DOMRADIO.DE: Einsamkeit kann jeden treffen, oder?
Eva Maria Welskop-Deffaa (Präsidentin des Deutschen Caritasverbands): Das stimmt leider Gottes. Die steigende Einsamkeit ist so was wie die Zwillingsschwester der hohen Individualitätserwartungen unserer Gesellschaft. Es kann wirklich jeden treffen, Junge und Alte, auch Menschen in der Lebensmitte. Allerdings trifft es die ganz jungen und die ganz alten Menschen statistisch doch etwas öfter.
DOMRADIO.DE: Bei den Alten kann man es noch verstehen. Aber bei den Jungen, die tausendfach vernetzt sind, fragt man sich, warum es gerade die trifft, oder?
Welskop-Deffaa: Man könnte fast sagen, es trifft sie genau deswegen, weil sie tausendfach vernetzt sind. Es geht nicht ums Alleinsein, sondern ein Stück weit um das gefühlte Unverstandensein. Insofern besteht eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen und den Realitäten.
Wenn man denkt, man müsste 1.000 Follower haben, hat aber nur 500 und bekommt vielleicht zu wenig Likes, dann ist das vielleicht schon der Anfang einer Spirale, die am Ende in diesem Gefühl des Unverstandenseins endet, mit tiefem Einsamkeitsgefühl und nicht selten auch mit psychischen Erkrankungen und Depressionen. Da dreht sich manchmal die Spirale immer weiter.
DOMRADIO.DE: Erkannt worden ist das Problem schon vor einiger Zeit. Die Bundesregierung hat die Strategie gegen Einsamkeit entwickelt. Können Sie beschreiben, was diese Strategie im Groben beinhaltet?
Welskop-Deffaa: Wir sind als Caritasverband in einer schwierigen Lage. Einerseits freuen wir uns, dass die Bundesregierung es zum Thema einer eigenen Strategie gemacht hat. Bislang enthält die Strategie aber vor allen Dingen Maßnahmen, die ohnehin schon beschlossen waren, die auf die Überwindung der Einsamkeit einzahlen sowie gute Absichtserklärungen.
Dieses Einsamkeitsbarometer, was statistisch noch mal besser nachvollziehbar macht, was und wo Einsamkeit sich entwickelt, ist zu wenig und braucht substanziell neue Schritte.
Man braucht auch neue Ressourcen. Das ist natürlich unter den heutigen Haushaltsbedingungen außerordentlich schwierig, um nicht zu sagen prekär. Wir befürchten sogar dramatische Einschnitte in das vorhandene Netz unserer sozialen Dienstleistungen. Wenn dann das Familienzentrum oder die Seniorenbegegnungsstätte auf der Streichliste der öffentlichen Hände steht, dann wird es zunehmend gefährlich, dass Einsamkeit keine Hilfe erfährt.
DOMRADIO.DE: Seit Montag läuft die Aktionswoche "Gemeinsam aus der Einsamkeit". Was ist der Kern des Ganzen?
Welskop-Deffaa: Vor allen Dingen freuen wir uns, dass wir selber mit dem Fachverband Malteser an diesem Dienstag eine große Veranstaltung dazu in Berlin machen. Die Aktionswoche hat Montag begonnen, wo wir mit hochrangigen Experten diskutieren, welche Maßnahmen dringend anstehen.
Wir bringen unsere Erfahrungen aus den letzten Jahren ein, gerade auch aus den Corona-Jahren, wo zum Beispiel unsere Young Caritas die Briefe gegen Einsamkeit erfunden hat. Sie werden bis heute weitergeführt. Alte Menschen in unseren Einrichtungen bekommen von jungen Leuten aus der Young Caritas Briefe, über die sie sich so freuen, dass unsere Beschäftigten sagen, dass dann der ganze Tag durch dieses kleine Zeichen der Verbundenheit überstrahlt ist.
DOMRADIO.DE: Diese Briefe gegen Einsamkeit sind ein Baustein der Caritas im Kampf gegen das Thema Einsamkeit. Vor Ort wird noch viel mehr gemacht. Über welche Projekte können Sie noch etwas erzählen?
Welskop-Deffaa: Das Allerwichtigste ist die soziale Infrastruktur vor Ort. Ich sprach schon die Seniorentreffs oder Familienberatungsstellen an. Diese Orte müssen fußläufig leicht erreichbar sein. Wir setzen darauf, dass das professionelle und das ehrenamtliche Engagement in dieser sozialen Infrastruktur gemeinsam die nötige Erreichbarkeit sichert.
Wir werden noch mal die Ehrenamtlichen in den Mittelpunkt stellen, die mit ihren Besuchsdiensten, mit ihren Begleitdiensten, mit ihren Hilfen beim Ausfüllen von Formularen ein ganz wichtiger Baustein in diesem Netz gegen Einsamkeit sind.
DOMRADIO.DE: Blicken wir nochmal auf die Strategie der Bundesregierung gegen die Einsamkeit. Die Haushaltspläne laufen im Moment. Welche Hoffnung und welche Befürchtung haben Sie?
Welskop-Deffaa: Wir haben schon die Befürchtung, dass angesichts der überschießenden Anmeldungen der Haushaltsressorts im Verhältnis zur Schuldenbremse auch bei den sozialen Ressorts gespart werden könnte. Das sollte man der Bundesregierung noch mal sagen. Und das sagen wir auch jeden Tag. Die Einschnitte ins soziale Netz lassen sich nicht schnell wieder flicken, sondern im Gegenteil. Es entsteht häufig ein Dominoeffekt.
Und wenn sowohl im analogen wie auch im digitalen Raum plötzlich Angebote nicht mehr erreichbar sind, dann finden Menschen sie auch morgen und übermorgen nicht mehr, wenn sie womöglich wieder aufgebaut werden. Man sollte hier die Verlässlichkeit und die Nachhaltigkeit zum zentralen Maßstab dessen machen, was im Bereich der sozialen Infrastruktur gilt.
Das Interview führte Bernd Hamer.