DOMRADIO.DE: Herr Kardinal, was ist Ihr erster Eindruck von der wieder erstrahlenden St. Hedwigs-Kathedrale?
Rainer Maria Kardinal Woelki (Erzbischof von Köln, ehemaliger Erzbischof von Berlin): Als ich den Raum betreten habe, war ich vollkommen überwältigt. Ich war sprachlos ob der Helligkeit, der Größe und der Freiheit, die dieser Raum atmet. Er ist eigentlich nicht mehr wiederzuerkennen, wenn man ihn mit dem Raum vergleicht, den ich in Erinnerung hatte.
Nach gut zehn Jahren stehe ich das erste Mal wieder hier in meiner alten Kathedrale, und ich bin dankbar und freudig überrascht, was in den vergangenen zwölf Jahren hier gewachsen ist.
DOMRADIO.DE: Wie kam es damals dazu, dass Sie, als Sie noch der Erzbischof von Berlin waren, gesagt haben: 'Hier muss etwas geschehen', und daraufhin einen Architekturwettbewerb ausgelobt haben?
Woelki: Das Ganze hat eigentlich bereits am Tag meiner Einführung begonnen. Der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat am Gottesdienst teilgenommen. Nachher beim anschließenden Empfang hat er mich zur Seite genommen und mir gesagt: Herr Erzbischof, ich erwarte von Ihnen, dass Sie das Loch schließen.
Ich habe das gar nicht verstanden und gefragt: Welches Loch? Aber jeder Berliner weiß, dass damit die Öffnung in der Hedwigs-Kathedrale gemeint ist. Ich habe dann mit der Zeit, als ich dann selber hier die Gottesdienste zu feiern hatte, mehr und mehr gespürt, wie großartig auf der einen Seite der Entwurf von Schwippert (Anm. d. Red.: der Architekt) war, aber zugleich auch, wie die Anforderungen, wie sie das Zweite Vatikanische Konzil in der Liturgie-Konstitution vorgegeben hat, einfach nicht mehr so zusammengebracht werden konnten.
Mir war einfach wichtig, dass sich hier insbesondere die Communio-Ekklesiologie widerspiegeln sollte. Die Gemeinde soll sich um den Altar, um Christus versammeln und soll von ihm her als seine Kirche auferbaut werden. Das war damals schwierig durch diese Öffnung, sodass sich die Gemeinde teilte, ein Teil rechts, ein Teil links. Es war schwierig, den Kontakt zu den Menschen aufzunehmen. Man musste immer die Öffnung überbrücken, mit dem Sprechen während der Predigt oder mit den Blicken.
Man hatte dann meist nur den Chor im Blick. Wenn man sich nach links drehte, saß die gesamte Gemeinde rechts in meinem Rücken, und umgekehrt war es genauso. Das ist durch diesen wunderbaren Entwurf des Siegers des Wettbewerbs, den ich mit dem Erzbistum vor etwa zehn Jahren ausgelobt habe, nicht mehr so.
DOMRADIO.DE: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie die jetzt Kathedrale betreten haben?
Woelki: Das Pantheon ist von Rom nach Berlin geholt worden. Ganz zentral ist der Altar abspielt. Christus steht im Mittelpunkt, daneben das Kreuz, der Ambo, von dort die Wortverkündung und insgesamt die Schlichtheit. Der Raum gibt Freiheit, aber zugleich entsteht durch ihn auch eine Nähe zueinander. Die Menschen sitzen jetzt viel näher und knien auch viel näher am Heilsgeschehen, das sich auf dem Altar ereignet.
Gerade ist es dunkel draußen, aber ich bin gespannt, wie sich der Raum zeigt, wenn das Licht von oben hereinfällt. Für mich ist es, als schicke Gott seinen Geist von oben herab, damit er wirken kann; auf den Altar, wo die Gaben, Brot und Wein gewandelt werden, wo die Menschen den Leib Christi empfangen und auferbaut werden als sein Leib, der die Kirche ist.
Und wenn man hinabsteigt in die Krypta, findet man einen mystischen Raum, gleich unter dem Altar ist das Taufbecken, was die Einheit von Taufe und Eucharistie darstellt, die Öffnung steht für mich symbolisch für das Wirken des Geistes und die Firmung. Die Initiation in der Kirche. All das drückt sich in der Architektur dieses Ortes aus. Für mich ist das ein großer geistlicher, spiritueller, mystagogischer Ort.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie den Berlinerinnen und Berlinern in Ihrer alten Diözese, mit Ihrer Kathedrale für die Zukunft?
Woelki: Ich wünsche, dass die Berlinerinnen und Berliner ihre Kathedrale annehmen und in ihren Herzen aufnehmen. Das ist ein Identifikationsort für die gesamte Diözese, auch aus der jüngeren Geschichte heraus. Hier sind viele, bevor sie nebenan zum Stasi-Verhör gehen mussten, an das Grab von Bernhard Lichtenberg getreten und haben dort gebetet.
Ich wünsche ihnen, dass die Kathedrale ein Ort der Identifikation mit ihrem Bistum ist und bleibt und wieder neu wird und dass dieser Ort im Forum Fridericianum, der in den vergangenen Jahren so wunderbar neu erschlossen worden ist – mit dem Schloss, mit der Oper und mit all den anderen Bauten – von vielen Menschen, von den Berlinerinnen und Berlinern, aber auch von vielen Katholiken aus der ganzen Welt, aufgesucht wird, dass er zum Gebet und zur Anbetung genutzt wird und auch als Ort der Kunst und Kultur empfunden wird.
Das Interview führte Alexander Foxius.