Im Jahre 1608 begann der Architekt Carlo Maderno mit dem Bau der Fassade von Sankt Peter. Eine überdimensionale Inschrift verrät, dass sie vier Jahre später im Pontifikat Papst Pauls V. (Camillo Borghese, 1605-1621) fertiggestellt wurde. Dreizehn Statuen – Christus, Johannes der Täufer und elf Apostel (ohne den heiligen Petrus), geschaffen von Bildhauern aus der Schule des Bernini – überhöhen die imposante Fassade des vatikanischen Gotteshauses. In ihrer Mitte unter dem Giebel öffnet sich zum Petersplatz hin eine allen Gläubigen vertraute Loggia.
Zu Ostern und Weihnachten spendet von hier aus der Papst den Apostolischen Segen. "Urbi et Orbi", auf die Stadt und den ganzen Erdkreis ruft er ihn an diesen Hochfesten feierlich und in lateinischer Sprache herab. Ist nach der Vakanz des Heiligen Stuhls ein neues Oberhaupt der katholischen Welt gewählt worden, wird der erfolgreiche Ausgang des Konklaves durch den Kardinalprotodiakon der Öffentlichkeit von der Benediktionsloggia verkündet. Dann zeigt sich der Papst erstmals den Gläubigen.
Woher kommt das "Urbi et Orbi"?
In der vorchristlichen Antike hatte der römische Dichter Ovid ausgerufen: "Andere Völker haben ein Gebiet mit festen Grenzen; nur bei dem römischen deckt sich die Stadt mit dem Erdkreis". Die heutige Segensformel greift diesen Gedanken auf und geht auf die Worte zurück, mit denen der Papst schon im frühen Mittelalter nach seiner Wahl die Insignien seiner Macht erhielt, "… ut praesis urbi et orbi – auf das Du vorstehst der Stadt und dem Erdkreis".
Mit dem Segen ist eine besondere Gunst verbunden ist ein vollkommener Ablass, der die Tilgung zeitlicher Sündenstrafen in sich birgt. Den Gläubigen erläutert ein Kardinaldiakon, der zur Rechten des Papstes steht, die Bedingungen für die Erlangung des Ablasses und die Vergünstigungen, die sich aus dessen Erteilung ergeben.
Nichts für zarte Stimmen
Heute kann sich der Kardinal über ein Mikrofon den Gläubigen verständlich machen. In vergangenen Tagen aber reichte auch eine kraftvolle Stimme kaum aus, um sich bei der Menge auf dem Petersplatz über einen längeren Zeitraum Gehör zu verschaffen. Darum trat der Kardinal nach seiner Rede einen Schritt an die Brüstung der Loggia heran und ließ das Ablassdekret samt einer Hand voll Kopien vom Balkon herabfallen. Abschriften des Dekretes waren aber auch an den Pforten der Basilika und den Säulen des Kolonnadenumgangs angeschlagen.
Das Erscheinen des Pontifex nach seiner Wahl auf dem wohl berühmtesten Balkon der Welt geschah in den vergangenen zweihundert Jahren jedoch bedeutend seltener, als man vermutet. So unterblieb die päpstliche "Premiere" auf der äußeren Loggia der Petersbasilika im ganzen 19. Jahrhundert. Denn die damaligen Papstwahlen fanden in Venedig oder im Quirinalspalast statt – bis auf eine einzige, die des Jahres 1878. Doch es war die Zeit, in der sich die Päpste als "Gefangene des Vatikans" sahen, da ihnen acht Jahre zuvor der Kirchenstaat genommen worden war. Von da an spendeten sie ihren Segen nur noch von der inneren Loggia in den den Petersdom hinein, so 1878, 1903 und 1914.
Eine Revolution im Vatikan
Erst Pius XI. (Achille Ratti, 1922-1939) entschloss sich nach seiner Wahl zu einem revolutionären Schritt. Als der Kardinalprotodiakon am 2. Februar 1922 den Namen des neuen Papstes verkündete, beeilten sich die Gläubigen in die Basilika zu strömen. Doch die Tore blieben zu ihrer Verblüffung verriegelt. Das Musikspiel der Päpstlichen Palatingarde auf dem rechten Kolonnadenflügel verhieß eine Veränderung. Pius XI. zeigte sich unter dem Jubel der Volksmenge auf der äußeren, der Welt hingewandten Loggia. Die Entscheidung des Papstes wurde als Vorzeichen der kommenden Versöhnung mit Italien gedeutet, die dann 1929 auch tatsächlich zustande kam.