Himmelklar: Kann man sagen, welche Rolle Christen in diesem Konflikt einnehmen?
Pater Elias Pfiffi OSB (Auslandsseelsorger und Geistlicher Leiter des Pilgerhauses Tabgha): Der Konflikt mit Hisbollah und Hamas ist sehr jüdisch-muslimisch geprägt. Wir Christen sind da eher so dazwischen. Wir werden manchmal zwischen dem Konflikt zerrieben, zwischen Mühlsteinen zermahlen. Das zeigt sich zum Beispiel jetzt auch im Blick auf die libanesische Grenze und auf den Konflikt mit der Hisbollah.
Die Hisbollah, die ja schiitisch-muslimisch ist, hat oft christliche Dörfer genommen, um von dort aus Raketen nach Israel zu schicken. Und Israel hat natürlich seine Raketen dahin zurückgeschickt, wo die Raketen herkamen, und hat dann christliche Dörfer auch getroffen. Christen sind oft so etwas wie ein Spielball, wie ein kleines Korn im Mühlstein dieses großen Konfliktes.
Wir Christen werden auf der anderen Seite von vielen Juden und Muslimen aber auch als Anwälte für den Frieden angesehen. Sie sagen etwa: Ihr seid nicht so sehr in den Konflikt einbezogen, bitte gebt uns Hilfe in diesem großen Konflikt, betet für uns, gebt uns Ratschläge, wie wir in diesem Konflikt bestehen können.
Wir Christen sind aber nur zwei Prozent in dieser großen Bevölkerung von hauptsächlich Juden und Muslimen. Wir können unsere Stimme für den Frieden und für die Sichtweise auf beide Seiten immer wieder erheben. Und Gott sei Dank tut das auch unser Patriarch. Der katholische Patriarch Pizzaballa tut wirklich viel für den Frieden. Er versucht immer, den Blick auf die Opfer beider Seiten zu halten. Und er war einer der wenigen, die zum Beispiel auch jetzt in diesem Krieg im Gazastreifen waren. Er war wirklich bei der christlichen Gemeinde in Gaza, weiß um deren Probleme und war vor Ort, was sonst keiner der Kirchenführer gemacht hat. Trotz der Gefährlichkeit der Heckenschützen von beiden Seiten hat er das unternommen, um vor Ort bei den Menschen zu sein.
Himmelklar: Positionieren Sie sich, wenn Sie nach Ratschlägen gefragt werden?
Pater Elias: Wir positionieren uns nicht anders als bisher. Wir sind für die Menschen da. Vor dem Krieg haben das alle sehr schön beklatscht und gesagt, das ist sehr nett. Jetzt machen wir das genauso weiter. Wir sind für die Menschen da, auf beiden Seiten.
Und jetzt wird uns vorgeworfen, dass wir uns nicht genug auf eine Seite ziehen lassen. Wir bleiben aber bei dieser Position, dass wir bei den Menschen sind, die Opfer von Gewalt wurden, von Massakern. Es gibt Menschen, die entführt wurden und als menschliche Schutzschilde missbraucht wurden, die als unschuldige Zivilisten sterben. Wir sind auf dieser Seite der Opfer. Das sind wir immer noch.
Wir sagen das Gleiche wie vor dem 7. Oktober. Aber momentan wird uns das eher angekreidet, weil wir nicht klar nur für eine Seite oder nur für die andere Seite Partei ergreifen, sondern weil wir beide Parteien und alle Menschen, die unter dem Konflikt leiden, im Blick haben.
Himmelklar: Ihr Auftrag seitens der Deutschen Bischofskonferenz ist, dass Sie Seelsorge vor Ort wahrnehmen. Zum Beispiel für die Deutschen, die in Israel leben und beruflich länger da sind, mit ihren Familien, oder auch für die Studierenden. Gibt es da aktuell mehr Kontakt?
Pater Elias: Einerseits muss man sagen, dass dadurch, dass weniger Pilger da sind, der Kontakt mit den Gemeindemitgliedern, die jetzt trotzdem da sind, wie etwa Volontäre oder Leute aus dem Studienjahr, besser gepflegt werden. Durch die Eskalation gab es aber vor einigen Tagen die Anweisung, dass Familienmitglieder der Botschaftsangehörigen ausreisen müssen. Auch viele Volontäre mussten wieder ausreisen. Auch das Studienjahr muss ausreisen.
Himmelklar: Das ist nach Rom verlegt worden.
