DOMRADIO.DE: Die politischen Verhältnisse haben sich deutlich verschoben. Das Thüringer Ergebnis ist historisch: Zum ersten Mal ist die AfD stärkste Kraft bei einer Landtagswahl geworden, knapp 33 Prozent der Stimmen, deutlich vor der CDU. Haben Sie diesen klaren Wahlausgang so erwartet?
Philipp Greifenstein (Journalist, Mitbegründer des Magazins "Die Eule"): Ja, weil die Umfragen in den letzten Monaten das alles schon so gezeigt haben. In der Tat ist es so, dass jetzt diskutiert wird, wie groß der Einfluss der Ereignisse nach Solingen auf das Wahlergebnis war.
Ich wäre da eher skeptisch. Die Umfragen der letzten Monate haben das alles schon so gezeigt. So schnell ändern sich politische Einstellungen nicht - auch im Osten nicht, wo das sicherlich alles ein bisschen volatiler ist.
DOMRADIO.DE: 33 Prozent AfD in Thüringen, knapp 31 in Sachsen, dazu eine sehr hohe Wahlbeteiligung. Das können nicht nur ausschließlich Frust- und Protestwähler sein. Das wird sich verändert haben, oder?
Greifenstein: Ja, das hat sich aber nicht erst in diesem Jahr geändert, sondern bereits im Verlauf der letzten zehn Jahre. Nein, wir haben es nicht mehr mit einem Protestwähler-Potenzial für die AfD zu tun, sondern die AfD ist die rechte und rechtsextreme Volkspartei in Thüringen und Sachsen. Wer so tickt, der wählt AfD und macht dort regelmäßig sein Kreuz.
Wir haben es mit Wählerinnen und Wählern zu tun, die nicht zum ersten Mal die AfD wählen, sondern das auch schon bei den vorangegangenen Wahlen im Bund, in Europa, in den Kommunalwahlen und in den Landtagswahlen gemacht haben.
DOMRADIO.DE: Der Spitzenkandidat der AfD in Thüringen, Björn Höcke, sagte gestern Abend, er sei bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen und Gesprächsangebote zu unterbreiten. Es wird aber niemand von den anderen Parteien mit der AfD reden wollen. Worauf läuft das dann hinaus?
Greifenstein: Das läuft darauf hinaus, dass es im Moment keine Mehrheit in Thüringen gibt. Das ist ein Ei, was sich insbesondere die CDU selbst gelegt hat, die ja bisher die rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Haushaltsverhandlungen so ein bisschen geduldet hat.
Das gesamte Wahlergebnis zeigt die enorme Stärke der rechtsextremen AfD. Aber es zeigt eben auch die Schwäche der demokratischen Parteien, wenn es um die politische Gestaltung im Bundesland Thüringen geht.
DOMRADIO.DE: In drei Wochen gibt es die Wahl in Brandenburg. Müssen wir befürchten, dass solche Ergebnisse später auch im Westen Deutschlands möglich sind und dies kein rein ostdeutsches Phänomen ist?
Greifenstein: Ja, wir haben auch in den westdeutschen Bundesländern bei vorangegangenen Wahlen schon mehrere 100.000 Wählerinnen und Wähler der AfD gehabt. Das ist prozentual natürlich weniger in urbanen Räumen, das ist auch im Osten übrigens so, dass in Großstädten weniger AfD gewählt wird und dort, wo es ein aktives demokratisches Bürgertum gibt. Das ist im Osten in den letzten 35 Jahren nicht in dem ausreichenden Maße gewachsen.
Dazu muss man aber auch sagen, dass von allen postsozialistischen Staaten, die es in Europa gibt, die ehemalige DDR, die ostdeutschen Bundesländer eigentlich die sind, die am stabilsten durch die letzten 35 Jahre gekommen sind. Das ist eine Wechselwirkung natürlich mit der alten Bundesrepublik, für die man nur dankbar sein kann. Aber der Auftrag, hier Demokratie zu gestalten im Osten, der bleibt natürlich weiter bestehen, auch unter unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen, was zum Beispiel die Parteienbindung angeht und das Vertrauen in die Demokratie.
Und das ist das eigentlich Beunruhigende am Ergebnis dieser Wahl: Das Vertrauen in die Institutionen der Demokratie ist auf einem absoluten Minusrekord, gerade bei den jüngeren Menschen.
DOMRADIO.DE: Wir schauen auf die Kirchen: Bischof Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, hat vor den Wahlen erneut davor gewarnt, die AfD zu wählen. Für Christen sei diese Partei nicht wählbar. Ist offenbar nicht angekommen, gerade in Thüringen nicht, oder?
Greifenstein: Wir haben in Thüringen eine katholische Minderheit von sieben Prozent und insgesamt eine Kirchenmitgliedschaft von knapp über 20 Prozent. Ich würde schon sagen, dass das angekommen ist, aber eben bei den Menschen, die noch auf die Kirche hören und in der Kirche leben. Je kirchennäher man ist, desto mehr hört man sicherlich auf das, was die Bischöfe sagen. Das sieht man in Thüringen an der traditionell katholischen Region des Eichsfelds ganz gut. Dort schneidet die CDU nach wie vor sehr gut ab und hat auch die AfD bei den Direktmandaten besiegt.
Aber diese Kirchenbindung und damit auch die Bindung an christliche Werte, nimmt überall ab bei den Jüngeren und ist eher ein Phänomen der älteren Bevölkerung.
DOMRADIO.DE: Wie können die Kirchen da gegensteuern? Was erwarten Sie jetzt auch von den Kirchen?
Greifenstein: Man muss sich seiner eigenen Wirkungskraft so bewusst sein, wie auch der eigenen Grenzen. In diesen Wahlkämpfen im Osten agieren die Kirchen gemeinsam und deutlich. Das bleibt eine Aufgabe, in der eigenen Mitarbeiterinnenschaft, bei Diakonie und Caritas, bei der eigenen Kirchenmitgliedschaft für die Demokratie zu werben und zu sprechen. Dazu kommt nach solchen Ergebnissen wie jetzt in Thüringen und Sachsen sicherlich auch die Aufgabe, die Türen offen zu halten für diejenigen, die konkret bedroht werden und drohen, Opfer zu werden von rechtsradikaler Diskriminierung und rechtsextremistischer Gewalt. Und für die muss die Kirchen jetzt versuchen, ein sicherer Ort zu sein.
Das Interview führte Carsten Döpp.