Welche Rolle spielten Katholiken bei der Wahl in Frankreich?

Zwischen Erleichterung und Sorge

Nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich darf man aufatmen, meint Frankreich-Kenner Stefan Lunte. Die Rechtsextremen seien zurückgedrängt. Die EU ist aber nicht gestärkt, warnt er. "Da stehen schwere Zeiten bevor".

Eine Frau schwenkt die französische Flagge und feiert die ersten Hochrechnungen bei der zweiten Runde der Parlamentswahlen / © Jeremias Gonzalez (dpa)
Eine Frau schwenkt die französische Flagge und feiert die ersten Hochrechnungen bei der zweiten Runde der Parlamentswahlen / © Jeremias Gonzalez ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sind Sie nach der zweiten Runde der Parlamentswahl in Frankreich erleichtert? 

Stefan Lunte ist der Generalsekretär von Justitia et Pax Europa. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Stefan Lunte ist der Generalsekretär von Justitia et Pax Europa. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Stefan Lunte (Generalsekretär “Justitia et Pax” und Mitarbeiter der EU-Bischofskommission COMECE): Ja, durchatmen darf man. Es war die große Überraschung des Wahlabends gestern, dass es gelungen ist, die Zahl der Abgeordneten des Rassemblement National (RN) auf ungefähr 150 zu begrenzen.

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die Menschen erlebt? Wie war die Stimmung? 

Lunte: Gestern war ich noch in Paris, da gab es Jubel. Man muss aber den Unterschied zwischen Paris und dem Rest des Landes wahrnehmen. In Paris hat der Rassemblement National gerade mal zehn Prozent erreicht, während er im Rest des Landes bei etwas über 40 Prozent liegt. Da gibt es einen großen Stadt-Land-Gegensatz. 

Stefan Lunte

"Man muss aber den Unterschied wahrnehmen zwischen Paris und dem Rest des Landes."

Jetzt bin ich wieder bei mir zu Hause, mitten auf dem Land. Da ist die Stimmung verhaltener. Aber erstmal überwiegt die Freude darüber, dass es gelungen ist, den RN im Land ein wenig zurückzudrängen. Man darf, glaube ich, nicht von einer großen Erleichterung sprechen. Man kann durchatmen. 

Wahlplakaten, die die rechtsextremen Spitzenkandidaten Marine Le Pen und Jordan Bardella während der zweiten Runde der Parlamentswahlen im Osten Frankreichs zeigen / © Jean-Francois Badias (dpa)
Wahlplakaten, die die rechtsextremen Spitzenkandidaten Marine Le Pen und Jordan Bardella während der zweiten Runde der Parlamentswahlen im Osten Frankreichs zeigen / © Jean-Francois Badias ( dpa )

Aber ein Blick zurück: Bei der letzten Parlamentswahl hatte der RN im ersten Durchgang vier Millionen Stimmen. Jetzt hat er im ersten Durchgang zehn Millionen und im zweiten Durchgang auch noch mal wieder zehn Millionen, natürlich bei einer weit größeren Wahlbeteiligung. Aber es ist ihm gelungen, ungeheuer viele zusätzliche Menschen für sich zu mobilisieren. Das muss der traditionellen Politik wirklich zu denken geben. 

Stefan Lunte

"Aber es ist offensichtlich so, dass immer mehr Kirchgänger auch den RN gewählt haben."

DOMRADIO.DE: Welche Rolle haben die Katholiken beim Wahlausgang gespielt? 

Lunte: Ich glaube, bei vielen Katholiken, auch bei vielen Bischöfen, wird eine Erleichterung überwiegen. Aber es ist offensichtlich so, dass immer mehr Kirchgänger auch den RN gewählt haben. Das zeigen auch die Umfragen.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn Wahl-Empfehlungen der Oberhirten für die Gläubigen in Frankreich?

Lunte: Nein, das gibt es aktuell so nicht mehr. Vereinzelt haben Bischöfe durchblicken lassen, wo ihre Präferenz liegt. Ansonsten laden die Bischöfe die Katholiken ein, sich als gute Demokraten zu zeigen und an der Wahl teilzunehmen. Dabei ist es aber in den meisten Fällen auch bei dieser Wahl geblieben. 

Stefan Lunte

"Da stehen sehr schwere Zeiten bevor und es trägt auf keinen Fall zu einer Stärkung der EU bei."

DOMRADIO.DE: Inwieweit ist denn die EU jetzt durch diesen Ausgang der Wahlen in Frankreich gestärkt? 

Lunte: Gestärkt würde ich gar nicht sagen. Das ist unrecht, weil ein Slogan der linken Parteienallianz lautet, dass sie den Stabilitätspakt aufkündigen will. Der Stabilitätspakt ist eine Grundlage für die Garantie der Stabilität des Euros, unserer gemeinsamen Währung.

Den Stabilitätspakt aufzukündigen heißt, sie wollen sich nicht an die Einhaltung der Regeln für das Haushaltsdefizit halten. Sie müssen aber bis zum nächsten September einen Plan vorlegen, um zu zeigen, wie sie ihren Schuldenstand reduzieren wollen. Das hat die Kommission festgelegt. Da stehen sehr schwere Zeiten bevor und es trägt auf keinen Fall zu einer Stärkung der EU bei. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Kirche in Frankreich

Die katholische Kirche in Frankreich zählt zu den traditionsreichsten und geistesgeschichtlich wichtigsten in Europa. Marksteine ihrer reichen Geschichte sind etwa für das christliche Mittelalter die Taufe von Frankenkönig Chlodwig, die Reichskirche Karls des Großen ("Charlemagne"), die großen Ordensbewegungen und das "Zeitalter der Kathedralen"; weiter die Religionskriege des 16./17. Jahrhunderts, die nationalkirchliche Strömung des "Gallikanismus", die Aufklärung und die Französische Revolution. Zu Frankreichs Kulturerbe gehören ungezählte Klöster und Kathedralen von Weltrang.

Französische Fahne / © Rick Hawkins (shutterstock)
Quelle:
DR