Die Herz-Jesu-Verehrung gibt es schon lange

"Christus kommt ganz nah, fast körperlich und intim"

Am Donnerstag veröffentlicht Papst Franziskus seine neue Enzyklika über die Verehrung des heiligsten Herzen Jesu. Franziskus möchte diese Frömmigkeitsform neu beleben. Die hat eine lange Geschichte, erklärt Johann Hinrich Claussen.

Autor/in:
Johannes Schröer
Herz Jesu Darstellung / © Dieter Mayr (KNA)
Herz Jesu Darstellung / © Dieter Mayr ( KNA )

DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat sich ein Thema für seine vierte Enzyklika ausgesucht, das vielleicht heute nicht mehr so präsent zu sein scheint - zumindest in Europa. Dabei begann die Herz-Jesu-Frömmigkeit schon in der Antike und entwickelte sich dann im Mittelalter. Welche Bedeutung hatte sie damals? 

Für den Theologen Johann Hinrich Claussen können Bilder und andere Kunstwerke einen eigenen Zugang zur Welt des Glaubens eröffnen. / © Der evangelische-lutherische Theologe Hinrich Claussen (epd)
Für den Theologen Johann Hinrich Claussen können Bilder und andere Kunstwerke einen eigenen Zugang zur Welt des Glaubens eröffnen. / © Der evangelische-lutherische Theologe Hinrich Claussen ( epd )

Johann Hinrich Claussen (Autor und Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland) Die hat eine lange Vorgeschichte. Richtig los geht es aber im 18. Jahrhundert. 

Diese neuzeitliche Frömmigkeit hat antike und mittelalterliche Vorbilder und sie war besonders wichtig für die Jesuiten, somit auch für den heutigen Papst. Im 17. Jahrhundert beginnt es mit der Nonne Margareta Maria Alacoque, die vier Visionen empfangen hat, in denen Christus ihr gesagt hat, dass das Bild des Herzens Jesu verehrt werden solle. Das wurde dann Teil einer großen, von der Jesuiten betriebenen Bewegung. 

Das hat zu einer Intensivierung der Frömmigkeit geführt. Christus ist nicht mehr der ferne Weltenrichter, Christus kommt ganz nah, fast körperlich und intim. Das ist eben eine Veränderung. Man könnte auch von einer Emotionalisierung oder Verweiblichung sprechen. Das ist jetzt nicht wertend gemeint aber damit löste sich diese Christusvorstellung von den ursprünglichen Visionen und Intentionen, die auch die Jesuiten damit anstrebten und wurde ganz wichtig in der populären  Erbauungskultur.

Johann Hinrich Claussen

"Dieses Bild hat ganz intensiv auf die Menschen gewirkt."

DOMRADIO.DE: Jesuiten sind auch dafür verantwortlich, dass die Herz-Jesu-Frömmigkeit so sehr an Bedeutung für den Katholizismus gewann. Warum haben die Jesuiten das so in den Mittelpunkt gestellt? 

Claussen: Das wäre mal eine interessante Frage an den Papst, inwieweit er eine jesuitische Tradition wiederbeleben will. Es war natürlich eine große Form von Religionspropaganda, also der Verbreitung eines neuen Bildes. Dieses Bild hat ganz intensiv auf die Menschen gewirkt und hat Christus näher gebracht als vorherige Christusbilder. 

DOMRADIO.DE: Die Französische Revolution 1789 hat auch Auswirkungen auf die Herz-Jesu-Frömmigkeit, oder? 

Claussen: Die Herz-Jesu-Frömmigkeit hatte in Frankreich, wo sie besonders aufgeblüht ist, eine politische Funktion. Sie war im Grunde die Gegenikone zur Revolution, zur neuen Kultur der Menschenrechte, zur Demokratie, zur Republik. Insofern ist das "Sacre Coeur", also das heilige Herz Christi, immer auch zugleich Inbegriff eines politischen Kampfes der katholischen Kirche in Frankreich gegen den modernen säkularen Staat gewesen. Daran kann der heutige Papst eigentlich nicht mehr anschließen. Das sind, glaube ich, vergangene Weltanschauungskämpfe. 

DOMRADIO.DE: Warum wäre es denn falsch, die Herz-Jesu-Frömmigkeit als ein politisches Instrument zu sehen und damit auch ihren Erfolg zu erklären? 

Claussen: Diese starken Bilder können nur politisch benutzt werden, weil sie aus sich heraus schon mal gewirkt haben. Weil sie eine rein religiöse Funktion haben und die Frömmigkeit ansprechen, weil sie die Menschen erbauen, trösten, ihnen ein Bild Gottes vor Augen stellen, das sie anspricht und ihnen innerlich einleuchtet. Insofern ist die Hauptfrage bei der Herz-Jesu-Verehrung und ihrem Versuch jetzt, sie wieder zu revitalisieren: Was ist eigentlich die religiöse, die christliche Aussage hier?

Johann Hinrich Claussen

"Es geht um eine innige Christusfrömmigkeit."

DOMRADIO.DE: Und zwar?

