Bischof Wilmer bewundert Herz-Jesu-Enzyklika des Papstes

"Schlussstein der Kathedrale Franziskus"

Die neue Enzyklika von Papst Franziskus befasst sich mit dem Heiligsten Herzen Jesu. Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer gehört der Kongregation der Herz-Jesu-Priester an und sieht in dem Schreiben ein "spirituelles Meisterwerk".

Autor/in:
Johannes Schröer
Bild mit einer Darstellung des Heiligsten Herz Jesu im Altarraum der Wallfahrtskirche Maria Vesperbild in Ziemetshausen / © Simon Koy (KNA)
Bild mit einer Darstellung des Heiligsten Herz Jesu im Altarraum der Wallfahrtskirche Maria Vesperbild in Ziemetshausen / © Simon Koy ( KNA )

DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung hat diese Herz-Jesu-Enzyklika?

Heiner Wilmer, Bischof von Hildesheim und Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax, am 11. November 2023 in Tabgha in Israel / © Andrea Krogmann (KNA)
Heiner Wilmer, Bischof von Hildesheim und Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax, am 11. November 2023 in Tabgha in Israel / © Andrea Krogmann ( KNA )

Bischof Heiner Wilmer (Bischof von Hildesheim und Mitglied der Kongregation der Herz-Jesu-Priester): Ich halte diese dritte Enzyklika, die Papst Franziskus geschrieben hat, nach "Laudato si" und "Fratelli tutti" für sein spirituelles Meisterwerk (seine erste Enzyklika "Lumen fidei" war eine Fortführung eines Schreibens von Papst Benedikt XVI., d. Red.). Aus meiner Sicht ist diese Enzyklika der Schlussstein der Kathedrale Franziskus. Jener Stein, der den ganzen Bau zusammenhält.

DOMRADIO.DE: Der Papst widmet seine Enzyklika der Verehrung des Herzens Jesu. Was ist das denn für eine Spiritualität, diese Herz-Jesu-Frömmigkeit?

Wilmer: Die Herz-Jesu-Frömmigkeit wurde oft belächelt, vor allem auch bei uns in Deutschland. Der Vorwurf lautete und lautet auch zum Teil heute, es sei eine seichte, fade, unmännliche Frömmigkeit ohne ernstzunehmendes theologisches Fundament. Das ist nicht so! Es gibt zwar Entgleisungen, es gibt auch viel Kitsch zum Teil, ja. 

Bischof Heiner Wilmer

"Der Kern der Frömmigkeit ist die Inkarnation, das wir ernst nehmen, dass Gott Mensch wurde und zwar wirklich Mensch."

Aber im Hintergrund, das hat Hugo Rahner gezeigt, gibt es eine großartige Linie, beginnend mit dem Ersten Testament über den Propheten Ezechiel, den Propheten Hosea, Jeremia hin ins Neue Testament, hin zu großen Frauen und Männern. Der Kern der Frömmigkeit ist die Inkarnation, dass wir ernst nehmen, dass Gott Mensch wurde, und zwar wirklich Mensch. Nicht nur eine abstrakte Idee, nicht nur Geist, wie Hegel vielleicht sagen würde. 

Nein, er wurde Körper. Gott hat in Jesus Empfindungen. Es bewegt ihn, wie Menschen leben. Er ist auch traurig und zornig. Es geht darum, bei den Menschen zu sein. Und im Kern der Enzyklika steht tatsächlich das Zentrum des Evangeliums, nämlich: Es geht um eine Religion der Liebe, um eine Religion des Konkreten. 

Es geht eben nicht um Moral, sondern um Erlösung. Es geht nicht um Anspruch, sondern um Zuspruch, nicht um Ansage, sondern um Zusage und nicht um Imperativ, sondern um den Indikativ: Ihr seid das Licht der Welt und das Salz der Erde. Ihr müsst doch nicht umsteuern, Ihr seid schon wunderbare Menschen.

DOMRADIO.DE: Nun wird uns aber der Zugang zur Herz-Jesu-Frömmigkeit ein wenig verstellt, weil wir zunächst alle diese frommen Andachtsbildchen im Hinterkopf haben, die eher so nach Lebkuchenherz, Zuckerwatte und Kitsch klingen. Also dieser Jesus, der verklärt dreinschaut und seine Hand auf das Herz legt, das Blut sprudelt. Wie können wir den Zugang heute finden, wenn wir diese Bilder erst noch im Kopf haben?

Herz-Jesu-Mosaik im italienischen Turin vom Ende des 19. Jahrhunderts / © Renata Sedmakova (shutterstock)
Herz-Jesu-Mosaik im italienischen Turin vom Ende des 19. Jahrhunderts / © Renata Sedmakova ( shutterstock )

Wilmer: Die Bilder sind eine Sache. Man muss nicht an den Bildern hängen. Das sagt auch Papst Franziskus. Es ist ein Symbol. Es sind bestimmte Kennzeichen, die auf diesen konkreten, besonderen Menschen, Jesus von Nazareth, hinweisen. 

Interessant ist ja in der Geschichte, auch in der Geschichte unserer Kirche, dass die Herz-Jesu-Verehrung immer dann hochkam, wenn es Zeiten großer Wirren gab, wie zum Beispiel Zeiten brutaler Kriege mit geschundenen Körpern, eine soziale Kluft, die immer größer wurde und wird und ungerechte wirtschaftliche Strukturen. 

