DOMRADIO.DE: Donald Trump ist als designierter US-Präsident zurück, die Ampel-Koalition in Deutschland ist gescheitert und die Erde ist so heiß wie nie. Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass man das Ruder in Baku noch herumreißen könnte?
Madeleine Wörner (Expertin für Politik und Globale Zukunftsfragen bei Misereor): Wir haben zur Vorbereitung der Klimakonferenz jeweils ein Treffen der internationalen Zivilgesellschaft. Da beobachtet man immer eine große Motivation. Meine Erfahrung, auch mit Blick auf die Geschichte ist, dass intrinsische Motivation mehr wiegt als schwierige Kontexte.
Ich sehe, dass hier Menschen bereit sind zu kämpfen, dass hier Menschen sind, die sich dafür einsetzen, dass Klimaschutz vorankommt, dass wir ein ordentliches Finanzierungsziel bekommen. Das gibt mir Hoffnung, dass wir nicht alleine unterwegs sind, sondern in einer großen Gemeinschaft.
Wenn ich auf die Geschichte blicke, dann haben tatsächlich die "Guten" am Ende immer gewonnen. Das gibt mir Hoffnung. Vielleicht sehe ich es nicht ganz so, dass das Scheitern der Ampel uns so herausfordert. Vielleicht haben sie ja jetzt auch ein bisschen mehr Spielraum. Das werden wir sehen.
DOMRADIO.DE: Wissenschaftler und Aktivistinnen predigen seit Jahren, dass die Welt von Öl und Gas als Energiequellen weg muss, wenn sie sich selbst retten möchte. Wie problematisch ist es denn, dass das Gastgeberland Aserbaidschan seinen Wohlstand dem Öl und Gas verdankt? Mit dem Klima kann man es dort doch nicht ganz so ernst meinen, oder?
Wörner: Es ist richtig, dass Aserbaidschan quasi die Wiege der fossilen Extraktion ist. Hier hat es mit der Öl- und Gasextraktion angefangen. Wir haben jetzt das dritte Mal eine Konferenz in einem fossilen Land. Das zeigt für mich, dass sich die fossilen Staaten der Rolle des Klimas und auch des Endes ihres eigenen Geschäftsmodells bewusst sind.
Bei der letzten Klimakonferenz wurde die Abkehr von allen fossilen Energiebrennstoffen beschlossen. Das ist ein Schritt vorwärts gewesen. Jetzt geht es um die Implementierung, die Umsetzung davon. Es ist aber gleichzeitig richtig, dass von Aserbaidschan vermutlich nicht die Ambition kommen wird, die wir aktuell brauchen.
Es gibt ja die NDCs (Nationally Determined Contributions, Red.), die Klimapläne der einzelnen Staaten. Aserbaidschan gehört mit Brasilien und den Vereinigten Arabischen Emiraten der Troika an, die eine 1,5 Grad-kompatible NDCs haben wollen. Was sie bisher vorgelegt haben, ist aber ganz weit davon entfernt.
Es zeichnet sich ab, dass diese Staaten mit ihren aktuellen Wirtschaftspläne vorhaben, ihre Öl und Gasproduktion um mindestens 32 Prozent zu steigern. Eigentlich müssten wir bis 2035 die Nutzung fossiler Brennstoffe um 55 Prozent reduzieren.
Das heißt für mich, dass sich Aserbaidschan hier auf der Klimakonferenz beweisen muss. Viele Klimaschutzthemen sind gerade blockiert. Aber es braucht Fortschritt. Sie müssen die Rahmenbedingungen setzen, um weiterhin als glaubwürdiger Akteur im Multilateralismus aktiv sein zu können.
DOMRADIO.DE: Der künftige US-Präsident Donald Trump möchte laut Medienberichten aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen, das die Begrenzung des 1,5-Grad-Ziels festgeschrieben hat. Was bedeutet das für den globalen Klimaschutz? Geht es überhaupt ohne die USA?