Claussen: Wenn ich mir als Protestant diese klassischen Bilder angucke und auch die damit verbundenen rituellen Handlungen, geht es um eine innige Christusfrömmigkeit, die in der Geschichte des Katholizismus ja nicht immer präsent und prägend war. Häufig standen die Heiligen oder Maria für das zugewandte Bild Gottes. Das kriegt hier eine christologische Wendung. Christus selbst ist es, der unmittelbar zu uns spricht, der sich uns öffnet, der uns gegenüber seine Kleider ablegt, um uns sein Herz zu zeigen und um mit uns von Herz zu Herz zu kommunizieren. 

DOMRADIO.DE: Wir sehen bei der Herz-Jesu-Frömmigkeit einen zärtlichen und sanften Jesus. Ist das auch das Gottesbild dieser Frömmigkeit?

Claussen: Da ist interessant, dass das jetzt nicht etwas rein Katholisches ist. Da gibt es Parallelen zum Protestantismus. Das 19. Jahrhundert zeichnet sich dadurch aus, dass das Christusbild, in Anführungszeichen, "weiblicher" wird. Das hat auch damit zu tun, dass man in dieser Zeit überhaupt erst verstanden hat, dass es zwei unterschiedliche Geschlechter gibt. Die werden im 19. Jahrhundert mit bestimmten Eigenschaften belegt. Aber Christus passt nicht in diese rein zweidimensionale Typisierung. 

Was ist männlich, hart, stark, usw. und was weiblich, zart und weich? Christus ist zwar ein Mann, aber er hat auch weibliche Tugenden und das zeigt sich sowohl in der katholischen Herz-Jesu-Frömmigkeit, als auch in protestantischen Bibelillustrationen oder anderen Darstellungstraditionen aus der Zeit. Das ist eine gemeinsame Entwicklung. 

Johann Hinrich Claussen

"Vielleicht fand man diese alten Bilder dann auch irgendwann zu kitischig."

DOMRADIO.DE: Nach 1945 verlor die Herz Jesu Frömmigkeit an Bedeutung. Woran lag das?

Claussen: In der Frömmigkeit ist es wie überall sonst. Da gibt es Moden oder Dinge, die mal beliebt sind und die nächste Generation sucht sich wieder etwas anderes. Auch die Entgegensetzung von modernem demokratischen Staat und der katholischen Ordnung hat es in Europa so nicht mehr so gegeben. Die Katholiken haben auf ganz unterschiedliche Weise mit dem modernen Rechtsstaat ihren Frieden gemacht. Deswegen gibt es diese Konfrontation auch nicht mehr. Vielleicht fand man diese alten Bilder dann auch irgendwann zu kitichig. Da hat sich wahrscheinlich auch einfach der Geschmack verändert. 

DOMRADIO.DE: Das ist ja auch kitschig. Die Bildchen der Herz-Jesu Verehrung schmecken nach Zuckerwatte und Lebkuchenherz vom Jahrmarkt.

Claussen: Ich mag Kitsch manchmal sehr gerne. Wenn er mir nicht zu nahe rückt oder mir aufgedrängt wird, kann ich ihn mir auch gerne mit einer gewissen ironischen Distanz anschauen und dann reizt und lockt mich das auch.

DOMRADIO.DE: Wie finden Sie es, dass Papst Franziskus, der Herz-Jesu-Frömmigkeit, jetzt eine eigene Enzyklika widmet? 

Claussen: Das hat mich überrascht. Ich kenne ja vor allen Dingen sein politisches und sozialpolitisches Engagement für viele Themen. Ich finde es immer sinnvoll, wenn sich kirchenleitende Personen auch wirklich mit Frömmigkeit befassen. Ich muss den Text erst einmal lesen, um genau zu verstehen, was seine besonderen Motive sind. Wichtig für mich wäre auch die Frage, kann man die Herz-Jesu-Frömmigkeit so gestalten, auch bildnerisch so gestalten, nicht nur mit Texten, sondern auch mit neuen Bildern, dass die Herz-Jesu Frömmigkeit auch wirklich zu uns spricht oder sind es dann doch wieder diese alten Bilder aus dem 19. Jahrhundert, die uns sehr fremd geworden sind?

Das Interview führte Johannes Schröer.

Die wichtigsten Textpassagen aus der Enzyklika "Dilexit nos"

Unter dem Titel "Er hat uns geliebt" hat Papst Franziskus am Donnerstag sein viertes päpstliches Lehrschreiben veröffentlicht. In dem Text, der in Kirchenkreisen als "geistliches Testament" des 87-Jährigen bezeichnet wird, erklärt der Papst, aus welchen Quellen er seinen Glauben und sein Engagement für eine solidarische Welt schöpft. Ein Auszug aus den wichtigsten Textpassagen in der deutschen Übersetzung des Vatikans:

Ein Exemplar der Enzyklika von Papst Franziskus mit dem Titel "Dilexit Nos", lateinisch für "Er hat uns geliebt", wird nach einer Pressekonferenz zu ihrer Präsentation im Vatikan gezeigt.  / © Alessandra Tarantino/AP (dpa)
Ein Exemplar der Enzyklika von Papst Franziskus mit dem Titel "Dilexit Nos", lateinisch für "Er hat uns geliebt", wird nach einer Pressekonferenz zu ihrer Präsentation im Vatikan gezeigt. / © Alessandra Tarantino/AP ( dpa )
Quelle:
DR