Vatikan ist seit 50 Jahren im Dialog mit der modernen Kunst

"Wir brauchen Euch Künstler"

Vor einem halben Jahrhundert öffnete sich der Vatikan für Gegenwartskunst. Keine Kleinigkeit, schließlich widmeten sich die Vatikanischen Museen zuvor vor allem den klassischen Epochen. Das ist in einem neuen Band nachzulesen.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Vatikanische Museen / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Vatikanische Museen / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Papst Paul VI. war nicht einmal ein Jahr im Amt, als er am 7. Mai 1964 eine denkwürdige Initiative startete: Er lud die Welt der Kunst in die Sixtinische Kapelle ein, um für einen Dialog zu werben. "Wir brauchen Euch", appellierte er an die versammelten Künstler. 

Denn der Auftrag der Kirche sei es, das Unsichtbare, Unaussprechliche und damit die Welt Gottes verständlich zu machen. "Und darin seid ihr Meister." Die Kunst sei in der Lage, Schätze aus dem Himmel des Geistes zu stehlen und sie mit Worten, Farben und Formen zugänglich zu machen, so Giovanni Battista Montini, der für viele vor allem als Papst, der das Pillenverbot erließ, in Erinnerung ist.

Sixtinische Kapelle von Innen / © Giampaolo Capone (dpa)
Sixtinische Kapelle von Innen / © Giampaolo Capone ( dpa )

Seine Initiative hatte Erfolg. Viele Künstler nahmen die Einladung des Papstes zum Dialog an - auch, indem sie dem Vatikan eigene Werke überließen. Dies mündete in die Gründung einer gesonderten Abteilung, die offiziell am 21. November 1973 eröffnet wurde. Daran erinnert nun das neue Buch "Contemporanea 50: Die Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst der Vatikanischen Museen 1973-2023", das am Donnerstagabend vorgestellt wurde.

"Die Sammlung stellt das schlagende Herz eines politischen und kulturellen Projekts dar, mit dem wir uns im 20. Jahrhundert einem entscheidenden Thema widmen wollten: der Verbindung zwischen Kirche und zeitgenössischer Kultur, zwischen Glaube und Kunst", sagte Kuratorin und Autorin Micol Forti.

Wichtige Kollektion

Barbara Jatta, Direktorin der Vatikanischen Museen, betonte, wie wichtig diese jüngste Sammlung für ihr Haus sei. Inzwischen umfasst die Kollektion über 9.000 Werke praktisch aller Gattungen, vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute. Darunter sind Gemälde, Skulpturen, Buntglasfenster, Wandteppiche, Drucke, Fotografien, Installationen, Videokunst und Architekturmodelle. Von Anfang an habe man auf ein Gleichgewicht zwischen Tradition und Innovation geachtet, betonte Jatta.

Ein Museum sei kein "prachtvoller Friedhof", sagte Paul VI. am 23. Juni 1973 bei der Einweihung des neuen Schwerpunkts. Vielmehr sei es ein lebendiger Körper, ein Ort, wo Gegenwart und Vergangenheit, Bewahrung und Kreativität, sich zu einer geheimnisvollen und tiefen Verbindung vereinigten.

Geheimisvoll und rätselhaft

Einige der vom Vatikan gesammelten Werke dürften manchem Kunstliebhaber zu geheimnisvoll und rätselhaft für sakrale Kunst sein. So etwa das Aquarell "Maternita" (1974) von Venturino Venturi, das nur aus abstrakten roten Formen besteht. Auch am "Gekreuzigten" (2002) von Mimmo Paladino dürften manche Anstoß nehmen. Bei der Skulptur "Pieta" (1965) von Tito Amodei fehlen Maria und Jesus teilweise Arme und Beine. Jesus scheint auf dem Schoß seiner Mutter zu balancieren.

In dem neuen Buch sind all diese Kunstwerke abgebildet. Zudem enthält es Aufsätze über die Beziehung zwischen Kunst und Glauben, die sich während der verschiedenen Pontifikate gefestigt haben. Weiter werden Ausstellungen, wertvolle Neuerwerbungen, die Teilnahme an wichtigen Konferenzen sowie an großen Ausstellungen wie etwa der Biennale dokumentiert.

Auf der Biennale

Bei der 55. Kunstbiennale 2013 war der Vatikan mit Werken von Tano Festa vertreten, die unter der Überschrift "In Principio" (Im Anfang) das Motiv des Adam aus Michelangelos berühmten Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle aufnahmen. Anlässlich des Heiligen Jahrs 2000 gab Johannes Paul II. die Skulptur "Varcare la soglia" ("Die Schwelle überschreiten") von Giuliano Vangi in Auftrag.

Zu den bekanntesten Namen in der Sammlung gehören Vincent van Gogh, Francis Bacon, Marc Chagall, Carlo Carra, Giorgio de Chirico, Giacomo Manzu, Giuseppe Capogrossi, Alberto Burri und Henri Matisse, dem - dank der großzügigen Schenkung seiner Familie - seit 2011 ein eigener Saal gewidmet ist.

Blick auf die Wandmalerei "Father" vom Künstler Maurizio Cattelan, eine Präsentation des Vatikan-Pavillons auf der Biennale an der Hauptfassade des Frauengefängnisses Giudecca in Venedig  / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Blick auf die Wandmalerei "Father" vom Künstler Maurizio Cattelan, eine Präsentation des Vatikan-Pavillons auf der Biennale an der Hauptfassade des Frauengefängnisses Giudecca in Venedig / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )

Zum 50. Gründungstag der Sammlung im vergangenen Jahr hatte Papst Franziskus Künstler in die Sixtinische Kapelle eingeladen und die Bedeutung der Beziehung zwischen Kirche und Kunst bekräftigt, die "natürlich und besonders" sei.

In der zeitgenössischen Kunst seien Verweise auf Gott sicherlich unklarer und unberechenbarer geworden, schreibt der Präfekt des Dikasteriums für Kultur und Bildung, Kardinal Jose Tolentino de Mendonca, in dem neuen Buch. Aber paradoxerweise komme man auf diese Weise einer authentischen Suche nach Gott näher. Die Gegenwartskunst versäume es nicht, "das Wunder des Heiligen zu offenbaren".

Kirche und Kunst

Die Kirche war über Jahrhunderte hinweg die maßgebliche Institution zur Förderung von Kunst und Kultur. Neue Baustile und Techniken fanden meist in Architektur und Ausstattung sakraler Gebäude ihre Erstanwendung. Wenngleich die einstige Monopolstellung nicht mehr in dieser Form vorhanden ist, so legt die Kirche in der sakralen Kunst auch heute noch großen Wert auf Qualität.

Ein Glasfenster des Künstlers Markus Lüpertz in der Kirche Sankt Andreas / © Beate Laurenti (KNA)
Ein Glasfenster des Künstlers Markus Lüpertz in der Kirche Sankt Andreas / © Beate Laurenti ( KNA )
Quelle:
KNA