Wörner: Die USA hat eine ganz starke Zivilgesellschaft, die sich im Klimaschutz einbringt. Sie sind ein großer Geber für Klimaschutzmittel, unterstützen viele zivilgesellschaftliche Akteure weltweit. Das ist auf jeden Fall ein starker Einschnitt.
Wie sehen aktuell eine neue Tendenz. Ich möchte es als Frage formulieren: Entwickelt sich die USA in eine Art Diktatur? Zivilgesellschaftliche Räume werden schon jetzt stark eingeschränkt. Die Frage wird sein, inwiefern der "Inflation Reduction Act" (Gesetz zur Reduzierung der Inflation, Anm. d. Red.) aufgelöst werden kann. Eine andere Frage wird sein, inwiefern die Zivilgesellschaft vor Ort in den USA weiterhin Klimaschutz ambitioniert umsetzen kann.
Eine andere Frage ist, ob ein anderer großer Akteur wie beispielsweise China, die ja den größten Anteil an erneuerbaren Energien weltweit haben, nicht ambitionierter in Klimaverhandlungen reingehen können?
Ein weiterer Aspekt ist, dass die EU jetzt eine noch viel größere Verantwortung hat. Sie sagen, sie wollen die Welt innerhalb des Klimadiskurses führen und in die Konferenz mit Finanzierungszusagen, mit ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen hineingehen. Das fängt natürlich damit an, dass Sie sich selber ambitionierte Ziele setzen.
DOMRADIO.DE: Warum ist Misereor als kirchliches Hilfswerk vor Ort? Welche Themen wollen Sie einbringen, die andere, nicht konfessionelle NGOs, nicht auf der Agenda haben?
Wörner: Ich will das Bild hier ein bisschen weiter zeichnen. Ich bin hier im Auftrag von Misereor. Aber mit mir sind ganz viele Partnerorganisationen da, die zu unterschiedlichen Verhandlungsthemen arbeiten. Das ist genau das Mandat, was wir hier von Misereor haben.
Auf der einen Seite ist es wichtig, für jedes Zehntel Grad im Klimaschutz zu kämpfen, denn dadurch kann Entwicklung einfacher ermöglicht werden. Je weniger Klimawandel und je weniger Klimanotstand herrscht, desto besser kann man Entwicklungsziele erreichen, desto geringer ist der Druck.
Auf der anderen Seite haben wir unsere Partnerorganisationen hier. Mit denen zusammen sind wir eine starke Stimme und können etwas bewegen. Es ist einzigartig und wunderbar, dass wir so unglaublich gut vernetzte und thematisch versierte Partnerorganisationen vor Ort haben, die sich zusammentun und gemeinsam argumentieren sowie diskutieren, um weltweit die Klimakrise in den Griff zu bekommen.
DOMRADIO.DE: Was müsste passieren, damit Sie am Ende der Konferenz sagen, dass es ein Erfolg war?
Wörner: Ich würde sagen, das große Thema hier ist das internationale Finanzierungsziel. Wir brauchen ein Finanzierungsziel, das gut genug ist, damit die nationalen Beiträge zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung vorangehen können.
Wir brauchen auch ambitionierte Zusagen von der EU zum fossilen Ausstieg, zur internationalen Energiewende, aber auch Finanzierungszusagen. Die Ausstiegsdaten für die EU sind für Kohle bis 2030, Gas bis 2035 und Öl bis 2040. Das ist schon bald. Und dann müssen Transformationsprozesse in Europa umgesetzt werden, aber auch globale Rahmenbedingungen hergestellt werden.
Wir haben den Multilateralismus gerade schon angesprochen. Vielleicht klingt es naiv, aber für mich wäre es ein Erfolg, wenn wir mehr Vertrauen zwischen denen aufbauen, die wirklich vorangehen wollen und denen der Klimaschutz wichtig ist.
Das Interview führte Tobias Fricke.