DOMRADIO.DE: Es ist bereits Ihre zweite Reise in die Ukraine. Sie waren wenige Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs dort. Was hat Sie dazu bewogen, wieder dorthin zu fahren?
Bischof Bertram Meier (Bistum Augsburg, Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz): Wenige Monate nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges war es eine Reise, die durchaus Schlagzeilen gemacht hat: Der erste deutsche Bischof ist in der Ukraine unterwegs!
Aber wir wollen nicht nur Schlagzeilen machen. Es geht uns darum, Beziehungen zu vertiefen, neue Beziehungen zu knüpfen und den Menschen zu zeigen, dass wir ihnen nahe bleiben im großen, global ausgespannten Netz der Weltkirche. Deshalb hatte diese Reise eine doppelte Zielsetzung. Auf der einen Seite bestehende Freundschaftsbeziehungen noch fester zu machen und gleichzeitig uns zu informieren, was sich in der Ukraine tut in einem Krieg, der schon ins dritte Jahr gegangen ist.
DOMRADIO.DE: Nun haben Sie Vertreter von kirchlichen Partnern in der Ukraine getroffen. Wie wichtig ist es für die Partner der Kirchen, dass sie aus Deutschland Unterstützung erfahren?
Meier: Kirche ist kein Inseldasein. Keine einzelne Kirche hat die Existenz von Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel. Wenn es einer Kirche schlecht geht, dann leidet eine andere mit. Deshalb war es eine Solidaritätsreise. Uns kann es nicht gleichgültig sein, wie es den Christinnen und Christen in der Ukraine geht. Deshalb waren wir dort.
Wir haben uns nicht nur mit den griechisch-katholischen oder den römisch-katholischen Kirchenvertretern getroffen, sondern haben auch ökumenische Partner aufgesucht. Das ist sehr schön gewesen, dass wir im Haus des griechisch-katholischen Großerzbischofs Swjatoslaw Schewtschuk Gäste waren.
Wir hatten auch ein Gespräch mit der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, die in einer sehr schwierigen Situation ist, auch politisch. Der Besuch ist ein Zeichen der Communio, der Kirche als Gemeinschaft. Wer die Communio pflegt, der muss auf Kommunikation setzen.
DOMRADIO.DE: Sie haben auch Menschen aus der Bevölkerung getroffen. Was haben Sie von denen erfahren?
Meier: Ich möchte hierbei eine Begegnung herausgreifen, die uns als Delegation tief bewegt hat. Am Sonntag waren wir auf einem großen Friedhof. Ein Teil des Friedhofes ist dort den gefallenen Soldaten gewidmet. Wir sind durch die Gräberreihen gegangen. Der zuständige Pfarrer und viele Angehörige waren mit dabei.
Es war eigentlich so etwas wie ein Gräberbesuch, den wir an Allerheiligen im katholischen Ambiente machen. Es war tief bewegend und auch erschütternd, die zum Teil jungen Mütter zu treffen, die ihren Partner oder ihren Sohn beklagen. Oder auch Großeltern, die ihre Enkel beklagen. Diese Gräber müssen Sie sich so vorstellen, dass sie schöne Steinplatten haben, oft auch mit Bildern der gefallenen Soldaten. An jedem Grab weht eine ukrainische Staatsflagge. Sie haben ihr Leben hingegeben für ihr Land, für die Heimat, die sie verteidigen wollten. Sie haben an der Front ihr Leben lassen müssen. Zum Teil waren das junge Männer mit Anfang 20. Das war tief erschütternd. Ich habe vor den Gräbern einzeln gebetet, habe die Gläubigen gesegnet. Das war ein sehr tiefes Erlebnis nicht nur für die Menschen dort, sondern auch für mich ganz persönlich. Denn auch ein Bischof ist und bleibt Priester, Hirte und Seelsorger.
DOMRADIO.DE: Welche Hoffnung kann die Kirche den Menschen geben?
