DOMRADIO.DE: Frau Will, in jüngster Zeit macht immer mal wieder der Begriff "Reerdigung" oder auch mal "Reerding" – zurück zur Erde – von sich reden und sorgt für kontrovers geführte Debatten. Befürworter begrüßen diese Bestattungsart als nachhaltig, Kritiker lehnen sie rigoros ab. Was genau versteht man darunter?
Eva-Maria Will (Referentin für Trauerpastoral und Bestattungskultur im Erzbistum Köln): Die Reerdigung ist streng genommen gar keine Bestattungsart. In Zeiten des Klimawandels werden inzwischen aber auch in der Bestattungskultur Methoden und Geschäftsideen entwickelt, die mit ökologischen Motiven begründet werden. Die Idee der Reerdigung ist, dass der tote Körper durch entsprechende Behandlung zu Erde verwandelt und anschließend auf dem Friedhof ohne Erde beigesetzt wird.
Der Zersetzungsprozess eines verstorbenen Menschen findet dabei in einer Art geschlossenem oberirdischem Sarg unter Hinzunahme von Mikroorganismen statt. Nach etwa 40 Tagen wird das dabei entstehende Substrat entnommen. Nicht zersetzte Knochenteile werden gemahlen, bevor die Beisetzung des Substrats auf einem Friedhof in einem Erdgrab erfolgt. Es geht also um eine Art Kompostieren des Leichnams. So bezeichnet es jedenfalls der Bestatterverband.
Dieses Verfahren kommt aus den USA und wird, soweit ich weiß, in einigen Bundesländern getestet und per Gutachten geprüft, wie zum Beispiel in Schleswig-Holstein, wo es im Rahmen eines Modellprojektes in Kooperation mit der Nordkirche durchgeführt wird. Die Möglichkeit zur Umsetzung eines solchen Projektes, das wissenschaftlich durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig begleitet wird, ergibt sich aus einem Passus im dortigen Bestattungsgesetz.
Nordrhein-Westfalen und Bayern dagegen haben die Reerdigung verboten. Wie aus einem Bericht für den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landtags Nordrhein-Westfalen zu ",Bestattungsformen in Nordrhein-Westfalen" hervorgeht, hat sich die Bernstein Group im Jahr 2021 erstmals mit der Anfrage, ob Reerdigung in NRW zulässig sei, an das dafür zuständige Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales gewandt. Doch diese Bestattungsart sieht das Bestattungsgesetz für NRW nicht vor.
DOMRADIO.DE: Das Verfahren hört sich schon ein bisschen abenteuerlich, wenn nicht gar gruselig an, oder steckt dahinter vielleicht der christliche Vergänglichkeitsgedanke, Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück?
Will: Die Idee der Reerdigung, den menschlichen Leichnam in einem Schnellverfahren in fruchtbare Erde zu verwandeln, hat wenig mit dem Gedanken gemein, der sich mit dem überlieferten christlichen Ritus verbindet. Die Formulierung „Staub zu Staub“ oder „Erde zu Erde“ erinnert daran, dass der Mensch ein von Gott geschaffenes Wesen ist. Das ist eben gerade nicht materialistisch zu verstehen. Vielmehr geht es um die Hoffnung, dass der Mensch mit all dem, was seine Geschichte und seine Persönlichkeit ausmacht, vollendet wird und in eine neue Wirklichkeit eingeht.
DOMRADIO.DE: Kein Wunder angesichts der doch recht irritierenden Art, mit dem toten menschlichen Körper zu verfahren, dass sich an dieser Methode die Geister scheiden. Wie positioniert sich da die Kirche?
Will: Bislang gibt es keine offizielle Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz dazu. Daher kann ich auch nur eine persönliche Einschätzung abgeben, ohne im Namen der katholischen Kirche zu sprechen. Die Anbieter von "Meine Erde", ein Unternehmen, das die Reerdigung bewirbt, behaupten, der menschliche Körper werde im Einklang mit der Natur bestattet. Es wird argumentiert, dass dies "natürlich, sanft und ökologisch" geschehe, "auf dieser Erde neues blühendes Leben gedeihen könne", sich damit "der natürliche Kreislauf schließe" und nichts als fruchtbare Erde zurückbleibe.
