Wo steht die Westfälische Kirche nach dem Kandidatenruckzug?

"Zum Wählen gehören mindestens zwei"

Nach dem Rücktritt von Annette Kurschus hofft die Evangelische Kirche in Westfalen weiter auf einen neuen Präses. Der vorgesehene Kandidat Michael Krause wird es nun doch nicht. Der Journalist Benjamin Lassiwe skizziert die Situation.

Autor/in:
Johannes Schröer
Symbolbild Abstimmung / © Julia Steinbrecht (KNA)
Symbolbild Abstimmung / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die oder der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen hat eine für die Evangelische Kirche ungewöhnliche Macht oder Machtfülle. Ist das richtig? 

Benjamin Lassiwe (Evangelischer Journalist und Kenner der Evangelischen Kirche in Deutschland): Das ist so. Die Westfälische Kirche ist eine Kirche, die eher reformiert geprägt ist, mit einer Kirchenleitung aus der Synode heraus. 

Benjamin Lassiwe, Journalist / © Lassiwe (privat)
Benjamin Lassiwe, Journalist / © Lassiwe ( privat )

Da hat man dann die Situation, dass man in Westfalen kein eigenes Bischofsamt hat, sondern dass der leitende Geistliche zugleich Vorsitzender des Kirchenparlaments und eben das ist, was in anderen Landeskirchen ein Bischof, ein Kirchenpräsident oder ein Schriftführer machen würde. 

Wenn man es auf den staatlichen Kosmos herunterbrechen will, vereinen sich dadurch die Legislative und die Exekutive in einer Person. 

DOMRADIO.DE: Nun sollte Pfarrer Michael Krause neuer Präses werden. Es gebe aber "Hinweise auf mögliche Verstöße gegen das Gebot, persönliche Grenzen einzuhalten", so heißt es in der Begründung, dass Pfarrer Krause jetzt seine Kandidatur zurückgezogen hat. Kann man überhaupt sagen, was sich dahinter verbirgt? 

Lassiwe: Das kann man im Moment so noch nicht sagen, zumal wir von Hinweisen auf mögliche Verstöße reden. Es kann auch sein, dass in Westfalen einfach die Gerüchteküche brodelt und Krause selbst da die Notbremse gezogen hat, um zu vermeiden, dass er mit einem Klotz am Bein ins neue Amt startet. 

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Westfälische Kirche eine Kirche ist, die im Moment auf verschiedenen Ebenen schwer leidet. Es gab den Rücktritt von Annette Kurschus im letzten Herbst. Wir haben bis heute nicht genau herausbekommen, ob sich Annette Kurschus wirklich so viel zuschulden kommen ließ, dass da ein Rücktritt fällig war oder ob es nicht nur die schlechte Kommunikation auf der EKD-Synode und am Rande der Synode war, die am Ende zu diesem Rücktritt geführt hat. 

Dann hat die Westfälische Kirche das Problem, dass sie effektiv gesprochen pleite ist. Der letzte Haushalt in der Westfälischen Kirche ist nicht durchgegangen. Da war ein Defizit von 14,4 Millionen Euro im Rennen. Dann ist ein Haushaltssicherungskonzept beschlossen worden und auch der Nachtragshaushalt, den man in diesem Jahr gestartet hatte, hat 8,8 Millionen Miese. Deswegen muss da was passieren. Die Kirche ist natürlich in so einer Situation auch besonders verunsichert. 

Benjamin Lassiwe

"Selbst eine Dreierliste aus Rom, die an ein deutsches Domkapitel geht, hat mehr Kandidaten zur Auswahl gehabt."

DOMRADIO.DE: Umso katastrophaler ist es jetzt, dass sie sich in einer Schwebe-Situation befindet und man gewissermaßen keinen Kandidaten mehr hat. Erstaunlich ist dabei ja auch, dass es nur einen Kandidaten zur Wahl gab oder gibt. Was ist das für eine Wahl und warum gibt es nicht zwei oder drei Kandidaten? 

