DOMRADIO.DE: Was sagen denn die Zahlen zur Parlamentswahl in Großbritannien?
Pfarrer Andreas Blum (Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde London): Wie vorausgesagt wird die Labour Party mit einem historischen Sieg aus dieser Wahl hervorgehen. Im Moment ist der Stand, dass sie 405 Sitze im Parlament haben. Das ist, wenn man schon die absolute Mehrheit der Sitze bei 326 hat, eine sehr komfortable Mehrheit, mit der sich dann regieren lässt.
DOMRADIO.DE: Viele Briten haben offenbar genug von Chaos und Skandalen unter der konservativen Regierung. In den letzten 14 Jahren ist da vieles schief gelaufen. Wie haben Sie denn die Stimmung in letzter Zeit in London wahrgenommen?
Blum: Die Menschen waren eher frustriert. Man muss deutlich sagen, dass diese Wahl eine Bestrafung der Konservativen für 14 Jahre Regierungspolitik war, wo sie von dem, was sie versprochen haben, kaum etwas einhalten konnten.
Das Spitzenthema war natürlich die Immigration. Wenn man bedenkt, dass in den letzten beiden Jahren hier fast so viele Menschen legal aber auch illegal eingewandert sind wie im ganzen 20. Jahrhundert zusammen und wenn man sich das Gesundheitssystem anguckt, die ganze Infrastruktur, die am Anschlag ist, dann war man bei den zentralen Themen der Konservativen sehr enttäuscht.
Das Interessante ist, dass man von Labour eigentlich gar keine große Verbesserung erwartet. Ein interessantes Ergebnis einer Umfrage war, dass man zwar sagte, man wolle die Konservativen abstrafen, man wolle sie nicht wiederwählen, man werde Labour wählen, es aber gleichzeitig nicht darum ging, dass man von Labours Politik überzeugt sei.
Nur Prozent der Menschen sagten, es werde eine bessere Politik geben. Eine relative Mehrheit der Wähler glaubt sogar, dass sich die Lage in den kommenden Jahren noch verschlechtern wird.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet ganz konkret eine Labour-Regierung für das Land unter dem neuen Premier Keir Starmer?
Blum: Das wüssten wir eigentlich auch gerne, denn die entscheidende Frage in diesem Wahlkampf war: "Was ist eine Frau?" Also, es ging um Fragen der Transsexualität, wer was wann wie gesagt hat. (Die Konservativen zielten im Wahlkampf darauf ab, Transgender-Frauen von Einrichtungen "speziell für biologische Frauen" auszuschließen, Anm. d. Red.).
Das spielte eine größere Rolle als irgendwelche tatsächlichen Programme oder politischen Ideen, die vielleicht das Land aus der Misere führen könnten. Das führt zu einem großen Frust, den man vielleicht sogar an der Wahlbeteiligung ablesen kann.
Seit 1885 war die Wahlbeteiligung nur einmal niedriger als diesmal. Das heißt, es gibt einen großen Frust, eine Suche nach Alternativen. So schaffte zum Beispiel die Reformpartei von Nigel Farage, der erst vor vier, fünf Wochen diese Partei wieder übernommen hat, aus dem Stand 14 Prozent. Das schlägt sich nicht in den Sitzen bei dem Mehrheitswahlrecht nieder, was wir in Großbritannien haben. Aber es zeigt, dass Menschen auf der Suche nach neuen und anderen Ideen sind und sie eigentlich von den etablierten Parteien nicht mehr viel erwarten.
DOMRADIO.DE: Wie schaut die Kirche auf dieses historische Wahlergebnis, auf diesen vermeintlichen Wandel?
Blum: Die Kirche hat sich interessanterweise sehr aus diesem Wahlkampf rausgehalten. Traditionell sind Katholiken in Großbritannien eigentlich eher Labour-affin. Das hat etwas damit zu tun, dass die meisten Katholiken eingewandert sind, dass sie aus dem Arbeitermilieu stammen.
Die anglikanische Kirche war lange Zeit eher eine Hochburg der Konservativen. Das ist es aber auch schon länger nicht mehr. Es gab keine richtige Präferenz für die Parteien. Alle gingen im Prinzip davon aus, dass Labour die nächste Regierung stellen wird.
Der designierte Premierminister hat heute Morgen verkündet, dass die Sonne der Hoffnung über dem Land aufgehe. Tja, wenn ich rausschaue, dann regnet es aber gerade in Strömen.