"Ich bekomme Anrufe: Imam, kann ich Drogen verticken, während ich faste?" Der Satz ist Teil der Freitagspredigt von Imam Sheraz Rana, die er in der pakistanisch geprägten Ahmadiyya-Moschee Berlin-Pankow hält. Von der Minbar, der Predigtkanzel herab, hält er Drogengeschäfte grundsätzlich für wenig islamkonform. Vielmehr ruft er dazu auf, während des Fastenmonats Ramadan den heiligen Koran mindestens einmal durchzulesen. Der Andrang der Gläubigen ist so groß, dass seine Predigt per Lautsprecher in ein Außenzelt übertragen wird.
Politik gehört auch zu seiner Freitagspredigt: "Liebe Brüder, liebe Schwestern, denken Sie auch an die muslimischen Brüder im Gazastreifen, in der Westbank, in Palästina, die einen schwierigen Ramadan dieses Mal, noch schwieriger als in den letzten Jahren erleben."
Verhältnismäßigkeit im Gazakrieg
Rana ruft zur Verhältnismäßigkeit im Gazakrieg auf. Der Anschlag der Hamas auf Israel sei aber nicht verschwiegen worden, erklärt er im Interview. Seine Gemeinde habe den brutalen Überfall vom 7. Oktober verurteilt. Auch das religiöse Oberhaupt der Ahmadiyya-Gemeinden, Mirza Masroor Ahmad, habe sich so geäußert.
Das "dröhnende Schweigen" der Muslime zum Simchat-Thora-Massaker, wie es etwa deutsche Medien bemängelt hatten, könne man seiner Gemeinde nicht vorwerfen. Von London aus wird jeden Freitag die Ansprache des religiösen Oberhauptes live übertragen. Vorher habe er dann je nachdem 5 bis 25 Minuten Zeit, seine Predigt auf Urdu und Deutsch zu halten, sagt der Imam.
Keine Prüfung im Predigen
Sheraz Rana ist 28 Jahre alt und gebürtig aus Hessen. Seine Eltern kamen vor 30 Jahren aus Pakistan nach Deutschland. Seit Dezember 2023 ist er in Pankow tätig. Zuvor besuchte er sieben Jahre lang das Imam-Institut der Ahmadiyya-Gemeinschaft im hessischen Riedstadt. Dort habe es einen festen Lehrplan gegeben, erzählt Rana.
Die ersten beiden Jahre habe er vor allem Arabisch, Englisch, Urdu und Persisch gelernt. Im dritten Jahr folgte das Studium der Hadithe, der Überlieferungen über den Propheten Mohammed. Danach kamen die Geschichte und die Mystik des Islam. Bestehen konnte er die Prüfungen nur mit einer bestimmten Punktzahl. Ein Prüfungsfach Predigtlehre gab es aber nicht.
Kurze Predigt, langes Gebet
Wie er seine Predigt hält, darin sei er völlig frei, Rana. In der Regel beginnt er mit einer Koransure. "Die Ahmadiyya-Muslimgemeinde hat den Koran auch ins Deutsche übersetzt. Ich könnte ihn auch selbst übersetzen. Deutsch und Arabisch stehen nebeneinander, so dass ich meine eigene Übersetzung nochmals überprüfen kann", erzählt der Imam von seiner Predigtvorbereitung.
Anders als etwa in der Kirche gibt es keine Perikopenordnung, die eine Bibelstelle für die Sonntagspredigt vorschlägt. Zudem habe die Predigt in einer Moschee auch nicht ein solch großes Gewicht. Das Wichtigste sei das gemeinschaftliche Gebet. "Der Prophet hat gesagt, dass man möglichst eine kurze Predigt halten soll und das Gebet möglichst lang machen sollte!"
"Ein Mensch ist ein Mensch im Islam"
Dennoch nehme er seine Predigten ernst, sagt Imam Sheraz Rana. Denn es gehe um so etwas wie spirituelle Nahrung für die Gläubigen: "Es kann um das Leben nach dem Tod gehen. Über Ethik, Moral, Spiritualität, über Gottesdienst. Wie man sich innerhalb der Familie verhält. Die aktuelle Lage in der Welt. Die Leute merken, wenn jemand unvorbereitet ist oder nur die Zeit überbrücken möchte. Man muss das als Freitagsprediger wirklich ernst nehmen."
So ähnlich sieht es auch Abdallah Hajjir, Imam im Haus der Weisheit, eine Berlin-Moabiter Hinterhofmoschee, in die vor allem Muslime aus Syrien, Afghanistan, Jordanien, Palästina und den Maghreb-Staaten kommen. Auf Arabisch und Deutsch ermahnt auch er die Versammelten, den Ramadan zu halten und an die Menschen im Gazastreifen zu denken: "Egal, welche Menschen es betrifft: Muslime, Christen, Juden, Atheisten. Ein Mensch ist ein Mensch im Islam. Krieg ist doof!"
Feste Ordnung
Auch in seiner Gemeinde sei das Massaker der Hamas vom 7. Oktober verurteilt worden, beteuert der Imam im anschließenden Interview. Abdallah Hajjir wurde in Jordanien geboren und wohnt seit 1978 in Berlin. Der 66-Jährige ist Bauingenieur und Sozialpädagoge. Iman sei er schon seit seinem 18. Lebensjahr, sagt er. Er weiß, dass eine Freitagspredigt immer einer festen Ordnung folgen sollte.
"Es gibt wichtige Grundbestandteile. Man fängt an mit dem Namen Gottes. Dann folgt ein Bekenntniswort. Dann sollte man Gott danken. Dann wird Frieden und Segen auf alle Propheten ausgesprochen. Sowohl am Anfang als auch am Ende."
Positive Themen
Dazwischen ist gut 20 Minuten Zeit. In seiner Predigt will Hajjir vor allem positive Dinge vortragen, die Versammelten in ihrem Glauben bestärken und sie zu mehr Engagement in sozialen Dingen ermuntern. Religionskritik, geschweige denn Kritik am Islam, mag er nicht thematisieren.
"Man sollte mit Kritik leben. Das ist eine Welt, in der so viele Meinungen und Weltanschauungen sind. Das ist so auch im Sinne der Demokratie, der Meinungs- und Denkfreiheit. Gott zwingt uns nicht, an ihn zu glauben. Es gibt keinen Zwang im Glauben", erklärt Hajjir.
Bei einem Thema bleiben
Theologenwitze, wie sie manchmal in der Kirche erzählt werden, vermeidet er. Auch will er in seiner Predigt nicht provozieren oder gar schimpfen. Er wolle niemanden verunsichern. Schließlich säßen in der Moschee auch Kinder, auf die er Rücksicht nehmen müsse. Bei aller Freiheit gebe es aber dann doch muslimische Predigtlehren, in denen Tipps stehen, die auch christliche Prediger beherzigen könnten:
"Wichtig ist die Einheit in der Predigt. Nicht über tausend Themen reden, dass die Leute durcheinanderkommen. Konzentriert predigen über ein Thema. Die Stimme mal laut, mal leise, mal traurig, mal erfreulich. Und dass man mindestens eine schöne Geschichte erzählt. Denn Geschichten wirken mehr, als theoretische Grundlagen zu wiederholen", sagte der Imam.
Die Predigt und das gemeinsame Gebet sei eine Einladung an alle. Auch Nicht-Muslime seien Freitag für Freitag herzlich willkommen, bekräftigt Imam Abdallah Hajjir. Allein schon, damit man sich gegenseitig besser kennenlernt.