Meier: Zunächst ist schon eine veränderte Stimmungslage festzustellen. Vor zwei Jahren gab wesentlich mehr Zuversicht, diesen Krieg gewinnen zu können. Da hat sich manches geändert. Es ist zum Teil eine triste Stimmung, ein großer Realismus, der auch davon ausgeht, dass aus einem Bewegungskrieg nun ein langwieriger Stellungskrieg erwachsen ist.
Aber es ist auch klar, dass viele Menschen, das haben unsere Gesprächspartner uns immer wieder gesagt, ihr Land weiterhin verteidigen wollen. Das geht insofern schlecht, weil es im Rahmen der Rekrutierungsmaßnahmen immer schwieriger wird, Menschen für die Armee zu finden. Gleichzeitig gehen die Waffen und die Munition aus.
Ich glaube, wir müssen das eine tun, ohne das andere zu lassen. Mit allen Mitteln die Ukrainer in ihrem Kampf unterstützen und gleichzeitig versuchen, Türen des Dialoges zu erschließen und, wenn sie da sind, auch zu öffnen. Beides gehört eng zusammen.
Ich glaubte auch eine gewisse Distanznahme zu Präsident Wolodymyr Selenskyj herauszuhören.
DOMRADIO.DE: Warum Distanznahme zu Selenskyj ?
Meier: Am Anfang war Wolodymyr Selenskyj fast eine Art Volksheld, so wurde es immer wieder gesagt. Jetzt ist es aber so, dass er anscheinend mit ganz wenigen Leuten im innersten Zirkel der Regierung regiert. Gerade Kirchenvertreter haben den Eindruck, dass sie von ihm wenig als Faktor wahrgenommen werden.
Er hat zum Beispiel die katholischen Bischöfe nach Ostern zu einem Empfang eingeladen. Aber das wurde von einem Gesprächspartner mehr als Fototermin empfunden als eine richtige Auseinandersetzung mit der politischen und kriegerischen Situation der Ukraine. Das spricht Bände.
DOMRADIO.DE: Ganz aktuell wird diskutiert, ob die russisch-orthodoxe Kirche, die massiv Putins Angriffskrieg unterstützt, aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen ausgeschlossen werden könnte oder sollte. Was halten Sie davon?
Meier: Das ist eine Frage, die gerade in der Ökumene sehr drängend ist. Aber wichtiger für die Ukraine ist die Frage, wie die ukrainisch-orthodoxe Kirche dasteht. Für die ist das wirklich ein Spagat. Auf der einen Seite hat sie Verbindungen zur russisch-orthodoxen Kirche und zu Patriarch Kyrill. Auf der anderen Seite ist sie aber auch auf der Seite des Volkes in der Ukraine. Das ist das Entscheidende, was die Ukrainer mehr bewegt als die Frage, ob der Weltkirchenrat die russisch-orthodoxe Kirche ausschließen sollte.
DOMRADIO.DE: Nun neigt sich Ihre Reise dem Ende zu. Was nehmen Sie mit nach Deutschland?
Meier: Ich nehme zwei Dinge mit. Das erste ist, dass die Kirche in der Ukraine lebt. Ja, die Kirchen leben. Ich hatte gestern in der Nähe von Lemberg die Gelegenheit, mit dem dortigen römisch-katholischen Erzbischof eine kleine Pfarrkirche einzuweihen.
Ich nehme mit, dass auch in Tagen des Krieges die Menschen zeigen, dass sie den christlichen Glauben leben und praktizieren wollen. Der christliche Glaube lebt.
Das zweite ist, dass ich auch weiter sagen werde: "Bitte gewöhnen wir uns nicht an den Krieg in der Ukraine. Die Menschen brauchen unsere Hilfe, sie brauchen unsere Gebete. Sie brauchen tatkräftige Hilfe der Solidarität, auch Lebensmittel. Ich denke, da dürfen wir auf keinen Fall nachlassen. Sie brauchen auch Kontakte zu uns. Ich möchte an diesem Netzwerk der Weltkirche weiter anknüpfen, auch in die Ukraine hinein.
Das Interview führte Johannes Schröer.