Einsamkeit als "Killer Nummer eins", als großes gesellschaftliches und wirtschaftliches Problem sowie ein Anzeichen für mangelndes Grundvertrauen: Auf der Jahrestagung des Deutschen Ethikrats haben sich Experten unterschiedlicher Fachrichtungen und Teilnehmer zum Thema Einsamkeit ausgetauscht. Dabei gab es hinsichtlich der Frage, ob Einsamkeit zugenommen hat, unterschiedliche Positionen.
Die Soziologin Sabine Diabate vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung verwies auf aktuelle Erhebungen wie das Einsamkeitsbarometer, wonach Einsamkeit in der Corona-Pandemie vor allem bei Jüngeren deutlich angestiegen und nicht wieder auf das Vor-Pandemie-Niveau gesunken sei.
Risikofaktoren seien unter anderen das Alleinleben, schlechte Gesundheit, aber auch ein Migrationshintergrund. Besonders einsam und öfter zurückgewiesen fühlten sich etwa Menschen aus Afrika.
Tödliche Einsamkeit
Der Psychiater Manfred Spitzer betitelte Einsamkeit als "Killer Nummer eins". Einsamkeit sei "tödlich, ansteckend und schmerzhaft", sagte der Ulmer Hirnforscher. Breit angelegte Studien hätten gezeigt, dass Einsamkeit die Sterblichkeit in stärkerem Ausmaß steigere als bekannte einzelne Risiken wie Rauchen, Übergewicht oder Bluthochdruck.
So verursache Einsamkeit Stress und führe zu weiteren gesundheitlichen Problemen. Zugleich zeigten wissenschaftliche Untersuchungen, dass Einsamkeit schmerzhaft sei. "Das Schmerzzentrum geht an, wenn man einsam ist", so Spitzer.
Im ersten Moment ist Einsamkeit nach Aussage der Psychologin Maike Luhmann von der Ruhr Universität Bochum nicht per se negativ. "Einsamkeit ist wie Hunger und Durst – fühlt sich nicht gut an, aber führt dazu, dass wir etwas unternehmen und mit anderen in Kontakt treten", so Luhmann. Problematisch sei es, wenn daraus eine Negativspirale entstehe. Dieses Empfinden habe bei jüngeren Menschen nach der Pandemie beunruhigend zugenommen. Wer früher einsam sei, leide später und länger darunter.
Schwerwiegende Folgen
Einsamkeit habe schwerwiegende gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen, so Luhmann. Etwa weniger politisches Engagement, Neigung zu Verschwörungstheorien oder mehr Krankentage und schlechtere Arbeitsleistungen. In den USA sei geschätzt worden, so Luhmann, dass der wirtschaftliche Schaden von Einsamkeit 154 Milliarden US-Dollar im Jahr betrage.
Die Psychologin rief dazu auf, dem gesellschaftlichen Miteinander wieder mehr Bedeutung zu geben. Spitzer sagte, dass die Kirchen und Religionen viel Erfahrung mit Einsamkeit und dem Umgang damit hätten.
Fehlendes Grundvertrauen
Aus Sicht des norwegischen Philosophen und Autor Lars Svendsen hat Einsamkeit übergreifend hingegen nicht zugenommen, auch wenn er hierzu keine Studie oder Erhebung nannte. "Es gibt kaum Grund zu der Annahme, dass die Einsamkeit heute stärker verbreitet ist als vor 40 oder 140 Jahren", sagte Svendsen. Die Corona-Pandemie, insbesondere der zweite Lockdown, seien eine Ausnahmesituation gewesen. Allerdings sei die Sorge über Einsamkeit größer.
Einsamkeit sei dabei zu unterscheiden von Alleinsein, betonte Svendsen. Letzteres falle den Menschen heute unter Umständen schwerer als früher. Darüber hinaus sei chronische Einsamkeit oft Folge einer individuellen Konstitution. Um diese zu überkommen, müssten die Betroffenen auch an sich selbst arbeiten. Laut Svendsen ist der größte Faktor für Einsamkeit fehlendes Grundvertrauen, insbesondere in Andere und die Gesellschaft als Ganzes.
Auch der emeritierte Kassler Soziologe Heinz Bude erkennt keinen signifikanten Anstieg an Einsamkeit, aber eine andere gesellschaftliche Wahrnehmung und sich wandelnde gesellschaftliche Umstände – etwa durch Soziale Medien.