Warum die deutschen Bischöfe zu recht vor rechts warnen

Jesus ist keine Marionette von Genen

Die deutschen Bischöfe haben sich auf ihrer letzten Vollversammlung scharf vom Rechtsextremismus abgegrenzt und dabei namentlich die AfD genannt. Völlig zu Recht, schreibt der Pastoraltheologe Egon Spiegel in einem Gastbeitrag.

Autor/in:
Egon Spiegel
Ein rechtsextremer Demonstrant steht zwischen Deutschlandfahnen / © Caroline Seidel (dpa)
Ein rechtsextremer Demonstrant steht zwischen Deutschlandfahnen / © Caroline Seidel ( dpa )

Im Freundeskreis Jesu, speziell im sogenannten Zwölferkreis, finden wir von extrem rechts bis extrem links alle politischen und religiösen Überzeugungen. Wir finden hier den Zöllner, den Kollaborateur mit der römischen Besatzung, und sein Gegenstück, den Sikarier, den Dolchmann, also jenen, der Besatzer hinterrücks zu erstechen bereit war. Lebhaft kann man sich dementsprechend die in diesen Kreisen geführten Strategiedebatten vorstellen. Das letzte Wort in diesem Spannungsfeld hatte der Meister selbst, indem er seiner Linie einer konsequent gewaltfreien Lebens- und Weltgestaltung bis in seine religiös bzw. politisch motivierte Ermordung treu geblieben ist. 

Prof. Egon Spiegel / © Egon Spiegel (privat)
Prof. Egon Spiegel / © Egon Spiegel ( privat )

Gruppenegoistisches, nationalistisches Denken war ihm fremd. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist es ausgerechnet ein Mann aus Samaria, also ein Nationalfeind der Juden, der dem durch Wegelagerer geschändeten Juden zur Hilfe eilt. Der Überlieferung nach konnte Jesus einem flächendeckenden Pogrom nur dadurch entkommen, dass er mit seinen Eltern in Ägypten Asyl fand. Als soeben Geborener wurde er, einer weiteren Überlieferung zufolge, von verschiedenen Repräsentanten aus fernen Ländern aufgesucht. Das in der Apostelgeschichte beschriebene Pfingstereignis demonstriert einmal mehr, dass der jesuanische Urkommunismus weder regionale noch sprachliche Grenzen kennt. 

Gott Jesu ist Vater aller Menschen

Wenn also deutsche Bischöfe Christinnen und Christen nicht nur im Rahmen ihrer zurückliegenden Konferenz, sondern aktuell davor warnen, auf den Zug einer rechtsextremistischen, nationalistischen Partei aufzuspringen, in ihr mitzuarbeiten oder sie zu wählen, dann gibt ihnen das jesuanische Ethos nicht nur Recht, sondern drängt sie gerade dazu. Der Gott Jesu ist der Vater aller Menschen und – inkarniert im Beziehungshandeln Jesu – jene Dynamis und zentripetale Macht, die Menschen zusammenführt und zusammenhält. 

Dass gruppenselektive Grenzziehungen zwischen Menschen, erst recht solche, die sich einer biologistischen, genetischen Basis verdanken, im krassen Widerspruch stehen zur Ethik Jesu, verdeutlicht, wie kein anderes, ein – allerdings auf den ersten Blick verstörendes – Ereignis: Jesu schroffes Verhalten gegenüber seiner Mutter und seinen Geschwistern, als diese ihn am Rande einer Versammlung treffen wollten. Jesus verwirrt, so die Überlieferung, nicht nur mit den folgenden an einen Türsteher gerichteten Worten: "Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Geschwister?", sondern verweist im selben Zusammenhang auf seine Jünger, indem er diese, nicht weniger befremdlich, im Gegensatz zu seinen Familienmitgliedern als seine Mutter und seine Geschwister bezeichnet. Für ihn sind Bruder, Schwester und Mutter, "wer den Willen meines Vaters im Himmel tut". Selbstverständlich können auch seine Familienangehörigen, sofern sie den von ihm genannten Bezugspunkt akzeptieren, an der Versammlung teilnehmen. Ausdrücklich keine Rolle spielen Verwandtschaftsverhältnisse. 