Wenn die Kirche auch sich zu weit wegbewegt vom Menschen, wenn Kirche zu sehr auf Strukturen beharrt, zu dogmatisch und zu abstrakt ist und das konkrete Leben vergisst, die konkrete Hinwendung zum Menschen, da hält Papst Franziskus dagegen mit der Betonung der Herz-Jesu-Verehrung, wenn er letztlich sagt: Bitte, achtet auf einen Gott, der ein Herz hat für diese Welt.

DOMRADIO.DE: Nun denkt man aber auch automatisch an diesen Dualismus, diese Herz-Jesu-Frömmigkeit, die geht eher so ins Gefühl, die geht ans Herz, die spricht die Romantiker an und dagegen steht der Verstand, die Vernunft, das Klare. Wie kann man das denn auflösen? Das ist ja jetzt nicht gegen den Verstand und gegen die Vernunft gerichtet, die Herz-Jesu-Frömmigkeit.

Bischof Heiner Wilmer

"Die großen Entscheidungen des Lebens werden durch eine innere Intuition getroffen."

Wilmer: Ja, ein klassischer Vorwurf. Dass es diesen Vorwurf gibt, das stimmt. Man muss sagen, die Herz-Jesu-Verehrung wurde oft gesehen als Antipode zur Aufklärung. Ja, Emotion gegen Vernunft, Empfindungen gegen mathematisch-naturwissenschaftliche Berechnungen und irgendwie eine Schwärmerei gegen die Logik. 

Das ist eine Antipode, die so nicht stimmt. Super finde ich persönlich, wenn der Philosoph und Mathematiker und Konvertit Blaise Pascal sagt: Das Herz kennt eine Vernunft, die die Vernunft nicht kennt. Das heißt mit anderen Worten, das Herz hat eine Dynamik, die zentral ist für uns Menschen. Papst Franziskus sagt in der Enzyklika: Ich bin mein Herz. Das heißt, die großen Entscheidungen des Lebens werden nicht durch die Vernunft getroffen oder durch Kalkül und Mathematik, sondern durch eine innere Intuition. 

Wenn ich mich verliebe, wenn ich mich für einen Menschen entscheide, wenn ich mich jemandem zuwende und wenn ich auch einen Beruf wähle. Die großen Entscheidungen laufen eher über unser Herz und sind in unserem Herzen.

DOMRADIO.DE: In unserer säkularen Welt ist das Herz ja allgegenwärtig. Wir denken nur daran, dass man ja seit einigen Jahren immer mit Daumen und Zeigefinger beider Hände ein Herz formt. Das machen zum Beispiel Fußballer, nachdem sie Tore geschossen haben. Es ist ja spannend, dass das Herz auch in der säkularen Welt so allgegenwärtig ist und dass es jetzt diese Enzyklika gibt. Das kann uns auch in unserer heutigen Zeit viel sagen, oder?

Bischof Heiner Wilmer

"Um das Göttliche zu empfangen, müssen wir ihm ein Gasthaus bauen."

Wilmer: Definitiv. Papst Franziskus bringt die Hinwendung zum Herzen Jesu als eine Hinwendung zu einer Frömmigkeit, die durchaus einen Platz hat und haben kann in der modernen Welt. Er zitiert Martin Heidegger. Er zitiert übrigens auch den deutsch-koreanischen Philosophen Byung-Chul Han, der in Berlin lebt, der zum Beispiel mit Heidegger sagt: Das Denken muss ergriffen sein. 

Um richtig denken zu können, brauche ich eine innere Regung, eine Ergriffenheit, eine innere Leidenschaft und die entwickelt sich natürlich im Herzen. Daraus ableitend sagt Papst Franziskus so in dem Zusammenhang: Um das Göttliche zu empfangen, müssen wir ihm ein Gasthaus bauen. Wir brauchen Gastfreundschaft, wir brauchen ein offenes Herz. Wir brauchen zunächst einmal eine innere Öffnung, ein inneres sich Aufmachen auf unterschiedlichen Ebenen.

Das Interview führte Johannes Schröer. 

Geschichte der Herz-Jesu-Verehrung

"Leiden und im Leiden lieben, nur dazu bin ich geboren", schrieb Margareta Maria Alacoque über sich selbst. Bereits mit zwölf Jahren, kurz nach ihrer Erstkommunion, war sie vier Jahre lang krank ans Bett gefesselt - bis sie überraschend wieder gesund wurde. Es sollte nicht das einzige wundersame Ereignis im Leben der späterenHeiligen sein. Schon in ihren Jugendjahren hatte sie göttliche Visionen. Mit 23 Jahren trat sie in den Orden von der Heimsuchung Mariens ein.

Zwei Engel halten ein Tuch mit einer Dornenkrone in der Mitte und darin das Herz Jesu. Ein Feskro aus der Herz-Jesu-Kirche in Berlin, von Friedrich Stummel and Karl Wenzel Ende des 19. Jahrhunderts / © Renata Sedmakova (shutterstock)
Zwei Engel halten ein Tuch mit einer Dornenkrone in der Mitte und darin das Herz Jesu. Ein Feskro aus der Herz-Jesu-Kirche in Berlin, von Friedrich Stummel and Karl Wenzel Ende des 19. Jahrhunderts / © Renata Sedmakova ( shutterstock )
Quelle:
DR