Stefan von Kempis von Radio Vatikan analysiert neue Papst-Enzyklika

Ist der Papst ein Romantiker?

Die Ankündigung der neuen Enzyklika "Dilexit nos" kam überraschend. In dem Lehrschreiben geht es um die Verehrung des Heiligen Herzens Jesu. Warum schreibt Papst Franziskus darüber und warum ausgerechnet jetzt?

Autor/in:
Johannes Schröer
Zwei Engel halten ein Tuch mit einer Dornenkrone in der Mitte und darin das Herz Jesu. Ein Feskro aus der Herz-Jesu-Kirche in Berlin, von Friedrich Stummel and Karl Wenzel Ende des 19. Jahrhunderts / © Renata Sedmakova (shutterstock)
Zwei Engel halten ein Tuch mit einer Dornenkrone in der Mitte und darin das Herz Jesu. Ein Feskro aus der Herz-Jesu-Kirche in Berlin, von Friedrich Stummel and Karl Wenzel Ende des 19. Jahrhunderts / © Renata Sedmakova ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: An diesem Donnerstag ist die vierte Enzyklika von Papst Franziskus veröffentlicht worden. Das Lehrschreiben trägt den  Titel "Dilexit nos", zu Deutsch "Er hat uns geliebt". Es geht darin um Spiritualität, um eine neue Zärtlichkeit des Glaubens, wie der Papst schreibt. Was ist das für eine Spiritualität, die der Papst hier in den Mittelpunkt stellt? 

Stefan von Kempis (privat)
Stefan von Kempis / ( privat )

Stefan von Kempis (Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Vatican News): Eine Spiritualität, die vielen von uns in Europa vielleicht etwas altbacken vorkommen mag. Die Spiritualität zum heiligsten Herzen Jesu haben eher unsere Großeltern gepflegt. Heute wirkt sie wie aus der Zeit gefallen. Das gilt für Europa. 

Stefan von Kempis

"Die Spiritualität zum heiligsten Herzen Jesu haben eher unsere Großeltern gepflegt."

Das gilt aber nicht so sehr für Lateinamerika, den Heimatkontinent von Papst Franziskus. Dabei ist die Herz-Jesu-Frömmigkeit theologisch durchbuchstabiert. Das hat Hugo Rahner, der Bruder von Karl Rahner, zu seiner Zeit schon gelehrt. Es ist theologisch eine spannende Sache, sich auf das Herz Jesu zurückzubesinnen als das eigentliche, schlagende Herz des ganzen Evangeliums. Im Grunde ist das ein anderes Wort für Barmherzigkeit und das war schon immer das große Thema in diesem argentinischen Pontifikat. 

DOMRADIO.DE: Im westlichen Europa denkt man oft in dem Dualismus zwischen "Herz und Kopf". Ist es also eine Enzyklika, die die Emotion gegen die Aufklärung stellt, frei nach dem Dichter Novalis "Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren sind Schlüssel aller Kreaturen". Ist der Papst ein Romantiker? 

von Kempis: Spontan würde ich sagen: Ja! Denn tatsächlich spielt er in der vierten Enzyklika das Herz gegen die Vernunft aus, welche das große Lebens- und Glaubensthema seines deutschen Vorgängers Benedikt XVl. war. Er schreibt nämlich, dass das Herz gegenwärtig abgewertet und vernachlässigt werde, und dass der griechische und vorchristliche Rationalismus, der nachchristliche Idealismus zu stark nach vorne geschoben werden - und da sind wir schon fast bei der Romantik und dem Materialismus, Vernunft, Wille, Freiheit. 

Stefan von Kempis

"Das Herz ist der Ort, wo ich bei mir bin, mein Innerstes"

Herz meint aber nicht nur Gefühl und schwammiges Denken. Das Herz ist der Ort, wo ich bei mir bin, mein Innerstes. Das Herz Jesu steht für die geöffnete Seite Jesu - des leidenden Herrn am Kreuz. Das sind starke Bilder, die der Papst sprechen lassen möchte, ohne dass wir immer gleich "dahervernünfteln". In der Hinsicht - ja, er ist ein Romantiker. 

DOMRADIO.DE: Gesten und Worten der Liebe sollen dabei eine besondere Rolle spielen, schreibt Franziskus. Was können das für Gesten und Worte der Liebe sein? 

von Kempis: Damit meint Franziskus verschiedene Taten, Gesten, Zeichen Jesu in den Evangelien, die seine besondere Nähe zu den Menschen am Rande zeigen; die Samariterin am Jakobsbrunnen, die Ehebrecherin, bei der er sagt "Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein" und so weiter. Aus dieser spontanen Nähe Jesu zu den Menschen seiner Zeit zieht der Papst eine Linie bis ins Heute und sagt: "Das ist das große Herz unseres Herrn, das schlägt weiter für uns". 

DOMRADIO.DE: Also auch eine Aufforderung zu größerer Mitmenschlichkeit im Sinne Jesu?

von Kempis: Ja, das geht natürlich bis ins Soziale hinein. Der Papst ist immer gerne mit sozialen Forderungen bei der Hand, mit ganz konkreten Umsetzungen ins Praktische. Herz Jesu heißt nicht, dass ich ein hübsches Bildchen des Herzens Jesu, gemalt von Schwester Faustyna Kowalska, bei mir zu Hause in einer versteckten Ecke an der Wand habe, sondern dass ich "herz-lich" auf meine Mitmenschen zugehe, weil ich "be-herzt" bin durch das, was Jesus für mich getan hat. 

