecken angehen muss, um die Natur wiederherzustellen, weil es, wie die Vergangenheit zeigt, nicht ausreicht, das, was man hat, nur zu erhalten. Wir müssen wirklich vorankommen und das großflächig umzusetzen.
DOMRADIO.DE: Ein Beispiel, was immer wieder genannt wird, sind die Moore. Davon haben wir nicht mehr genug. Ist unsere Fläche nicht mehr feucht genug?
Knapp: Die Moore sind wirklich ein sehr großes Problem, da die Moore eine sehr effiziente Art sind, CO2 zu binden. Daher ist diese Vertrocknung der Moore, gerade auch für die Landwirtschaft in vielen Teilen sehr gefährlich, weil allein sieben Prozent der deutschen CO2-Emissionen auf die Trockenlegung von Mooren zurückgehen. Es wäre eine sehr effiziente Möglichkeit, die Moore wieder zu durchnässen, um dadurch wieder CO2 zu binden.
DOMRADIO.DE: Warum gibt es Kritik, vor allem von Seiten der Landwirte?
Knapp: Aktuell gibt es sehr viele Bauern-Proteste und dabei wird auch auf dieses Gesetz eingegangen. Die Bauernverbände sehen damit die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft gefährdet. Gerade die Bürokratie-Auflagen, die damit verbunden sind und die Berichtspflichten, die auf die Landwirte wahrscheinlich zukommen werden, sind Punkte, welche die Landwirte sehr stark beschäftigen.
Diese Kritik wurde von der konservativen Fraktion im Europaparlament, der EVP-Fraktion, aufgenommen und darauf zum Teil berechtigt eingegangen. Aber es wurde in dem Prozess auch mit sehr viel Aufwand auf die Bauern zugegangen und ihre Kritik angenommen.
DOMRADIO.DE: Wo liegt bei diesem Gesetz und im Naturschutz sowie der Renaturierung der Natur die Verantwortung der Kirche?
Knapp: Die Verantwortung der Kirche ist da sehr vielfältig. Es fängt auf der lokalen Ebene an, dass das neue EU-Gesetz vorsieht, dass zum Beispiel Flächen in der Stadt als Blühwiesen genutzt werden sollen, um dadurch auch in der Stadt die Biodiversität zu gewährleisten.
Da können Pfarreien vor Ort einen sehr guten Beitrag leisten, weil doch viele Pfarreien Wiesen oder Grünflächen in den Innenstädten haben und diese dafür nutzen könnten.
Eine zweite Ebene wäre die der Bistümer und Landeskirchen. In Deutschland gehören 150.000 Hektar Wald den deutschen Kirchen. Diese in einen Prozess von Renaturierung mit einzubinden, ist unerlässlich. Das ist eine super Sache, wo die Kirche vielleicht auch ökumenisch gut funktionieren könnte.
Zuletzt fällt natürlich auch dem Vatikan eine große Pflicht zu. Der Papst macht schon viel, zum Beispiel mit "Laudate Deum" letztes Jahr. Dieses neue Dokument, das er veröffentlicht hat, leistet da einen großen Beitrag. Aber der Vatikan ist als einer der zwei Staaten weltweit nicht Teil der UN-Biodiversitätskonvention. Es wäre ein schönes Zeichen, wenn der Vatikan dieser Konvention beitreten würde.
Das Interview führte Dagmar Peters.