Alterzbischof Schick wirbt für mehr Kreativität bei Kirchennutzung

"Sowohl als auch" statt "Entweder Oder"

Große Kirchen, die unsere Städte prägen, aber immer weniger Menschen, die darin Gottesdienst feiern. Der emeritierte Bamberger Erzbischof Ludwig Schick plädiert bei der zukünftigen Nutzung von Gotteshäusern für mehr Kreativität.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Café in einer umgenutzten Kirche in Aachen / © Julia Steinbrecht (KNA)
Café in einer umgenutzten Kirche in Aachen / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie werden bei einer pastoralliturgischen Tagung in Vallendar am Samstag einen Vortrag halten. Er heißt "Gottesdienst in Zeiten kultureller, gesellschaftlicher und kirchlicher Veränderungen - Sicht eines Bischofs". Wie ist Ihre Sicht darauf?

Bamberger Erzbischof em. Ludwig Schick / © Nicolas Armer (dpa)
Bamberger Erzbischof em. Ludwig Schick / © Nicolas Armer ( dpa )

Dr. Ludwig Schick (emeritierter Erzbischof von Bamberg): Es hat immer Veränderungen in der Liturgie, aber auch der Kirchbauten im Laufe der 2.000-jährigen Geschichte gegeben. Das sollte man wissen. Das nimmt auch die Angst vor Veränderungen, die jetzt anstehen und notwendig sind. Wir werden als Christen in Deutschland weniger und die religiösen Bedürfnisse und Ausdrucksformen ändern sich mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten. Das bedeutet, dass wir unsere Gottesdienstorte und Gottesdienstformen auch in den großen Kirchenräumen, die wir haben, finden müssen und können.

Ich plädiere immer dafür, dass die Kirchen erhalten bleiben. Sie sind Fingerzeig zum Himmel und auch Hinweisschild auf Gott. Der Himmel ist für uns notwendig. Wenn wir nicht mehr über unsere Welt hinausschauen, also auf das, was wir als Himmel bezeichnen, dann wird es auf Erden zu eng, zu stickig und zu kurzatmig. Das nimmt uns die Luft für unser Erdenleben. Wenn wir ohne Gott leben, dann verzwergen wir. Wir verlieren unsere Würde und Größe, die wir von Gott empfangen. Das kann nicht gut gehen. Also, die Kirchen belassen und gegebenenfalls mit anderen Angeboten und Institutionen verbinden.

DOMRADIO.DE: Sie waren 20 Jahre lang Erzbischof von Bamberg. Wie hat sich in dieser Zeit der Gottesdienstbesuch und die aktive Teilnahme der Gläubigen am Gemeindeleben in Ihrem Erzbistum entwickelt?

Schick: Als ich nach Bamberg kam, hatten wir 13 bis 16 Prozent Kirchenbesucher, natürlich unterschiedlich in den Städten Nürnberg, Erlangen, Fürth und auf dem Land. Aber jetzt haben wir noch durchschnittlich acht bis neun Prozent. Der Kirchbesuch ist also ziemlich zurückgegangen. Wir haben deshalb bereits Kirchen umgestaltet.

Zum Beispiel haben wir vorne im Altarraum eigene Gottesdienstorte entwickelt und das große Kirchenschiff wird abgetrennt, auch für anderes benutzt. So gibt es in den großen Kirchen jetzt auch kleinere Gottesdienstorte. Das ist eine gute Möglichkeit.

DOMRADIO.DE: Kirchenschließungen, Umwidmung oder sogar auch der Abriss sind in nicht wenigen Diözesen ein Thema. Es gibt einige Bistümer, die gehen da radikaler vor als andere und oftmals geschieht das auch gegen den Widerstand der betroffenen Gemeinden. Wurde und wird hier über die Köpfe der Gläubigen hinweg entschieden?

Ludwig Schick

"Nicht so sehr von oben, sondern unten mitbestimmen lassen. Das hilft auch Finanzprobleme zu minimieren."

Schick: Wir sollten nicht so sehr von den Ordinariaten her die Kirchenschließungen oder Umwidmungen angehen, sondern die Menschen vor Ort bestimmen und mitbestimmen lassen. Das scheint mir sehr wichtig.

Ich bin jetzt schon bald 27 Jahre Bischof, 20 Jahre Erzbischof, vorher Weihbischof und Generalvikar. Diese Diskussion geht schon länger. Sobald die Leute vor Ort mitbestimmen, bekommen sie auch wieder Interesse an ihrer Kirche, dann wird auch die Spendenfreudigkeit größer. Auch das habe ich miterlebt. Also, nicht so sehr von oben, sondern von unten mitbestimmen lassen. Das hilft auch Finanzprobleme zu minimieren.

Außerdem kann man Kirchen sehr wohl weiterhin für Gottesdienste nutzen – auch von den Kirchengemeinden – und zugleich für andere vereinbare Zwecke. Das gab es früher auch schon, dass es zum Beispiel in einer Kirche ein Café gab, was die Gemeinschaften fördert; Kirche soll Gemeinschaft stiften. Auch medizinische Praxen können in eine Kirche eingebaut werden oder verschiedene Beratungsmöglichkeiten angeboten werden. All das hat etwas mit dem Christentum und Christsein, mit Kirche zu tun.

