Historiker Rudolf Morsey im Alter von 96 Jahren gestorben

Experte des politischen Katholizismus

Einer der profiliertesten deutschen Zeithistoriker ist tot. Rudolf Morsey hatte ein Faible für die Lebenswege fast vergessener Persönlichkeiten und ein legendäres Gedächtnis. Jetzt ist der Speyerer Historiker mit 96 Jahren gestorben.

Autor/in:
Christoph Arens
Lupe vor einem alten Buch  (shutterstock)

Er galt als "Akten-Spürhund", der sich streng an den Quellen orientierte. Seine Arbeitskraft, sein Gedächtnis und seine Produktivität sind legendär. 

Seine Veröffentlichungen zur Parlaments- und Parteiengeschichte der Weimarer Republik und der frühen Bundesrepublik, zur Verwaltungsgeschichte des Bismarckreichs, zur NRW-Landesgeschichte sowie zum politischen Katholizismus sind vielfach Standardwerke geworden. 

Bereits am 14. Mai ist Rudolf Morsey, der zuletzt in Speyer lehrte und in Neustadt an der Weinstraße lebte, im Alter von 96 Jahren gestorben.

Kenner Konrad Adenauers

Neben Hans-Peter Schwarz galt er als einer der besten Kenner Konrad Adenauers und betreute zusammen mit Schwarz die Herausgabe von Adenauers Nachlass (Rhöndorfer Ausgabe). 

Der Präsident des Parlamentarischen Rates, Dr. Konrad Adenauer, bei der Unterzeichnung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 (dpa)
Der Präsident des Parlamentarischen Rates, Dr. Konrad Adenauer, bei der Unterzeichnung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 / ( dpa )

Führend war er auch bei der Analyse der tragischen Politik des Zentrums-Kanzlers Heinrich Brüning (1930-1932), dessen Sparpolitik zur Verelendung vieler Deutscher führte und Adolf Hitler den Weg ebnete. Gerechtigkeit wollte Morsey dem oft verkannten zweiten Präsidenten der Bundesrepublik, Heinrich Lübke, widerfahren lassen. 

Seine 1996 erschienene Biografie führte aber nicht zu positiven Neubewertung.

Vertreter der "skeptischen Generation"

Geboren 1927 in Recklinghausen, erlebte Morsey schon früh am eigenen Leib die Auswirkungen der großen Politik. Weil sein Vater sich weigerte, der NSDAP beizutreten, verlor Morsey Senior seine Stellung bei der AOK in Dortmund. Die Familie musste nach Münster umziehen.

Morsey gilt als ein Vertreter der "skeptischen Generation". Das Kriegsende erlebte er als 17-jähriger Flaksoldat. 1945 geriet er in US-Gefangenschaft; erst 1947 konnte er in Münster das Abitur nachholen und mit dem Studium beginnen.

Eine Ausgabe der Reichsverfassung aus dem Jahr 1919 im Haus der Weimarer Republik / © Martin Schutt (dpa)
Eine Ausgabe der Reichsverfassung aus dem Jahr 1919 im Haus der Weimarer Republik / © Martin Schutt ( dpa )

Wegweisend für seine Karriere wurde die Begegnung mit dem Münsteraner Prälaten und Kirchengeschichtler Georg Schreiber, einem maßgeblichen Kulturpolitiker des Zentrums in der Weimarer Republik. 

Er forschte zum politischen Katholizismus

 Mit seiner Unterstützung fand Morsey den Einstieg in eines seiner wichtigsten Forschungsfelder, den politischen Katholizismus vom Beginn des Kaiserreichs bis in die frühe Bundesrepublik.

1955 wurde Morsey mit einer Arbeit über die oberste Reichsverwaltung unter Bismarck promoviert. Seine Habilitation an der Universität Bonn erfolgte 1965 mit einer Arbeit über die Zentrumspartei zwischen 1917 und 1923. Von 1968 bis 1998 stand Morsey der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Bonn vor. 

Im Museum Koening in Bonn werden am 1. September 1948 die Beratungen des Parlamentarischen Rates zur Ausarbeitung des Grundgesetzes mit einem Festakt eröffnet / © Erna Wagner-Hehmke/Haus der Geschichte (dpa)
Im Museum Koening in Bonn werden am 1. September 1948 die Beratungen des Parlamentarischen Rates zur Ausarbeitung des Grundgesetzes mit einem Festakt eröffnet / © Erna Wagner-Hehmke/Haus der Geschichte ( dpa )

Bereits 1966 erhielt er einen Lehrstuhl an der Universität Würzburg, 1970 wechselte er an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, deren Rektor er 1972/73 war. Speyer blieb er auch nach der Emeritierung 1996 verbunden.

Als Zeitgeschichtler spezialisierte sich Morsey auf Institutionen und Persönlichkeiten der obersten Reichs- und Bundesebene, auf Fragen des politischen Katholizismus sowie der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. Einen Schwerpunkt bildeten dabei das Scheitern der Weimarer Republik und das Ende der deutschen Parteien 1933. 

Dabei machte Morsey das damals wenig beachtete Ja des Zentrums zu Hitlers Ermächtigungsgesetz weithin bekannt. Forschungen zur Entstehung und Entwicklung der Bundesrepublik fasste Morsey in dem 1987 erstmals erschienen Studienhandbuch "Die Bundesrepublik Deutschland 1945/49-1969" zusammen. Er war Mitherausgeber der Edition der Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik.

Dem deutschen Katholizismus hielt der Historiker in den 70er und 80er Jahren Traditionsschwund und ein mangelndes politisches und soziales Gedächtnis vor. 

Bis zuletzt wissenschaftlich aktiv 

Auch deshalb engagierte sich der Vater von vier Kinder in Gremien wie der Görres-Gesellschaft, einer katholischen Wissenschaftler-Vereinigung. 1962 gehörte er zu den Mitgründern der ebenfalls katholisch geprägten Kommission für Zeitgeschichte in Bonn.

Bis ins hohe Alter blieb Morsey wissenschaftlich aktiv. 2016 legte er eine Biografie über das an Wendungen reiche Leben des Hitler-Gegners und katholischen Journalisten Fritz Gerlich vor, der im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches 1934 im Konzentrationslager Dachau erschossen worden war.

Görres-Gesellschaft

Von einer Gruppe katholischer Forscher und Publizisten im Jahre 1876 gegründet, ist die Görres-Gesellschaft eine der ältesten deutschen Wissenschaftsgesellschaften. Der Gesellschaft gehören derzeit rund 3.000 Mitglieder an, die in 20 wissenschaftlichen Fachbereichen bzw. Sektionen organisiert sind.

Symbolbild Wissenschaft, Mathematik / © metamorworks (shutterstock)
Symbolbild Wissenschaft, Mathematik / © metamorworks ( shutterstock )
Quelle:
KNA