Tatsache ist, dass der Körper eines verstorbenen Menschen 40 Tage in eine Art Kokon gelegt wird, wobei nicht bekannt ist, mit welchen Substanzen er dann genau zugedeckt wird. Der Tote wird angeblich behutsam hin- und hergewiegt, was den Anschein erwecken soll, es handele sich beim Tod um eine Art Schlafzustand und dem Verstorbenen werde damit Gutes getan. Jedoch wird der Verstorbene dabei durch Erhitzung des Kokoninnenraums auf etwa 70 Grad erheblichen Strapazen ausgesetzt. Was dabei genau passiert, bleibt intransparent.
Einige Experten, die von einer Art Garungsvorgang sprechen, haben aus naturwissenschaftlicher und biologischer Sicht Bedenken und warnen sogar vor Gesundheitsgefahren bei der beschleunigten Verwesung. Jedenfalls ist der Leichnam nach 40 Tagen nicht vollständig verwest, so dass anschließend Schädel und Knochen entnommen und durch die Knochenmühle gedreht werden. Deshalb kann das Verfahren also nicht wirklich als sanft bezeichnet werden, im Gegenteil. Der enorme Energieaufwand entspricht zudem auch nicht einer klimaneutralen Behandlung.
Das beschleunigte Verfahren der Reerdigung mit dem christlichen Gedanken der Bewahrung der Schöpfung zu verbinden, empfinde ich persönlich daher als etwas weit hergeholt. Es bestünde ja die Möglichkeit, den Toten einfach der Natur zu überlassen wie bei der Erdbestattung in einem Holzsarg. Das scheint aber weniger in unsere schnelllebige Gesellschaft zu passen, in der heute vieles unter Zeitdruck und möglichst effizient zu geschehen hat. Zudem kann sich durchaus der Gedanke der Verzweckung aufdrängen, als ob der Verstorbene den Hinterbliebenen gehören würde.
DOMRADIO.DE: Es gibt ja schon eine Menge Bestattungsformen: Erd- oder Feuerbestattung, See- oder Waldbestattung, Baumbestattung, anonyme Bestattung und Ascheverstreuung. Wie ordnen Sie dieses nun noch recht neue Verfahren soziologisch bzw. theologisch-pastoral ein?
Will: Das technische Verfahren der Reerdigung stellt eine Anfrage an die traditionelle Bestattungskultur dar, die sich seit Jahrzehnten teilweise dramatisch gewandelt hat, immer weiter verändert und auch Trends ausgesetzt ist. Früher war ganz klar, was zu tun war, wenn ein Mensch starb. Die Konventionen und Riten halfen, bei einem Todesfall gut durch die damit aufkommende existenzielle Krise zu gelangen.
Der Tote wurde eingesargt und mit einem vertrauten Abschiedsritus in der Erde beigesetzt. Die Abläufe waren geregelt; Wahlmöglichkeiten gab es nicht. Dann wurde die Feuerbestattung zugelassen – eine heute weit verbreitete Methode – womit dann eine Alternative zur Erdbestattung existierte und sich die Optionen bei der Bestattung der Totenasche erheblich erweiterten. Auch andere Verfahren wurden nach und nach entwickelt, die jedoch teilweise problematisch und kostspielig sind, wie beispielsweise die sogenannte Diamantierung.
Aufgrund einer zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft stellen Menschen heute überkommene Überlieferungen häufig in Frage. Und das ist vielfach auch sehr gut nachvollziehbar in den Fällen, in denen Menschen eingeengt und verunsichert werden oder sogar unter Druck geraten. Von daher kann ich nur gut heißen, wenn Menschen Traditionen auch kritisch hinterfragen – das gilt genauso für die Bestattungskultur. Verständlicherweise wollen Angehörige ihre lieben Verstorbenen persönlich und nach eigenen Vorstellungen und Wünschen verabschieden.
