Sein Verhältnis zur Religion gestaltete sich so wie das zu Donald Trump. J.D. Vance konnte mit beiden zunächst nichts anfangen. Mehr noch. Er lehnte sie ab. Als Jura-Student an der Elite-Universität Yale verstand er sich als Atheist. Vor Trumps Wahl zum US-Präsidenten 2016 titulierte er diesen wahlweise als "Idioten" oder als "Amerikas Hitler".
Der pausbäckige Nachwuchsstar der Republikaner hat seitdem eine eindrucksvolle Kehrtwende vollzogen. 2019 trat der protestantisch erzogene Mann nach Rückkehr in seinen Heimatstaat Ohio in der Saint-Gertrude-Gemeinde von Cincinnati zum Katholizismus über. Ungefähr zur gleichen Zeit entdeckte er seine Bewunderung für den Präsidenten, bei dem er sich bald öffentlich entschuldigen sollte.
Er habe mit der Zeit die Überzeugung gewonnen, dass "der Katholizismus wahr ist", gab er damals als Begründung für seinen Eintritt in die Kirche an. Vor allem die katholische Soziallehre habe ihn überzeugt. Die sei für ihn die Grundlage öffentlicher Politik und eines idealen Staates. Vance wird sich an dieser Aussage messen lassen müssen, falls Trump im Januar ins Weiße Haus zurückkehrt und er als sein Vizepräsident die nächste Stufe seiner noch jungen Karriere erklimmen sollte.
Flexibilität als Markenzeichen
Trump hat den amtierenden Senator von Ohio auf dem Republikaner-Parteitag in Milwaukee zu seinem "Running Mate" gemacht. Das war keine wirkliche Überraschung, aber angesichts der früheren Haltung von Vance doch eine bemerkenswerte Entscheidung. Flexibilität und Wendigkeit stellte er schon in seinem bisherigen Werdegang unter Beweis. Vance wuchs als "Hinterwäldler" ("Hillbilly") mit irisch-schottischen Wurzeln im Osten Kentuckys und Ohio auf. Dort erlebte er in jungen Jahren den Niedergang einer ganzen Region durch den Verlust alter Industrien. Seine eigene Familie zerbrach daran.
Armut, Drogen, häusliche Gewalt waren Teil seiner Lebenswelt. Dank der strengen Großmutter, die sich kümmerte, schaffte es der Underdog aus den Appalachen bis auf die Yale Law School und später dann ins Silicon Valley, wo er als Investmentmanager zu Reichtum kam.
Erklärung für Rechtspopulismus unter weißen Wählern
Für erste Schlagzeilen sorgte Vance mit seinem Bestseller "Hillbilly Elegy", eine Mischung aus persönlicher Geschichte über seine Herkunft aus dem Rostgürtel und Forschungsergebnissen über die Probleme der weißen Unterschicht. Darin liefert er eine schlüssige Erklärung dafür, weshalb viele abgehängte Wähler sich für den Rechtspopulismus entschieden haben.
Das Buch erschien passend zum wundersamen Aufstieg Trumps 2016, der nach einer Erklärung suchte. Vance lieferte sie als gerngesehener Gesprächspartner der Medien auf allen Kanälen. Als "Running Mate" könnte Vance dem Präsidentschaftskandidaten helfen, die weiße Arbeiter-Wählerschaft in den wichtigen Swing States Pennsylvania, Michigan und Wisconsin zu umwerben.
Handelsprotektionismus, Abschottung gegen Einwanderer und Amerika-zuerst-Isolationismus stoßen im Rostgürtel und Mittleren Westen auf Resonanz. Aber ein solcher Kurs bringt Vance in Konflikt mit seiner Kirche. Erst vor einigen Tagen plädierte er bei einem Wahlkampf-Auftritt dafür, jede einzelne Person abzuschieben, "die illegal in unser Land eingedrungen ist". Das liegt ganz auf der Linie Trumps, passt den US-Bischöfen jedoch gar nicht. Diese werben dafür, "Ausländer willkommen zu heißen".
Streit mit der Kirche programmiert
Streit mit der Kirche ist auch in Sachen Abtreibung programmiert. Hier vollzog der Konvertit eine weitere bemerkenswerte Wende. Vergangenen November unterlag er bei einem wichtigen Referendum in Ohio. Die Wähler entschieden sich dafür, ein Recht auf Abtreibung in der Verfassung zu verankern. Vance sprach von "einem Schlag in die Magengrube".
Beim Schaulaufen für den Job als Vizepräsidentschafts-Kandidat passte er dann seine Positionen an die Trumps an. Er nahm Abstand von Plänen für striktere bundesweite Regeln zu Schwangerschaftsabbrüchen und will dies ganz den Bundesstaaten überlassen. Auch beim Thema Abtreibungspille schlägt er neue Töne an. Erst kürzlich trat er in einem NBC-Interview dafür ein, dass die umstrittene Pille Mifepristone weiter frei zugänglich sein sollte.
Kritiker aus den Reihen der Kirche werfen ihm deshalb Prinzipienlosigkeit vor. Doch für Trump zählt in erster Linie eines: Loyalität. Wenn Vance dem Präsidentschaftskandidaten im Wahlkampf treu zur Seite steht, dürfte er daher gute Chancen haben, nach Joe Biden (2009-2017) als zweiter Katholik das Amt des US-Vizepräsidenten zu übernehmen.