DOMRADIO.DE: Antisemitische Übergriffe in Deutschland haben seit dem 7. Oktober stark zugenommen. Sie sprechen für den christlich-jüdischen Dialog in Thüringen. Wie gehen Sie damit um?
Julia Braband (Evangelische Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Thüringen): Gerade nach dem 7. Oktober merken wir, dass die Übergriffe zugenommen haben und sich Jüdinnen und Juden in unserer Gesellschaft mehr und mehr zurückziehen. Ich merke schon, dass es schwieriger geworden ist, ins Gespräch zu kommen, miteinander unterwegs zu sein und christlich-jüdischen Dialog zu fördern. Auch einzufordern. Nicht nur innerhalb der Kirche sondern auch in der Gesamtgesellschaft.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt das Thema auf dem Katholikentag?
Braband: Das spielt eine große Rolle. Es gibt ein "Zentrum christlich-jüdischer Dialog" mit verschiedenen Veranstaltungen, auch zum Thema Antisemitismus. Dort wird aber zum Beispiel auch eine Gemeinschaftsfeier abgehalten. Darauf freue ich mich sehr.
Gleichzeitig habe ich aber auch gemerkt, dass das Thema bei der Eröffnung gar keine Rolle spielte. Kein Mensch jüdischen Glaubens war bei der Eröffnungsveranstaltung involviert. Es gab kein Wort zum Thema Antisemitismus. Das hätte ich mir eigentlich gewünscht.
DOMRADIO.DE: Das wäre ja auch gerade in diesen Zeiten angebracht.
Braband: Unbedingt. Das ist wichtiger denn je, gerade auch hier in Thüringen.
DOMRADIO.DE: In Erfurt wurde vor wenigen Wochen auch der erste „Stolperstein“ gelegt. Eine Aktion, die seit Jahrzehnten an jüdische Mitmenschen erinnert, die im Holocaust ermordet wurden. Warum hat das in Erfurt so lange gedauert?
Braband: Es gab eine andere Form des Gedenkens, sogenannte Gedenknadeln. Man hat sich damals gegen Stolpersteine entschieden. Jetzt gab es aber noch mal ein breit angelegtes Forum der Stadt Erfurt. Wir haben überlegt, ob Stolpersteine nicht doch eine Möglichkeit wären. Der Katholikentag hat da auch ein wenig Druck auf die Stadt Erfurt ausgeübt. Ich freue mich, dass es jetzt auch bei uns den ersten Stolperstein geben wird. Paten werden Schülerinnen und Schüler der Edith-Stein-Schule.
DOMRADIO.DE: Nun sind Sie zuständig für den christlich-jüdischen Dialog in Thüringen. Wie ist es um den denn bestellt?
Braband: Der ist sehr vielfältig. Wir haben verschiedene Festivals, die teilweise auch von der jüdischen Landesgemeinde geleitet werden. Gleichzeitig gibt es uns als Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Wir sind mit vielen im Gespräch, bieten Veranstaltungen an und versuchen aufzuklären.
Gleichzeitig ist es mir ein Anliegen, dass wir nicht erst im Erwachsenenalter darüber reden, was Antisemitismus bedeutet, sondern viel früher schon mit der Arbeit anfangen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.