Allerdings führt das oft auch zu Verunsicherungen und Fragen: Was kann und muss ich jetzt organisieren und veranlassen? Was wäre im Sinne des Verstorbenen? Was schadet vielleicht auch dem Toten? Schließlich geht es auch um dessen Totenruhe – und die ist ein Grundrecht des Menschen. Oder: Was tut uns selbst als den Angehörigen und Hinterbliebenen gut? Was fördert oder schadet gar unserem eigenen Trauerprozess? Brauchen wir einen Ort für unsere Trauer oder nicht? Viele Menschen fühlen sich von solchen Fragen mitunter auch überfordert.
DOMRADIO.DE: Der Tod eines Menschen bedeutet oft eine Zäsur und sorgt meist auch für heftige Emotionen. Da kommt nicht selten – gerade aus der Familiengeschichte – viel bislang tot Geschwiegenes hoch. Unter Umständen brechen alte Wunden auf. Nicht zu vergessen: Trauernde befinden sich in der Regel einem seelischen Ausnahmezustand…
Will: Die Trauer ist ein ganz wichtiger Punkt, der einem ohnehin viel abverlangt. Zu einer guten Trauer gehört es, den Menschen in seiner sichtbaren Gestalt loslassen zu können. Zudem aber entsteht bei der Reerdigung auch die Frage, wie ich mit dem Schwebezustand zwischen dem Tod meines Angehörigen und der abschließenden Bestattung umgehen kann. Immerhin muss der Leichnam hin- und hertransportiert werden.
Es dauert mindestens 40 Tage bei der Reerdigung, bis die durch die beiden Verfahren entstandene Erde schließlich auf dem Friedhof beigesetzt werden kann. Damit ist beispielsweise auch nicht eindeutig, wie und zu welchem Zeitpunkt ein Ritus zur Verabschiedung erfolgen könnte oder sollte. Für die trauernden Angehörigen ergibt sich darüber hinaus die Frage, wie lange man den Prozess aushalten kann. Es ist ja eine Zeit, in der die eigene Wunde offen bleibt, weil der Prozess noch nicht abgeschlossen ist.
DOMRADIO.DE: Ihr Fazit als Theologin?
Will: Alle diese Fragen müsste man sich eigentlich im Vorfeld, also präventiv stellen. Wenn der Vater, die Mutter oder ein anderer naher Angehöriger verstorben ist, muss es ja schnell gehen. Aus theologischer Perspektive gerät die Vorstellung, dass der Mensch, der durch Gewinnung "neuer Erde" zurück in den Kreislauf der Natur gelangt, in die Nähe pantheistischen Denkens. Jedenfalls deckt sich das kaum mit dem Glauben an die Heimkehr des Menschen zu Gott, dem Schöpfer, von dem jeder sein Leben auch empfangen hat – so wie das den Glaubensvorstellungen der drei abrahamitischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam entspricht.
Auch für die Seelsorge stellen sich damit neue Anforderungen: Wie können Menschen im Sterben bzw. mit Blick auf den Tod und die Bestattung so begleitet werden, dass sie eine gute Entscheidung treffen können, die der Ruhe und dem Frieden des Verstorbenen – der "ewigen Ruhe" – aber auch ihren eigenen Trauerbedürfnissen entspricht? Schließlich sind viele Entscheidungen nicht zu revidieren. Das Anliegen der Kirche ist es ja gerade, sich für das Wohl und die Würde des Menschen – auch über den Tod hinaus – einzusetzen. Aus meiner Sicht ist es für die Seelsorge ganz wesentlich, die Menschen in ihrer Trauer, aber auch in ihrem Ringen um eine würdige Verabschiedung zu unterstützen und zu begleiten.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.