DOMRADIO.DE: Im Vorfeld der Wahl hatten viele prognostiziert, dass das Ergebnis möglicherweise Tage oder Wochen dauern könnte: Sind Sie überrascht davon, wie schnell wir jetzt wissen, dass der neue US-Präsident wieder Donald Trump wird?
Pfarrer Sebastian Nößner (Deutschsprachige Katholische Gemeinde in Washington DC): Ja, auch hier in Washington hat niemand damit gerechnet, dass das innerhalb von 24 Stunden absehbar sein würde, das ist überraschend. Dass es auf Donald Trump hinausläuft, ist allerdings nicht so überraschend. Wir wissen, dass an den Wahlvorbefragungen Anhänger der Republikaner nicht so gerne teilnehmen, das war auch schon in den Umfragen einkalkuliert, aber dass der Unterschied dann so deutlich werden würde, damit hat niemand gerechnet.
DOMRADIO.DE: Wie war denn die Stimmung in Ihrer Gemeinde im Vorfeld der Wahlen?
Nößner: Die Stimmung in der deutschen Gemeinde war sehr vielfältig. Es gab diejenigen, die sich nur als deutsche Zaungäste betrachten und abwarten, was passiert. Es gab aber auch diejenigen, die sehr emotional waren und angekündigt haben, zurück nach Deutschland zu gehen, wenn der eine oder die andere Kandidatin gewinnt.
DOMRADIO.DE: Im Bundesstaat Washington haben die Demokraten gewonnen, aber das ist, wie wir wissen, nicht besonders repräsentativ. Hier bei uns in den Medien ist immer von einem "gespaltenen Land" zu lesen, beobachten Sie das auch?
Nößner: Wenn ich mit Amerikanerinnen und Amerikanern gesprochen habe, gab es niemanden, der nicht eindeutig auf Trump oder Harris festgelegt war. Tatsächlich machen die Wechselwähler nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aus, die meisten wählen ihr Leben lang entweder die Demokraten oder die Republikaner.
DOMRADIO.DE: Woran liegt das? Spielen denn die Wahlprogramme oder die Kandidaten keine Rolle?
Nößner: Das ist meiner Meinung nach Effekt des "de-facto"-Zwei-Parteien-Systems: Es gibt zwar noch andere Parteien, wie die Grünen oder die Libertären, aber die spielen eigentlich keine Rolle und das hängt am Wahlsystem, das noch aus der Gründungszeit der USA stammt, als man noch nicht von der Existenz von Parteien ausging, sondern von Einzelkandidaten. Zwar ist die Realität seit 200 Jahren eine andere, aber das Wahlsystem ist unverändert. Und das Prinzip "The winner takes it all" befördert die Bildung von zwei großen Parteien.
DOMRADIO.DE: Können Sie nachvollziehen, warum sich so viele Menschen für Trump entschieden haben?
Nößner: Washington ist eine Hochburg der Demokraten, die haben hier bislang immer gewonnen, selbst 1984, als der Republikaner Ronald Reagan 49 Staaten holte: Da ist DC trotzdem bei den Demokraten geblieben. Viele Menschen arbeiten hier bei Bundesbehörden, NGOs oder Thinktanks, die den Demokraten nahestehen und die sorgen sich jetzt natürlich um ihre Existenzen. Viele Demokraten suchen sich jetzt einen Ort zum "Überwintern", also einen anderen Job, bis die Wahlen in vier oder acht Jahren möglicherweise wieder anders ausgehen. Umgekehrt war ich gestern auf einer Wahlparty eines republikanisch geprägten Thinktanks und dort bin ich vielen jungen Menschen begegnet, die jetzt schon auf Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten spekulieren.
DOMRADIO.DE: Und welche Themen bewegen die normalen Menschen, außerhalb der Washingtoner Blase?
Nößner: In den 1990er Jahren prägte Clintons Stratege Jim Carville den Spruch: "The economy, stupid" und das gilt bis heute: Es geht um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, die Folgen der Inflation, das Absinken der Kaufkraft und die Löhne, die immer noch nicht nachgezogen sind. Und das bewegt die Menschen hier in den USA und sie lasten es der Regierung Biden und den Demokraten an.
DOMRADIO.DE: Geht es denn den Menschen mehrheitlich wirklich wirtschaftlich schlechter?
