DOMRADIO.DE: Haben die Menschen in Rom an Allerheiligen auch frei und gehen auf den Friedhof?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Buchautor): Ja, auch in Rom haben die Leute frei, sowohl in Italien als auch in der Vatikanstadt. Obwohl eigentlich das Fest Allerseelen am folgenden Tag der Tag der Gräber ist, hat es sich so eingebürgert - sowohl in Italien als auch in Deutschland - dass man heute schon zu den Gräbern geht. Hauptsächlich aus praktischen Gründen, weil Allerheiligen ein staatlicher Feiertag ist.
DOMRADIO.DE: Wie hält es Papst Franziskus? Besucht er einen Friedhof?
Nersinger: Ja, seit vielen Jahrzehnten besuchen die Päpste, meist an Allerseelen, einen Friedhof und halten dort die Messe in Gedenken an die Toten. Das war bisher immer auf dem "Campo Verano", dem römischen Hauptfriedhof. Aber das hat sich unter Franziskus geändert.
DOMRADIO.DE: Franziskus besucht in diesem Jahr den "Cimitero Laurentino". Der ist sicher nicht jedem ein Begriff. Was hat es mit diesem Friedhof auf sich?
Nersinger: Viele der von Franziskus aufgesuchten Friedhöfe kennt man nicht. 2021 hat er den französischen Soldatenfriedhof in Rom besucht. 2022 einen bekannteren Friedhof - den "Campo Santo Teutonico", den deutschen Friedhof im Vatikan. In diesem Jahr ist eben der "Cimitero Laurentino" dran. Das ist ein sehr junger Friedhof, der erst 2002 eingeweiht worden ist. Er liegt weit über zehn Kilometer vom Zentrum entfernt und hat noch eine Besonderheit.
2012 ist dort ein sogenannter "Giardino degli Angeli", ein Garten der Engel, eröffnet worden. Das ist eine Abteilung auf dem Friedhof, wo tot geborenen Kinder beigesetzt sind. Der Name hat im Grunde einen doppelten Sinn: Dieser Teil des Friedhofs wird von zwei steinernen Engeln bewacht und man sieht die noch nicht geborenen Kinder quasi in einem Engels-Zustand . Das ist auch für die Eltern, die dieses traurige Schicksal erlebt haben, ein Trost.
DOMRADIO.DE: Dort geht Franziskus morgen hin. Klassischerweise besuchen die Päpste an Allerheiligen und Allerseelen den größten Friedhof Roms, den "Campo Verano". Von dem heißt es, er sei ein "museo sempre aperto", ein stets geöffnetes Museum. Inwiefern ist das wirklich so?
Nersinger: Ja, weil man auf ihm so gut wie alles findet, was das gesellschaftliche Leben in Rom widerspiegelt. Wir haben dort große Grabanlagen für die Angestellten und die Beamten der römischen Kurie. Die einzelnen Dikasterien, also die früheren Kongregationen, haben dort Grabstätten. Die Ordensgemeinschaften haben dort große Grabstätten, aber zum Beispiel auch die päpstliche Schweizergarde hat dort eine Gruft. So ist der Friedhof schon etwas Vatikanisches.
Zweitens ist es aber auch ein Friedhof, auf dem man sehr vielen bekannten Gesichtern aus der Gesellschaft begegnen kann. Da sind zum Beispiel Schauspieler und Kunstschaffende in einem unglaublichen Maße vertreten. Zum Beispiel werden viele die Schauspieler und Regisseure Sordi, Gassmann, De Sica und Visconti kennen, aber auch die großen Gestalten, die auf der Bühne standen oder uns auf der Leinwand begegnet sind, sind dort beigesetzt.
Dazu kommen viele Politiker aller Couleur - von rechts bis links, das breite Spektrum. Sogar Personen der Geschichte, die sehr bedeutsam sind für Italien. Es gibt dort sogar ein Scheingrab. Auf dem Grab steht "Giuseppe Garibaldi", aber Garibaldi ist dort nie beigesetzt worden. Dieser Friedhof beherbergt eine Fülle von Informationen, wie in einem Museum.
DOMRADIO.DE: Tatsächlich gehen die Anfänge dieses "Campo Verano" auch auf ein päpstliches Ansinnen im 19. Jahrhundert zurück. Was ist damals passiert?
Nersinger: Ja, man hat Anfang des 19. Jahrhunderts, als Papst Pius VII. diesen Friedhof gegründet hat, das Land aufgekauft und hat es für Leute, die im kirchlichen Dienst verstorben sind, aufbereiten lassen. Aber auch sehr viele Normalbürger liegen dort und so ist ein großer systematischer Friedhof geschaffen worden.
Ein Friedhof übrigens, der auch nicht so kahl wirkt, wie man sonst in Italien oder in Deutschland Friedhöfe kennt - mit vielen Bäumen und Grünanlagen. Also man kann wirklich schön über diesen Friedhof wandeln und kann der Toten gedenken und hat zusätzlich eine gewisse Erholung. Man fühlt sich den Toten auf eine ganz andere Art und Weise verbunden, wie man das sonst bei einem Friedhofsgang vielleicht erleben würde.
Das Interview führte Hilde Regeniter.