Nicht die DNA entscheidet

Progammatisch verstanden und auf den Punkt gebracht, bedeutet dies: Nicht die genetische Gemeinsamkeit entscheidet über eine soziale Verbundenheit im Sinne Jesu, sondern eine gemeinsame Hinorientierung auf das Reich Gottes Ideal. Jesu Ethik basiert nicht auf Blutsverwandtschaft, sondern auf dem Ideal eines durch Globalisierung und Universalismus geprägten Zusammenlebens. Jesus stellt diese – tatsächlich schroff, aber einprägsam – einander gegenüber. Verwandtschaftsbeziehungen sind kein Kriterium für Zusammengehörigkeit. Wer Bruder, Schwester und Mutter ist, entscheidet nicht die DNA. In der Flucht dieser Sicht könnte auch die von Jesus überlieferte Ehelosigkeit und sein Verzicht auf Vaterschaft als eine programmatische Zeichenhandlung interpretiert werden: Jesus ist alles andere als eine Marionette von Genen, die – so die soziobiologische Ideologie – nichts anderes im Sinn haben, als den eigenen genetischen Pool, gegen andere, in die Zukunft hinein zu sichern bzw. zu vergrößern. 

Vor dem Hintergrund einer Ethik, die wir heute als kosmopolitisch bezeichnen würden, und Globalisierungsprozessen, die unschwer Aspekte der Reich Gottes Perspektive Jesu aufgenommen haben, können die deutschen Bischöfe gar nicht anders, als sich gegen rechts zu positionieren und nicht nur ihre Gläubigen, sondern die Öffentlichkeit schlechthin vor politischen Bewegungen zu warnen, die das menschliche Zusammenleben im Zeichen von Separation (Rassismus, Nationalismus) statt transkultureller Föderation zu gestalten versuchen.

Gruppenegoismus und Gruppenselektion

Jörg Urban, Vorsitzender der AfD in Sachsen, steht bei einer Wahlkampfveranstaltung der AfD zur Landtagswahl in Sachsen auf dem Kornmarkt auf der Bühne. / © Robert Michael (dpa)
Jörg Urban, Vorsitzender der AfD in Sachsen, steht bei einer Wahlkampfveranstaltung der AfD zur Landtagswahl in Sachsen auf dem Kornmarkt auf der Bühne. / © Robert Michael ( dpa )

Im Zentrum der AfD stehen Gruppenegoismus und Gruppenselektion und damit die Vorstellung einer sozialen Kohäsion auf der Grundlage von Rassismus und Nationalismus. Wohin solches Denken, wohin diese Programmatik führt, wissen geschichtsbewusste Bürgerinnen und Bürger. Junge Wähler*innen sollten sich dieses im Unterricht erarbeitet haben. Noch nicht lange zurück, reichten kurze 12 Jahre (1933-1945), dass – unbegreiflich – am Ende und allein als Folge der nationalsozialistischen Machtübernahme über 60 Millionen Menschen ihr Leben lassen mussten. Ein Senkrechtstart gelang Adolf Hitler damals in Sachsen, dort wählten bei der Reichstagswahl über 40 Prozent die NSDAP und trugen damit erheblich zu seinem politischen Durchmarsch und dem folgenschweren Niedergang der Demokratie bei.

Zur Person: Prof. Dr. Prof. h.c. Egon Spiegel, Diplomtheologe, Diplompolitologe, ausgebildeter Pastoralreferent, Advisory Professor am UNESCO-Lehrstuhl für Friedenswissenschaft der Nanjing University, Nanjing/China, bis 2022 Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Theologie der Universität Vechta

Quelle:
DR