OMRADIO.DE: Wieso nennt man den Henker Giovanni Battista Bugatti denn "Mastro Titta"? Was ist das für ein Titel?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Autor): Ja, das ist eine Verballhornung. Der offizielle Titel war "maestro di giustizia", der Meister der Gerechtigkeit. Und "Titta" wurde vielleicht auch aus dem Namen Battista abgewandelt.
DOMRADIO.DE: Was war das für ein Typ Mensch, dieser Mastro Titta? War das ein netter Mensch? Kann ich mir nicht vorstellen.
Nersinger: Ja, das war wirklich ein netter Mensch. Alle Quellen, die über ihn berichten, sagen, dass er ein frommer, braver, fürsorglicher Familienvater war. Er war von Hauptberuf ein sogenannter Ombrellario, also ein Schirmmacher. Er bemalte kunstvoll Sonnenschirme, Regenschirme, entwarf Santini, das sind diese kleinen Heiligenbildchen, die heute noch in Italien beliebt sind.Er war ein völlig normaler Mensch, könnte man sagen. Er ging regelmäßig in die Kirche, zur Beichte, ging zur Kommunion. Er war ein sehr frommer Mann.
DOMRADIO.DE: Trotzdem hat er 516 Menschen hingerichtet, die verurteilt wurden. Für welche Art von Vergehen waren die denn verurteilt worden?
Nersinger: Es waren grundsätzlich nur Kapitalverbrechen, also in der Regel, dass irgendjemand einen Mord oder mehrere Morde begangen hat. Das waren wirklich schwere Verbrechen. Da hat man im Kirchenstaat schon Wert darauf gelegt, dass man die Todesstrafe nur für solche Fälle verhängte. Und es ist auch so, dass das, wenn sich der Täter reumütig zeigte, meistens der Papst auch die Strafe in Lebenslänglich umwandelt, außer wenn der Betreffende absolut keine Reue zeigte und das Verbrechen so grausam war, dann blieb man bei der Todesstrafe.
DOMRADIO.DE: Wie hat dann Giovanni Battista hingerichtet? Kopf ab?
Nersinger: Ja, ganz früher war die Axt die Hauptmethode, während der Franzosenzeit, kam dann auch die Guillotine auf.
DOMRADIO.DE: Wie lief dann so eine Hinrichtung ab?
Nersinger: Die Werke von Lord Byron und von Charles Dickens beschreiben die Hinrichtungen im Kirchenstaat minutiös, sehr ausführlich. Die Hinrichtungen hatten für unsere heutigen Verhältnisse einen etwas seltsamen Charakter. Ich will eigentlich das Wort "Volksbelustigung" nicht nehmen, aber es war so eine Gelegenheit, bei der das römische Volk zusammenkam.
Das Verrückte war, dass zum Beispiel bei der Hinrichtung um den Hinrichtungsplatz Süßigkeiten und Essen verkauft wurde. Das hatte einen sehr seltsamen Charakter. Die Eltern brachten ihre Kinder mit und hielten die Kinder dann bei dem Akt der Hinrichtung sogar hoch. Heute erscheint uns das völlig seltsam und völlig wirr. Damals aber was es eine Art der Pädagogik. Man wollte den Kindern sagen, was passiert, wenn sie sich daneben benehmen.
DOMRADIO.DE: War denn der Papst bei solchen Hinrichtungen auch dabei? Er hat die Urteile ja gesprochen.
Nersinger: Nein, wir wissen aus gesicherten Quellen, dass sich der Papst bei jeder Hinrichtung in seine Privatkapelle zurückzog und und Gebete sprach. Das ist nicht so, dass er irgendwie ein Vergnügen oder eine Genugtuung gehabt hätte, sondern er hat das im Gebet vor Gott getragen.
DOMRADIO.DE: Gab es denn in dieser Zeit auch einen besonderen Vorfall, über den viel berichtet wurde?
Nersinger: Die beiden Attentäter, die in 1867 eine Kaserne der päpstlichen Soldaten in die Luft gesprengt haben, das war natürlich ein Ereignis, zu dem viele Leute strömten. Und das waren auch zwei Leute, die trotz großen Zureden ihrer Beichtvater dann nicht ihre Tat bereuten. Darüber wurde in der ganzen Welt berichtet. Aber ansonsten gibt es keine großen Vorfälle.
1864 als der Maestro schon ein gewisses Alter hatte, hat man ihn pensioniert, weil man merkte, dass er bei der Verrichtung seines Amtes nicht mehr so ganz sicher war. Man wollte da keine Zwischenfälle provozieren.
DOMRADIO.DE: Gab es danach noch weitere Henker?
Nersinger: Ja, es gab noch weitere. Nach meinen Recherchen waren die letzten bis 1868 aktiv. Und man muss auch bedenken, dass das viele Hinrichtungen auch nicht vollzogen worden. Es gab in Rom eine Erzbruderschaft, die begleitete die zum Tode Verurteilten, die Erzbruderschaft des heiligen Johannes des Täufers. Die hatte ein Privileg. Sie konnte jährlich mindestens einen der zum Tode Verurteilten durch ihre Fürsprache beim Papst vor der Vollstreckung retten.
DOMRADIO.DE: Wann wurde die Todesstrafe dann letztendlich abgeschafft?
Nersinger: Ja, das ist eine Kuriosität. Die letzte Todesstrafe im Kirchenstaat wurde 1868 vollzogen. 1929, als der Vatikanstaat entstand, hat man die italienische Gesetzgebung in vielen Punkten übernommen. Man hat dann nur einen Fehler gemacht.
1944 haben die Italiener die Todesstrafe abgeschafft. Das hat man aber im Vatikan versäumt zu übernehmen. Und so kam man dann zufällig darauf, 1969, glaube ich, war es. Papst Paul VI. hat dann gehandelt und und diesen Passus aus der Gesetzgebung gestrichen.
DOMRADIO.DE: Im Tower of London gibt es ja diesen berühmten Dungeon, wo man reingehen kann und man kann sich dann die Folterwerkzeuge anschauen und die Hinrichtungen. Nicht ganz weit weg vom Peterplatz liegt ja das Haus von Mastro Titta . Sieht das da genauso aus. Waren Sie da mal drin?
Nersinger: Nein, es hat heute ganz andere Besitzer. Es ist das Originalhaus, wo Mastro Titta wohnte. Aber in die Richtung vielleicht interessant ist das Museo Criminologico, das Kriminalmuseum in Rom. In diesem Museum wird das Gewand, das der Henker von Rom trug, aufbewahrt, auch die Guillotine und einige Utensilien, die bei der Hinrichtung vorhanden waren.
Das Interview führte Oliver Kelch.