DOMRADIO.DE: Joe Biden hatte vor dem Attentat gesagt "It's time to put Trump in the bull's eye" - also Trump ins Visier nehmen. Dafür hat er sich bereits entschuldigt. Wie schätzen Sie das ein? Sind die politischen Lager so dermaßen aufgeheizt, dass man diesen Aufruf als Mordaufruf an Trump verstehen konnte?
Arnd Henze (Journalist, Publizist und USA-Kenner): Es ist eine aufgeheizte Stimmung, in der Verschwörungstheorien von allen Seiten die Debatte bestimmen. Natürlich hat Joe Biden damit gemeint, man solle nach der Debatte, in der man immer über seinen eigenen Alterszustand geredet hat, jetzt auch die 28 Lügen, die es von Trumps Seite gab, ins Visier nehmen.
Diese Aussage wird nun in diesem Kontext anders bewertet und mit den ganzen Spekulationen darüber, warum der Secret Service versagt hat und ob das nicht von Biden und von seinen Sicherheitskräften ein inszenierter Anschlag des "Deep States" sein könnte - auch das eine Verschwörungstheorie, die seit langem kursiert.
Das sei sofort instrumentalisiert worden, übrigens auch ganz stark aus dem religiösen und dem evangelikalen Lager. Die sagen jetzt, es war Gottes Vorsehung, die Trump da gerettet hat.
DOMRADIO.DE: Donald Trump hat sich beim Parteitag erstmals nach diesem Attentat gezeigt - mit Verband am Ohr. Ein Statement gab es nicht von ihm. Aber der Boulevardzeitung "New York Post" hatte er gesagt, dass er in Milwaukee ursprünglich eine extrem harte Rede über die Regierung von Präsident Biden halten wollte. Dieses Manuskript habe er aber nach dem Attentat weggeworfen. Wird Trump zukünftig gemäßigter auftreten?
Henze: Ganz sicher nicht, was seine Politik angeht. Aber er wird jetzt in verschiedene Richtungen Signale setzen. Er liest die Umfragen und merkt, dass es fantastisch für ihn läuft. Im Grunde müsste er jetzt bis November nur keinen Fehler machen, dann würde er relativ sicher gewählt werden. Insofern überlässt er die harten Töne, das "Fight, Fight, Fight", was er als Signal von der Kundgebung noch gesetzt hat, jetzt seinen Anhängern.
Wenn er den Raum betritt, dann geht sofort dieser Sprechchor los. Er muss es nicht mehr selber machen. Er selber kann jetzt schon den Landesvater und den Versöhner der Nation spielen. Auch da wird er wieder von seinen Anhängern vor allem im religiösen Lager überhöht skizziert.
DOMRADIO.DE: Als seinen Vizepräsident-Kandidaten hat Donald Trump J. D. Vance präsentiert. Das ist ein ehemaliger Kritiker Trumps.
Henze: Ja, das ist eine von vielen sehr spektakulären Wandlungen im Leben von J. D. Vance. Er kommt aus der weißen Unterschicht, für die es dieses üble Wort "White Trash" gibt. Er hat das in seiner Autobiografie "Hillbilly Elegie" sehr drastisch beschrieben. Ein Buch, von dem Olaf Scholz sagt, es habe ihn zu Tränen gerührt. Er hat eine Karriere als Risikomanager gemacht. Es ist wirklich der amerikanische Traum, den er da erlebt.
Damit hat er eine Ausstrahlung, die gerade in diese "Swing States" der sich vernachlässigt fühlenden weißen Arbeiterschicht, hineinwirkt. Gleichzeitig hat er sich vom Protestanten zum Katholiken gewandelt, auch mit Geschichten, die man glauben kann oder auch nicht glauben kann.
Und dann hat er sich tatsächlich vom scharfen Trumpkritiker zum Trumpanhänger gewandelt, als er selber Senator in Ohio werden wollte. Und wie das dann so ist, wenn man etwas überkompensiert, lässt er sich jetzt von niemanden mehr in seiner treuen Loyalität zu Trump überbieten.
DOMRADIO.DE: Vance ist mit seinen 39 Jahren vergleichsweise jung. Er ist mit seiner Familie aufgetreten. Das sah erstmal sehr freundlich aus. Sind von ihm gemäßigte Töne zu erwarten?
Henze: Nein, im Gegenteil. Wenn Trump erwartbar eine etwas moderatere Tonart anschlägt und den Landesvater spielt, dann ist Vance dann dafür da, diesen aggressiven, kämpferischen und polarisierenden Ton, den die Hardcore-Anhänger wollen, weiterzuführen. Seine Inhalte, wie Abtreibung, die Kulturkampfthemen in den USA und auch seine Außenpolitik sind wirklich der ganz rechte Rand des Trump-Lagers.
DOMRADIO.DE: Vor fünf Jahren ist er zum Katholizismus konvertiert. Weiß man, warum er konvertiert ist?
Henze: Er erzählt die Geschichte, dass er von Augustinus und von katholischen Philosophen beeinflusst wurde. Ich habe mir angewöhnt, diese ganzen Konversionsgeschichten nicht mehr für bare Münze zu nehmen. Was dahinter steckt, das wissen wir nicht.
Das Interview führte Tobias Fricke.