DOMRADIO.DE: Sind Sie nach der zweiten Runde der Parlamentswahl in Frankreich erleichtert?
Stefan Lunte (Generalsekretär “Justitia et Pax” und Mitarbeiter der EU-Bischofskommission COMECE): Ja, durchatmen darf man. Es war die große Überraschung des Wahlabends gestern, dass es gelungen ist, die Zahl der Abgeordneten des Rassemblement National (RN) auf ungefähr 150 zu begrenzen.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die Menschen erlebt? Wie war die Stimmung?
Lunte: Gestern war ich noch in Paris, da gab es Jubel. Man muss aber den Unterschied zwischen Paris und dem Rest des Landes wahrnehmen. In Paris hat der Rassemblement National gerade mal zehn Prozent erreicht, während er im Rest des Landes bei etwas über 40 Prozent liegt. Da gibt es einen großen Stadt-Land-Gegensatz.
Jetzt bin ich wieder bei mir zu Hause, mitten auf dem Land. Da ist die Stimmung verhaltener. Aber erstmal überwiegt die Freude darüber, dass es gelungen ist, den RN im Land ein wenig zurückzudrängen. Man darf, glaube ich, nicht von einer großen Erleichterung sprechen. Man kann durchatmen.
Aber ein Blick zurück: Bei der letzten Parlamentswahl hatte der RN im ersten Durchgang vier Millionen Stimmen. Jetzt hat er im ersten Durchgang zehn Millionen und im zweiten Durchgang auch noch mal wieder zehn Millionen, natürlich bei einer weit größeren Wahlbeteiligung. Aber es ist ihm gelungen, ungeheuer viele zusätzliche Menschen für sich zu mobilisieren. Das muss der traditionellen Politik wirklich zu denken geben.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle haben die Katholiken beim Wahlausgang gespielt?
Lunte: Ich glaube, bei vielen Katholiken, auch bei vielen Bischöfen, wird eine Erleichterung überwiegen. Aber es ist offensichtlich so, dass immer mehr Kirchgänger auch den RN gewählt haben. Das zeigen auch die Umfragen.
DOMRADIO.DE: Gibt es denn Wahl-Empfehlungen der Oberhirten für die Gläubigen in Frankreich?
Lunte: Nein, das gibt es aktuell so nicht mehr. Vereinzelt haben Bischöfe durchblicken lassen, wo ihre Präferenz liegt. Ansonsten laden die Bischöfe die Katholiken ein, sich als gute Demokraten zu zeigen und an der Wahl teilzunehmen. Dabei ist es aber in den meisten Fällen auch bei dieser Wahl geblieben.
DOMRADIO.DE: Inwieweit ist denn die EU jetzt durch diesen Ausgang der Wahlen in Frankreich gestärkt?
Lunte: Gestärkt würde ich gar nicht sagen. Das ist unrecht, weil ein Slogan der linken Parteienallianz lautet, dass sie den Stabilitätspakt aufkündigen will. Der Stabilitätspakt ist eine Grundlage für die Garantie der Stabilität des Euros, unserer gemeinsamen Währung.
Den Stabilitätspakt aufzukündigen heißt, sie wollen sich nicht an die Einhaltung der Regeln für das Haushaltsdefizit halten. Sie müssen aber bis zum nächsten September einen Plan vorlegen, um zu zeigen, wie sie ihren Schuldenstand reduzieren wollen. Das hat die Kommission festgelegt. Da stehen sehr schwere Zeiten bevor und es trägt auf keinen Fall zu einer Stärkung der EU bei.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.