DOMRADIO.DE: Sie waren gestern Abend vor Ort in Erfurt. Wie muss man sich die Szene vorstellen? Haben Sie Passantinnen angehalten oder wie war das?
Marc Frings (Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ZdK): Wir haben den ganzen Nachmittag auf dem Erfurter Anger, dem ehemaligen Handelsplatz von Erfurt, heute eine Flaniermeile, verbracht. Um uns herum waren weitere Stände, weil der Wahlkampf sich jetzt auf der Zielgeraden befindet. Wir haben sowohl Leute angesprochen, aber wir wurden auch intensiv befragt. Das war spannend. Schon beim Aufbau hielten die ersten Leute mit ihren Rädern und Einkaufstaschen an, um sich zu erkundigen. Viele haben die Logos vom Katholikentag wiedererkannt und waren deswegen sehr interessiert daran, warum wir jetzt noch mal da sind. Es war eine sehr offene, sehr lebhafte Diskussionskultur, die wir dort am Nachmittag erleben durften.
DOMRADIO.DE: Was war Ihnen wichtig, mit den Menschen zu besprechen?
Frings: Wir hatten während des Katholikentags, der Ende Mai, Anfang Juni in Erfurt stattgefunden hatte, bereits einen sehr großen Demokratie- und Vielfaltsschwerpunkt und dazu eine eigene Programmlinie erarbeitet. Darauf wollten wir aufbauen.
Wir haben noch mal deutlich appelliert, wie wichtig es ist, verantwortungsvoll zu wählen. Wir haben keine Wahlempfehlung für eine der demokratischen, in der Mitte verankerten, Parteien ausgesprochen, aber deutlich gemacht, dass es um das Miteinander geht und um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und natürlich haben wir auch ganz klar vor der AfD gewarnt. Als ZdK haben wir dazu in den letzten Monaten eine klare Linie vertreten. Jetzt haben wir mit den Passanten gesprochen und mit ihnen das Gespräch gesucht.
DOMRADIO.DE: Wurde es auch mal ungemütlich dort?
Frings: Wir haben in der Auswertung hinterher festgestellt, dass sich in den Gesprächen das widergespiegelt hat, was im Moment auch die Wahlprognosen andeuten. Einem Drittel der Passanten hat man ihre große Frustration angemerkt. Und wir haben gemerkt, dass es die ganz großen Fragen sind, die die Menschen gerade bewegen: Krieg und Frieden, der Angriff Russlands auf die Ukraine, die Corona-Maßnahmen waren weiterhin ein großes Thema, eine große Frustration sowohl gegenüber Berlin als auch gegenüber der Erfurter Landesregierung. All das hat die Menschen sehr, sehr beschäftigt. Und erst nachgeordnet waren dann auch landespolitische Themen präsent für die Menschen.
Sie haben sehr ambivalent und fast schon schizophren in ihren Aussagen und ihren Rückschlüssen. Man hatte auch oft das Gefühl, dass man es mit AfD-Wählern zu tun hat. Aber dann merkte man wieder, dass sie ihre Wut genauso gegen die AfD artikulieren. Ich glaube, es ist gut, dass wir auch mit den streitbaren Menschen ins Gespräch gekommen sind. Ich hatte vorher eher die Sorge, dass die einen großen Bogen um unseren Stand machen. Aber so war es ganz gut, zu signalisieren, dass wir mit allen im Gespräch bleiben möchten.
DOMRADIO.DE: Sie hatten eine Diskussion mit Professor Jens Christian Wagner, dem Ansprechpartner der KZ Gedenkstätte Buchenwald. Um was ging es?
Frings: Professor Wagner als Direktor der Gedenkstätte Buchenwald ist nicht nur ein großer Kenner und Analyst der rechten Szene in Thüringen, sondern selber mittlerweile Gegenstand des Wahlkampfes. Er hat sich in den vergangenen Monaten immer wieder sehr mutig und klar gegen die AfD positioniert. Und zwar bewusst aus der Perspektive eines Historikers heraus, der den Geschichtsrevisionismus in den Mittelpunkt rückt. Und er weist auf die Gefahr hin, was es bedeutet, wenn Mittel gekürzt werden für Erinnerungskultur.
In der vergangenen Woche hat er 350.000 Briefe an Haushalte verschicken lassen, in denen er ganz klar vor einer Wahl der AfD warnt. Und er hat noch mal seine Beweggründe geschildert, die ihn dazu bringen. Gerade im bildungspolitischen Bereich waren das wichtige Ergänzungen, die er aus seiner spezifischen Perspektive aus Buchenwald mitgebracht hat.
DOMRADIO.DE: Den Erfurtern und Erfurterinnen wurde ein kleines Andenken geschenkt. Was genau?
Frings: Wir haben Postkarten verteilt, ganz im Sinne des Mottos: "Macht das Licht an, damit es nicht dunkel wird". Wir haben tolle Fotos auf Postkarten drucken lassen. Vom Katholikentag, wo wir immer einen Abendsegen hatten, ein tolles Foto vom Domplatz, der hell erleuchtet wurde, durch viele Kerzen, die wir da verteilen konnten, damit das Licht angeht und wir Sonntagabend um 18 Uhr hoffentlich nicht so desaströse Zahlen haben, wie es im Moment die Wahlumfragen suggerieren.
Das Interview führte Tobias Fricke.