Das Beste kommt bekanntlich zum Schluss. In der Kunst jedenfalls spricht man schnell von "Vollendung" oder einem "großen Finale", wenn etwas alles bisher Geschaffene noch einmal in den Schatten stellt, gewissermaßen als "opus summum et ultimum" übertrumpft. Als solches, als Bachs letztes und zugleich höchststehendes Werk, gilt jedenfalls seine "h-moll-Messe" aus den Jahren 1748/49. Denn sie übertrifft mit ihren komplexen Fugen, 18 Chorteilen und neun Arien alles, was für den praktischen liturgischen Gebrauch Mitte des 18. Jahrhunderts bekannt war.
Von daher liegt nahe, dass sie dafür auch nie wirklich gedacht war, zumal sie schlichtweg zu lang ist. Auch ist nie ein Anlass benannt worden, zu dem der Leipziger Thomas-Kantor diese Messe geschrieben haben könnte, noch ein Mäzen, der sie in Auftrag gegeben hat, oder der Hinweis auf eine Aufführung des vollständigen Werks vor 1750.
Wiederverwendung älterer Kompositionen
Folglich bleibt Bachs Antrieb zu dieser monumentalen Komposition ungeklärt und schafft Raum für Spekulationen. Fest steht dagegen, dass er fast sein halbes Leben daran gearbeitet und in seinen letzten Jahren noch einmal allen Ehrgeiz daran gesetzt hat, dieses schon mit den Teilen "Kyrie" und "Gloria" 1733 begonnene Werk, das er einst als Widmung Kurfürst Friedrich August II. in Dresden zugedacht hatte, als vokales Gegenstück zur "Kunst der Fuge" fertigzustellen – auf dem Zenit seines Erfolgs, als Summe seiner Kunstfertigkeit, wie man heute weiß, und darüber hinaus wohl als Vermächtnis.
Auch ein bereits im Jahr 1724 komponiertes "Sanctus" für den ersten Weihnachtsfeiertag war schon fertig. In den Jahren 1748 und 1749 fasste er diese drei Einzelteile schließlich zu einer Messe zusammen und schuf die restlichen Sätze: das Credo, das Sanctus und das Agnus Dei, wofür er größtenteils bereits vorhandene Musik aus seinen Kantaten verwendete – ein in der Musikgeschichte als sogenanntes "Parodieverfahren" definiertes Vorgehen.
Klangvielfalt und hohes technisches Niveau
Am Ende ist die h-moll-Messe Bachs einzige vollständige Vertonung des Messordinariums und die letzte große Komposition, die er vollenden konnte. Wie kein anderes Werk Bachs stellt sie eine Zusammenfassung seines Schaffens für Stimme dar, nicht nur hinsichtlich der Vielfalt der Stile, der kompositorischen Mittel und der Klangvielfalt, sondern auch, was ihr hohes technisches Niveau angeht.
Zu dieser Erkenntnis gelangt auch Domkapellmeister Eberhard Metternich, der aus seinem "Respekt vor diesem Werk" keinen Hehl macht, "so tiefgründig, gleichzeitig virtuos, durchstrukturiert und vielschichtig" sei Bachs Kompositionstechnik.
"Es ist unglaublich, wie da bei der Probenarbeit so vieles Unterschiedliche zu einem großartigen Ganzen zusammenwächst: das flehentliche Bitten im Kyrie, die Festlichkeit im Gloria, Elemente wie der gregorianische 'cantus firmus' im Credo oder das achtstimmige Hosanna im Sanctus." Die intensive Beschäftigung damit habe ihn von Probe zu Probe ehrfürchtiger werden lassen. "Bach war Protestant, und trotzdem hat er eine der großartigsten Messen für die katholische Liturgie komponiert."
Schon immer habe diese Komposition auf seiner persönlichen Agenda ganz oben gestanden, doch irgendwie habe es bislang nie richtig gepasst, räumt Metternich ein, "auch weil ich eine Aufführung unbedingt mit historischen Instrumenten realisieren wollte, wie es mit Concerto Köln jetzt möglich ist". Zuletzt habe er die h-moll-Messe als Limburger Domsingknabe gesungen. Daher schließe sich für ihn nun ein Kreis.
"Denn mit der Aufführung an diesem Donnerstag im Kölner Dom erfülle ich mir einen großen Wunsch", so der 65-Jährige, der im kommenden Spätsommer aus dem Amt des Domkapellmeisters ausscheidet. Bachs h-moll-Messe gehöre zu den ganzen großen Herausforderungen der Chorliteratur, denn der Anspruch an die Sängerinnen und Sänger sei hoch, zumal der Choranteil groß sei und die Chorsätze zum Besten gehörten, das Bach komponiert habe. "Eine Aufführung der h-moll-Messe gehört zu den Highlights eines jeden Sängerlebens."
Also auch für den langjährigen Dommusiker das Beste zum Schluss? "Jedenfalls", so erklärt Metternich, "ist mein letztes Jahr in der Kölner Dommusik ein guter Anlass, Bach, mit dem meist jede Kirchenmusikerlaufbahn beginnt und der sein Können in der h-moll-Messe zu großer Meisterschaft führt, aufs Programm zu setzen."
Aufführung der h-moll-Messe auch in Rom
Und das lohnt sich gleich doppelt. Denn unmittelbar nach dem Kölner Konzert geht es für Chor, Orchester und Solisten, zu denen mit dem jungen Bariton Anton Kirchhoff übrigens ein ehemaliger Domchorknabe gehört, weiter nach Rom, wo am Samstagabend ein zweites Konzert im Rahmen des XXIII. Festivals Internazionale di Musica e Arte sacra in der Papstbasilika und größten Marienkirche der Stadt, Santa Maria Maggiore, stattfindet.
"Eine große Ehre für uns, bei einem ausgewählten Kreis internationaler Kollegen mit dabei zu sein", freut sich Metternich, der mit seinem Vokalensemble am selben Tag außerdem noch einen Gottesdienst mit Kardinal Comastri in der Jesuitenkirche Sant' Ignazio musikalisch mitgestaltet und hierfür – dem feierlichen Auftritt angemessen – ein paar festliche Motetten aus seinem großen Fundus mit im Gepäck hat.