Wir diskutieren oft zu sehr das "Entweder Oder". Wir müssten vielmehr das "Sowohl als auch" bedenken. Ich habe schon viele gute Beispiele erlebt, die sich fortsetzen ließen. Also, nicht diese Radikalität von oben her: kein Geld mehr, also abreißen oder verkaufen. Abreißen geht ja sehr oft gar nicht, weil viele Kirchen unter Denkmalschutz stehen. Also mehr Fantasie und mehr Ortsbezogenheit ist gefragt. 

Die ehemalige Dominikanerkirche in Maastricht ist jetzt ein Buchladen. / © Wut_Moppie (shutterstock)
Die ehemalige Dominikanerkirche in Maastricht ist jetzt ein Buchladen. / © Wut_Moppie ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Es gab im Sommer dieses Jahres ein von namhaften Vertretern von Architektur, Denkmalpflege und Forschung unterzeichnetes Manifest. Darin wird auch der Erhalt von Kirchen und ihrer Ausstattung als Beitrag zum Kulturerbe Europas eingefordert. Andererseits haben wir sinkende Gottesdienstbesucherzahlen. Sie werben für mehr multifunktionale Nutzung von Kirchengebäuden. Gibt es da auch ethische Grenzen? Sie sprachen gerade vor einem Café. Wie sieht es mit einem Restaurant oder mit einer Kneipe aus?

Ludwig Schick

"In einer Kirche kann es keinen Sexshop geben."

Schick: Es gibt natürlich Grenzen. In einer Kirche kann es keinen Sexshop geben, sage ich jetzt mal sehr deutlich und es kann nichts hinein, was mit dem Sinn des Gebäudes unvereinbar ist. Aber es ist vieles vereinbar und da muss man mehr Fantasie entwickeln: Medizin, psychotherapeutische Praxen, Gemeinschaftspflege, Musik, Theater, all das ist vereinbar. Auch die Gesellschaft insgesamt, die die Kulturgüter erhalten muss, sollte sich für die Erhaltung der Kirchen einsetzen.

DOMRADIO.DE: Wäre auch eine Bank in einem Kirchengebäude denkbar?

Schick: Wir haben Kirchenbanken. Ich würde auch das nicht einfach ablehnen und ich würde zum Beispiel auch ein Restaurant nicht ablehnen, wobei es zwischen einer Kneipe und einem Restaurant Unterschiede gibt. Man kann ein Restaurant benutzen, um Gemeinschaft zu stiften.

Ich kenne in Rom zum Beispiel das "L’Eau Vive". Da wird im Restaurant auch immer wieder gebetet und gesungen. Da muss mehr Fantasie entwickelt werden. Es wäre mehr in den Kirchenräumen zu verbinden im Sinn des Evangeliums, von Jesus Christus her, des Christentums, als wir es jetzt sehen.

DOMRADIO.DE: Welche Formen von Gottesdiensten muss es zukünftig in unseren Kirchen geben, damit diese auch weiterhin noch als Gottesdiensträume von Gläubigen genutzt werden können?

Ludwig Schick

"Wir dürfen nicht zu viel in den Gottesdiensten reden."

Schick: In jeder Kirche, soweit sie Kirche bleibt, sollte auch bei unterschiedlicher Nutzung, jeden Sonntag ein Gottesdienst gefeiert werden. Die Hochform ist die Eucharistie. Wenn die nicht möglich ist, dann kann es eine Wort-Gottes-Feier oder eine Andacht, eine Vesper, Laudes, kirchenmusikalische oder literarische Meditation etc. geben. Wir haben viele Möglichkeiten und die sollten genutzt werden. Gottesdienste sind lebenswichtig.

Wir leben in einer Zeit, in der es viel Unruhe und Hektik gibt, wo es laut ist. Das macht den Zugang zu Gott und Religion schwierig. Die Gottesdienste müssen wortärmer werden. Wir dürfen nicht zu viel in den Gottesdiensten reden. Es muss stiller werden. Die Menschen müssen zur Besinnung und Meditation finden. Dann kommen sie auch wieder zu Gott.

Da muss sich in unserer Liturgie einiges tun: Was die Leseordnung, die Gebete, auch Lieder angeht, ist oft weniger mehr. Die Predigten und Ansprachen müssen sich aufs Wesentliche konzentrieren, mehrfaches, langes und weitschweifiges Reden und Predigen der Vorsteher oder anderer muss vermieden werden. Auch die Sprache in den liturgischen Texten muss überdacht werden. Dann werden die Gottesdienste auch wieder zu Gott führen, bei dem Leben und Freude in Fülle ist; das ist Sinn und Zweck der Gottesdienste.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Manifest "Kirchen sind Gemeingüter!"

Kirchen und ihre Ausstattung gehören zu den wichtigsten Zeugnissen des Kulturerbes in Europa. Mit den Worten beginnt das Manifest "Kirchen sind Gemeingüter!" Darin fordern Vertreter von Architektur, Denkmalpflege und Forschung eine grundlegende Diskussion zur Zukunft bedrohter Kirchenbauten. Die genauen Forderungen für eine neue Verantwortungsgemeinschaft haben sie im folgenden Manifest zusammengetragen. 

Kirchen sind Gemeingüter! 

Manifest für eine neue Verantwortungsgemeinschaft 

Abriss der Kirche in Immerath / © Henning Kaiser (dpa)
Abriss der Kirche in Immerath / © Henning Kaiser ( dpa )
Quelle:
DR