Herz-Jesu-Mosaik im italienischen Turin vom Ende des 19. Jahrhunderts / © Renata Sedmakova (shutterstock)
Herz-Jesu-Mosaik im italienischen Turin vom Ende des 19. Jahrhunderts / © Renata Sedmakova ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wir sind der Herz-Jesu-Verehrung vielleicht auch deswegen häufig skeptisch gegenüber, weil wir diese Bildchen und Bilder kennen, mit einem aufgehübschten, verklärt dreinschauenden Jesus, der auf sein Herz zeigt, das strahlt, blutet und brennt. Da besteht doch die Gefahr, dass das kitschig und pathetisch wirkt und auch oberflächlich, falsch...

von Kempis: Das ist die große Gefahr, der wir in der christlichen Kunstgeschichte leider nicht entkommen. Dabei steht hinter dem Herzen Jesu eine ernsthafte Theologie, die uns übrigens auch eine Brücke ins jüdische Denken baut, wo wirklich das Herz der Sitz des Seins im Menschen ist. Leider ist Jesus mit seinem heiligen Herzen Theresia von Lisieux oder Faustyna Kowalska erschienen und nicht Michelangelo oder Raffael. 

DOMRADIO.DE: Das hat auch etwas Jesuitisches, denn die Jesuiten haben das Herz Jesu in der Vergangenheit zu einem der wichtigsten Instrumente ihrer Volksmission und auch religiöser Propaganda gemacht. Rom hingegen blieb da eher zurückhaltend. 

von Kempis: Ja, das stimmt. Da entkommt der Papst seiner jesuitischen Prägung nicht. Er gehört dem Orden des heiligen Ignatius von Loyola an, und er verweist darum auch in seiner Enzyklika auf die Texte des großen Basken, die aber bei genauem Hinschauen eine sehr nüchterne Aufforderung sind, in einen Dialog von Herz zu Herz mit Christus einzutreten, also sich selber innerlich im Geist mit dem Herzen in die biblische Energie hineinzuversetzen, nicht nur wie ein gleichgültiger Beobachter, sondern mit allen Sinnen mitzuvollziehen und mitzuerleben, was in den Evangelien zu uns spricht. Da ist der Papst sehr bei seinen jesuitischen Ursprüngen und beim heiligen Ignatius. 

Ignatius von Loyola / © Morphart Creation (shutterstock)
Ignatius von Loyola / © Morphart Creation ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Nun kommt diese Herz-Jesu-Enzyklika mitten in der letzte Woche der Weltsynode. Dieses Datum könnte der Papst bewusst gesetzt haben. Beinhaltet das auch die Botschaft, mehr zu beten, zu meditieren und nicht so viel zu diskutieren? 

von Kempis: Ich frage mich, ob das wirklich stimmen könnte oder ob da eine vatikanische Regie nicht einfach "geschlafen" hat. Mein Eindruck ist eher, dass man gar nicht an die Synode gedacht hat, sondern die Enzyklika jetzt eben fertig war. Warum hat man sie nicht zum Beispiel an einem Herz-Jesu-Freitag veröffentlicht? Das frage ich mich schon. 

Stefan von Kempis

"Warum hat man sie nicht an einem Herz-Jesu-Freitag zum Beispiel veröffentlicht? Das frage ich mich schon."

DOMRADIO.DE: Die Herz-Jesu-Verehrung hat auch etwas sehr Poetisches. Das zeigt sich schon in den Texten der Mystikerinnen im Mittelalter. Der Papst beendet seine Enzyklika mit einem Gebet, das wie ein Gedicht klingt?

von Kempis: Ja, und wenn man es wie ein Gedicht setzen würde, also mit Abständen, würde es sich tatsächlich wie Poesie lesen. 

"Ich bete zum Herrn Jesus, 

dass aus seinem heiligen Herzen für uns alle 

Ströme lebendigen Wassers fließen mögen, 

um die Wunden zu heilen, 

die wir uns selbst zufügen, 

um unsere Fähigkeit zu lieben und zu dienen, zu stärken, 

um uns anzutreiben, gemeinsam 

auf eine gerechte, geeinte und geschwisterliche Welt zuzugehen." 

Das ist Vatikanlyrik. 

Das Interview führte Johannes Schröer.

Die wichtigsten Textpassagen aus der Enzyklika "Dilexit nos"

Unter dem Titel "Er hat uns geliebt" hat Papst Franziskus am Donnerstag sein viertes päpstliches Lehrschreiben veröffentlicht. In dem Text, der in Kirchenkreisen als "geistliches Testament" des 87-Jährigen bezeichnet wird, erklärt der Papst, aus welchen Quellen er seinen Glauben und sein Engagement für eine solidarische Welt schöpft. Ein Auszug aus den wichtigsten Textpassagen in der deutschen Übersetzung des Vatikans:

Ein Exemplar der Enzyklika von Papst Franziskus mit dem Titel "Dilexit Nos", lateinisch für "Er hat uns geliebt", wird nach einer Pressekonferenz zu ihrer Präsentation im Vatikan gezeigt.  / © Alessandra Tarantino/AP (dpa)
Ein Exemplar der Enzyklika von Papst Franziskus mit dem Titel "Dilexit Nos", lateinisch für "Er hat uns geliebt", wird nach einer Pressekonferenz zu ihrer Präsentation im Vatikan gezeigt. / © Alessandra Tarantino/AP ( dpa )
Quelle:
DR