DOMRADIO.DE: Am Mittwoch bei der Pressekonferenz der Bischofsvollversammlung in Fulda hat Bischof Bertram Meier die Luftangriffe Israels auf den Gazastreifen in die Nähe von Terrorismus gerückt, als er von "Luftanschlägen" sprach. Das hat er mittlerweile wieder zurückgenommen. Gleichwohl müsse man über Maßnahmen Israels diskutieren, hieß es. Sehen Sie das auch so? Sind die Maßnahmen Israels angesichts so vieler ziviler Opfer noch gerechtfertigt?
Erzbischof Udo Bentz (Vorsitzender der Arbeitsgruppe Naher und Mittlerer Osten der Deutschen Bischofskonferenz): Bischof Meier hat sich dazu gestern noch einmal erklärt. Das Missverständnis ist ausgeräumt. Grundsätzlich gilt, dass in jedem militärischen Konflikt die Frage im Raum steht, was völkerrechtlich gedeckt ist und was nicht. Man muss immer prüfen, ob Maßnahmen verhältnismäßig sind oder nicht. Diese letzten Aktionen mit explosiven Pagern zum Beispiel im Libanon, die mit großer Sicherheit auf den israelischen Geheimdienst zurückzuführen sind, haben eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit ausgelöst.
Es ist wichtig, – das hat Kardinal Pizzaballa [Anm. der Red.: Lateinischer Patriarch von Jerusalem], der uns an diesem Mittwoch bei der Bischofsvollversammlung besucht hat, auch noch einmal deutlich gesagt – dass uns als Außenstehende viele Informationen für eine fundierte Beurteilung fehlen. Dass wir zurückhaltend mit vorschnellen Urteilen sein sollten und dennoch klar auch Stellung beziehen müssen. Dabei ist eine besondere Sorgfalt in unserer Sprache unerlässlich. Immer wieder bekomme ich die Frage zu hören, ob diese sich steigernde Spirale der Vergeltung und die damit einhergehende Eskalation wirklich der Weg ist, der weiterführt.
Ich bin überzeugt, wenn wir auf die Sicherheitsrechte der Palästinenser schauen, muss das auch im Interesse der Sicherheit Israels sein. Wenn wir auf die Sicherheitsrechte Israels schauen, muss das auch im Interesse für die Sicherheit der Palästinenser sein. Darum ist die Frage, mit welchen Maßnahmen man in dieser ganzen Region eine weitere Radikalisierung nährt. Muss es nicht auch im Interesse aller Beteiligten sein, Maßnahmen vor diesem Hintergrund zu beurteilen? Hier gibt es berechtigte Zweifel. Aufgrund meiner Gespräche mit Betroffenen vor Ort bin auch ich skeptisch, ob diese Verhältnismäßigkeit in den letzten Monaten immer gegeben war.
DOMRADIO.DE: Es scheint so, als sei keiner der politischen Führer – weder von der Hamas noch von der Hisbollah noch Israels Premier Netanjahu - zur Deeskalation bereit. Israel, insbesondere Jerusalem, ist das Zentrum der drei großen Weltreligionen. Wünschen Sie sich vonseiten der religiösen Führer ein geeinteres Vorgehen und eine stärkere Stimme, die zu einem Ende der Gewalt auf allen Seiten aufruft?
Bentz: Klar doch! Doch auch die religiösen Führer – das erzählt uns Kardinal Pizzaballa – stecken in der Situation selbst fest, dass sie in diesen Mechanismen von Vorbehalten, Argwohn und Verdacht einander gegenübertreten. Mich hat es wirklich auch bedrückt zu hören, dass letztendlich durch die Situation seit dem 7. Oktober 2023 auch der interreligiöse Dialog im Heiligen Land eingebrochen ist. Es gibt zaghafte vertrauensbildende Initiativen, aber wir spüren, dass die Religionen Teil dieses Konfliktes sind und nicht über diesem Konflikt stehen.
Ich finde es immer wieder bemerkenswert, in welcher Rolle der Patriarch von Jerusalem ist, weil er gleichzeitig Bischof für Christen, die israelische Staatsbürger sind, ist und für Christen, die in Israel als Migranten leben, für die arabischen Christen im Westjordanland und die Christen in Gaza. Darin sehe ich eine Chance für die Kirche, eine Brückenfunktion zu übernehmen. Ich spüre, dass der Kardinal das auch sein will. Eine gemeinsame Wahrnehmung der Situation scheint derzeit aufgrund der tiefen Wunden nur schwer möglich.
DOMRADIO.DE: Die Kirche lebt von der Hoffnung. Gelingt es Ihnen persönlich eigentlich noch, mit Blick auf den Nahen Osten die Hoffnung nicht zu verlieren, dass da irgendwann mal Frieden oder zumindest eine friedliche Koexistenz einkehrt?
Bentz: Man könnte sagen, dass die Hoffnung zuletzt stirbt und deswegen ist sie noch nicht tot. Ich finde es aber noch viel tiefgreifender. Der Kardinal wurde gefragt, wie es denn mit seiner Hoffnung aussieht, als direkt vor Ort unmittelbar Betroffener. Er hat gesagt, dass es in dem Moment, wo wir Hoffnung und Lösung zu eng miteinander verknüpfen, auch keine Hoffnung mehr geben kann. Hoffnung ist mehr, als konkrete Lösungen im Blick zu haben oder gar umzusetzen. Hoffnung bewährt sich für den Christen in der Situation, in der die Lösung noch nicht in Sicht ist.
Glauben wir daran, dass Gott den Menschen nicht im Stich lässt, auch in den ausweglosen Situationen? Ist das nicht der Kern unseres christlichen Glaubens an das Geheimnis des Kreuzes? Glauben wir daran, dass dieser Gott Menschen dazu führen kann, weiter zu gehen, auch in scheinbar ausweglosen Situationen, die irgendwann auch immer wieder Lösungen am Horizont erscheinen lassen? Glauben wir daran, dass dort, wo wir Menschen an unsere Grenzen stoßen, Gott Wege findet, Grenzen zu überwinden?
Dieser Glaube ist der Motor, sich konkret für eine Perspektive von Versöhnung und Frieden zu engagieren. Deswegen habe ich auch für das Heilige Land Hoffnung, aber ich habe noch keine Lösung. Wir alle sind so realistisch, dass wir sehen, auch morgen, übermorgen und in ein paar Monaten wird sich noch keine Lösung am Horizont abzeichnen. Denn alle Beteiligten an diesem Konflikt haben noch keine Vision für diese Zeit.
Und dennoch muss es unsere Aufgabe sein, Hoffnung vorzuleben und all diejenigen vor Ort zu stärken, die in dieser Situation nach Wegen suchen, Brücken zu bauen, Verständigung zu suchen, Ressentiments abzubauen, in den Kontakt zu gehen. Es braucht eine Art Graswurzelarbeit in der Gesellschaft, um mit diesen Traumatisierungen, die geschehen sind, umzugehen und an der Seite derer zu stehen, die Opfer sind. Das ist unsere Aufgabe als Kirche. Ganz konkret für diese Menschen durch Hilfe und Unterstützung, durch gelebte Solidarität in Gebet und Tat auch Hoffnung zu geben.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.