Pater Elias: Genau, es ist nach Rom verlegt worden. Von daher war es die ganze Zeit eher möglich, mit den Leuten, die da sind, qualitativ und quantitativ mehr Zeit zu verbringen. Durch die Verschärfung der Lage verlassen aber auch viele Leute wieder das Land. Es ist natürlich jetzt auch viel organisatorisch zu regeln. Es muss aktuell immer abgewartet werden, ob ein Gottesdienst eigentlich stattfinden kann. Sind genug Leute da? Und erlaubt es die Sicherheitslage? Oder dürfen oder können die Leute zum Beispiel gar nicht an einem Gottesdienst teilnehmen, weil sie nicht außer Haus dürfen, weil Versammlungen ab einer bestimmten Zahl beispielsweise verboten sind.
Himmelklar: Haben Sie Hoffnung, dass die Normalität auch zu Ihnen ins Kloster bald wiederkommen wird?
Pater Elias: Ich habe natürlich die Hoffnung. Seit 25 Jahren hier habe ich schon einiges erlebt. Ich habe schon die Intifada erlebt, die im Jahre 2000 begonnen hat, ich habe den Libanonkrieg im Jahre 2006 erlebt und einige Gaza-Konflikte und Kriege. Diese Konflikte und dieser Krieg, der sich jetzt auf verschiedenen Fronten ausdehnt, das ist schon eine größere Hausnummer. So groß und so lange habe ich es noch nicht erlebt. Ich bin aber schon lange genug hier, dass ich weiterhin die Hoffnung habe, dass es irgendwann mal zu einem Ende kommt und dass sich vielleicht auch eine neue Ordnung hier in dem Nahen Osten etabliert, sodass sich da auch etwas Neues entwickeln kann.
Wenn diese islamistischen Terrororganisationen geschwächt sind und wenn auch der Libanon wieder mehr auf die Beine kommt, ergibt sich das vielleicht. Wer weiß, vielleicht erwächst hinter all dem Schlechten und den vielen Toten und Verwundeten, die es da gibt, irgendwann auch mal was Positives und Gutes – und nicht nur Rache und Vergeltung. Dafür lebe ich, deswegen bin ich auch hier. Das ist auch wieder meine Hoffnung, dass da irgendwie dann doch die Vergebung kommt und die Rache weicht.
Himmelklar: Wie lange können Sie das auch rein wirtschaftlich aushalten, wenn jetzt weniger Pilgerinnen und Pilger kommen? Sie haben Angestellte, die bezahlt werden müssen. Sie bezahlen die im Moment weiter. Wie lange ist das tragbar?
Pater Elias: Das ist eine gute Frage und eine wichtige Frage, der wir uns als Konvent in den nächsten Tagen ganz konkret auch stellen werden und stellen müssen. Dieser Konflikt dauert ja jetzt schon zwölf Monate. Wir haben versucht, die meisten unserer Angestellten zu halten, weil sie auch darauf angewiesen sind.
Wenn es jüngere Angestellte sind, kriegen sie zum Beispiel nach drei Monaten kein Kurzarbeitergeld mehr. Wenn sie schon länger arbeiten, erlischt dieses Kurzarbeitergeld natürlich auch und sie müssen sich arbeitslos melden. Das soziale Netz in Israel ist natürlich nicht so gut wie das soziale Netz in Deutschland. Deshalb haben wir einfach versucht, viele der Angestellten familienverträglich zu halten, sowohl in der Abtei als auch in Tabgha als auch hier im Pilgerhaus. Wir kommen aber so langsam an unsere Grenzen.
Um unsere Angestellten an beiden Orten zu bezahlen, müssen wir für die Lohnkosten und für unsere Lebenshaltungskosten jeden Monat circa 70.000 bis 80.000 Euro aus unseren Rücklagen nehmen. Das sind Rücklagen, die eigentlich unsere Altersversicherung sind. Wir nehmen jeden Monat so 70.000 bis 80.000 Euro aus unseren Rücklagen. Gott sei Dank kriegen wir noch viele Spenden, aber natürlich können sie die monatlichen Ausgaben nicht auffüllen. Wenn es so lange weitergeht, müssen wir gucken, wo wir sparen und wo wir weiter einschränken müssen.
Das ist die Frage unserer nächsten Kapitelsitzungen und Konferenzen, dass wir überlegen, wie es weitergehen kann. Müssen wir weitere Schritte machen? Müssen wir noch mehr reduzieren? Das ist ein schwerer Schritt, aber da kommen wir nicht drumherum, denn solange der Krieg so weitergeht und solange die Situation so bleibt und keine Pilger kommen und wir jeden Monat so viele Ausgaben haben, müssen wir irgendwo noch dran drehen und uns darauf einstellen.