Nößner: Das muss man definitiv mit "ja" beantworten: Sie haben weniger Geld zur Verfügung, Ausgaben werden schwieriger und das gilt vor allem für diejenigen, die sowieso schon benachteiligt sind. Ich glaube, das hat den Republikanern viele Stimmen beschert. Zwar ist allgemein bekannt, dass Donald Trump persönlich in der Vergangenheit nicht immer wirtschaftlich vorteilhaft agiert hat – er ist auch schon pleite gegangen – trotzdem glauben hier viele Menschen, dass er als "Mann der Wirtschaft" diese Verhältnisse besser verändern kann als Kamala Harris.
DOMRADIO.DE: Sie helfen auch in der örtlichen amerikanischen Gemeinde aus: Welche Themen haben denn die Christen bewegt? War die Frage der Abtreibung möglicherweise wahlentscheidend für sie?
Nößner: Nicht nur möglicherweise, sondern definitiv wahlentscheidend. Das habe ich hier in Gesprächen mit Gläubigen immer wieder herausgehört, vor allem natürlich für die Evangelikalen. Für sie war das das wichtigste Thema, noch vor Wirtschaft und Außenpolitik.
Für viele Katholiken in den USA ist das ein sehr wichtiges Thema. Die amerikanische Bischofskonferenz hat natürlich keine eindeutige Wahlempfehlung gegeben, aber sie hat die Menschen schon dazu aufgefordert, die Wahlprogramme zu lesen und mit den christlichen Überzeugungen abzugleichen, und da hat sich alles auf dieses Thema fokussiert.
DOMRADIO.DE: Ungeachtet der Tatsache, dass Trump kein erklärter Lebensschützer ist, sondern das Thema nur gut für sich zu nutzen wusste?
Nößner: Ich glaube, für viele Amerikanerinnen und Amerikaner ist er in der Frage das geringere Übel: Sie haben lieber jemanden gewählt, der in dieser Frage indifferent ist, als Kamala Harris, die eine eindeutige Position vertritt. Das betrachten viele Gläubige als "radikal", also aus ihrer Sicht sind nicht sie die "Radikalen", sondern Kamala Harris und die Demokraten. Das wird hier ganz deutlich so benannt und eine radikale Abtreibungsbefürworterin hätten sie niemals unterstützt.
DOMRADIO.DE: Hier in Europa sind viele Menschen besorgt: Würde sich Trump im Ernstfall an das Beistandsgebot der NATO halten, wenn Russland seine Angriffe ausweitet? Wird es einen Handelskrieg geben? Sind diese Sorgen berechtigt?
Nößner: So wie ich arbeiten viele hier in den USA an der Pflege der deutsch-amerikanischen Freundschaft und ich glaube - bei allen Schwierigkeiten, die sicherlich kommen werden - dass dieses transatlantische Verhältnis das auch überleben wird. Davon bin ich zutiefst überzeugt.
Aber ohne Zweifel wird es für uns Deutsche ungemütlicher: Trump sieht die NATO nicht als selbstverständlich an, aber ich glaube nicht, dass die USA sie verlassen werden. Aber sie werden mehr Eigenverantwortung von den Europäern einfordern, das hätte allerdings auch Kamala Harris getan. Hier in Washington ist man der Ansicht, dass die Europäer sich um Europa kümmern sollten und die Amerikaner um den Pazifik. Und wir Europäer müssen uns eingestehen, dass wir dazu eigentlich noch nicht in der Lage sind. Aber diese Entwicklung wird durch Trump möglicherweise noch mal forciert.
DOMRADIO.DE: Donald Trump mag Deutschland nicht sonderlich, daraus hat er nie einen Hehl gemacht. Wie wollen Sie als deutscher Pfarrer in Washington die deutsch-amerikanische Freundschaft in den kommenden Jahren stärken?
Nößner: Es geht um persönliche Begegnungen. Wir müssen den Menschen hier zeigen, dass Deutschland nicht nur ein ferner Ort in Europa ist, sondern Menschen mit einem Gesicht und einer Meinung. Ich versuche, die Amerikaner zu verstehen und arbeite daran, dass sie uns verstehen. Ich bin überzeugt: Durch Kommunikation kommen die Menschen zusammen und da sehe ich unseren Beitrag als Deutsche in den USA. Darum ist es jetzt wichtiger denn je, dass Deutschland Menschen in die USA entsendet, die hier diese Beziehungen stärken und auch der republikanischen Administration positiv und tolerant gegenübertreten, damit wir im Kontakt bleiben.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.