Lassiwe: Das ist genau das Problem. Warum gibt es nicht zwei oder drei Kandidaten? Die Kandidaten für die Präses-Wahl werden ja von einem Nominierungsausschuss gesucht und dann der Synode zur Wahl vorgelegt. So ist es übrigens auch beim Rat der EKD. So ist es auch bei den Bischöfen in den anderen evangelischen Kirchen. 

Ein spezieller synodaler Ausschuss sucht die Kandidaten heraus und die Synode wählt dann. Aber zum Wählen gehören in der Regel mindestens zwei. Wenn man nur einen Kandidaten hat, ist das eine Akklamation – oder eben nicht. Das ist das große Problem, vor dem die Westfälische Kirche steht. 

Jetzt erlaube ich mir als evangelischer Journalist mal die kleine Spitze: Selbst eine Dreierliste aus Rom, die an ein deutsches Domkapitel geht, hat mehr Kandidaten zur Auswahl gehabt, als es die Westfälische Kirche jetzt im November gehabt hätte. 

DOMRADIO.DE: Ist das denn so üblich, dass es nur einen Kandidaten gibt? 

Lassiwe: Das sollte eigentlich nicht üblich sein, aber wir erleben in letzter Zeit, dass es wieder häufiger üblich wird. Wir erleben generell ein Problem bei der Besetzung von Bischofsstühlen in der evangelischen Kirche. Es läuft parallel die Wahl in Hessen und Nassau. Da stehen drei Kandidaten zur Auswahl. Das ist ein sehr positives Erleben. 

Wir hatten aber auch die Wahl des anhaltischen Kirchenpräsidenten im vergangenen Jahr. Da waren zwei Kandidaten zur Auswahl, die dann beide vor der Synode gescheitert sind. Es wird schwerer, Kandidaten zu finden, die geeignet sind, die die nötigen Qualifikationen mitbringen und die bereit sind, so ein Amt auch anzutreten. 

DOMRADIO.DE: Der kommissarische Präses, der theologische Vizepräsident Ulf Schlüter, könnte doch auch das Amt des Präses übernehmen und dafür kandidieren. 

Lassiwe: Das hat er bisher aber standfest ausgeschlossen. Einerseits aus Altersgründen, andererseits auch, weil er auch seine eigene Rolle im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Annette Kurschus hinterfragt. 

Benjamin Lassiwe

"Es gibt natürlich in den meisten evangelischen Landeskirchen auch die Möglichkeit, dass Bewerber aus der Mitte der Synode für ein Amt vorgeschlagen werden können."

DOMRADIO.DE: Wie katastrophal ist denn nun diese Schwebe-Situation? Die Evangelische Kirche von Westfalen scheint vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Wie geht es weiter? 

Lassiwe: Das ist eine gute Frage. Da kommt es sicherlich darauf an, wen der Nominierungsausschuss jetzt noch finden kann. Es kommt auch darauf an, dass es Leute gibt, die bereit sind, sich dieses Amt anzutun. 

Es kommt auch ein Stück weit darauf an, was die Synode bei ihrer Tagung in November macht. Denn es gibt natürlich in den meisten evangelischen Landeskirchen auch die Möglichkeit, dass Bewerber aus der Mitte der Synode für ein Amt vorgeschlagen werden können. 

Das Interview führte Johannes Schröer.

Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW)

Die Kirchenordnung der Evangelischen Kirche von Westfalen setzt in ihrem Aufbau bei den Kirchengemeinden ein. Die 456 Kirchengemeinden sind zu Kirchenkreisen zusammengeschlossen. 

Die Kirchenkreise nehmen den Auftrag der Kirche in ihrem Bereich wahr. Sie fördern die Gemeinschaft der Gemeinden, stellen Qualität und Erfahrungsaustausch in den verschiedenen Arbeitsbereichen sicher und übernehmen die Trägerschaft gemeinsamer Dienste. 

Martin Luther: Eine Dekade wert? (epd)
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Quelle:
DR