Es ist ein klassisches Wohnzimmer in einer deutschen Vorstadt. Die Sofaecke auf der einen Seite, auf der anderen der Flatscreen. Die weißen Wände lassen den Blick zwangsläufig ins Grüne schweifen. In einen genauso typischen Vorgarten.
Cristina Alarcón de Graef legt drei orangegelbe Papierblüten auf eine Kommode. Ruhig reiht sie die Blumen aneinander. "Wir haben gestern bis zwei Uhr nachts die Blüten hier gefaltet", sagt die 49-Jährige während sie die nächsten dazulegt. "In Mexiko kann man die überall kaufen, aber hier ist das schwerer."
Die Blume des Todes
Die Mexikanerinnen und Mexikaner nennen die Kornblume Cempasúchil. Sie heißt aber auch "flor de muerto" - also Blume des Todes - und wurde bereits unter den Azteken bei Opfergaben verwendet.
Heutzutage sollen der als angenehm beschriebene Geruch und die sonnig-warme Farbe die Seelen aus dem Reich der Toten ins Diesseits locken. Ende Oktober würden sich diese auf den Weg machen.
"Ofrendas" - Opfergaben für die Verstorbenen
Die Angehörigen bauen daheim kleine Altäre auf, damit die Seelen den Weg finden. "Jede Familie hat an diesen Tagen in Mexiko einen stehen", erzählt Cristina Alarcón de Graef während sie auf ihren zweistufigen, aber noch halbfertigen Altar blickt. Sie lebt seit 2006 in einem Vorort von Bonn. Geboren und aufgewachsen ist sie in Nordmexiko.
Sie gibt Salz in eine eierbechergroße Schüssel und stellt sie neben einen Korb mit Brot aus Pappmaschee. Anschließend geht die 49-Jährige in die Küche und füllt ein Glas mit Leitungswasser. Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer betrachtet sie das Glas, als blicke sie durch ein Mikroskop.
"Wir sagen, dass jede kleine Blase im Wasser für eine Seele steht." Mit beiden Händen stellt sie das Glas auf das kleine Podest auf der Kommode ab, sodass es im Zentrum des Altars steht.
Dem Volksglauben nach sollen die Seelen in der Nacht vom 1. auf den 2. November ankommen. Das ist der Día de los Muertos. Das indigene Fest zu Ehren der Toten in Mexiko ist 2008 von der UNESCO in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes der Menschheit aufgenommen worden.
Indigene Tradition mischt sich mit katholischen Feiertagen
Schon die Azteken haben den Tod als natürlichen Teil des Lebenszyklus betrachtet und Feste zu Ehren ihrer Ahnen gefeiert. Mit der Ankunft der Spanier und der Einführung des katholischen Glaubens wurden diese Traditionen mit dem christlichen Erinnern an die Toten verknüpft.
Die katholischen Vorstellungen an Allerheiligen und Allerseelen, wie das Beten für die Seelen im Fegefeuer, verschmolz so mit den indigenen Traditionen.
Der Día de los Muertos ist ein Mix aus prähispanisch-indigenem Kult, katholischen Feiertagen und zunehmend schaurigen Halloween-Verkleidungen. Doch das Besondere ist die Auseinandersetzung mit der Thematik Tod: die durchaus positive Konnotation. Die Gläubigen erwarten eine freudige Rückkehr ihrer Ahnen.
Der Tod ist nicht das Ende
Cristina Alarcón de Graef hebt einen dunkeln Bilderrahmen hoch. Ihre Augen blicken in die Foto-Augen ihres Vater. Sie verharrt lange in dieser Position. Dann stellt sie ihren Vater wieder zurück. Die Flammen der Kerzen reflektieren im Glasrahmen.
Die 49-Jährige sagt, sie erinnere sich oft an ihre geliebten Verstorbenen. Aber am Día de los Muertos gehe es um mehr. "Wir reden darüber, was sie mochten, was ihnen gefallen hat. So versuchen wir sie an diesem Tag zu uns zu holen."
Es sei ein trauriger und ein schöner Tag, fügt sie hinzu. Dabei schüttet sie Tequila in ein Schnapsglas und platziert es als finales Accessoire auf dem Altar. Spätestens damit würde man die Verwandten anlocken können, sagt sie.