DOMRADIO.DE: Lemberg liegt ganz im Westen der Ukraine, in der Nähe der polnischen Grenze. Die Region galt lange als halbwegs sicher. Sie sind seit Freitag vor Ort. Wie viel bekommen Sie von diesem Krieg mit?
Dr. Thomas Schwartz (Priester und Hauptgeschäftsführer des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis): Eigentlich nicht so viel, weil es wirklich relativ sicher ist. Aber am Mittwoch und Donnerstag gab es in der Tat nachts Bombenangriffe und Raketenangriffe auf die kritische Infrastruktur. Da bleibt es nicht aus, dass es auch immer wieder Tote und Verletzte in der Zivilbevölkerung gibt.
Das wird nicht so wahrgenommen hier, wie das im Zentrum oder im Osten ist. Aber man merkt es insofern, dass nämlich sechs Stunden am Tag der Strom ausfällt, in den Dörfern teilweise sogar zwölf Stunden am Tag wahrzunehmen. Das ist nicht angenehm.
DOMRADIO.DE: Was macht das mit Ihnen? Fühlen Sie sich halbwegs sicher?
Schwartz: Ich fühle mich genauso sicher wie die Menschen, mit denen ich hier zusammenkomme. Warum soll es mir besser gehen als denen? Ich kann nach ein paar Tagen wieder zurück und dann in ein warmes Zimmer zurückgehen.
DOMRADIO.DE: Was macht den Menschen, die Sie getroffen haben, derzeit die größten Sorgen?
Schwartz: Die größten Sorgen macht den Menschen tatsächlich, dass dieser Krieg kein Ende zu finden scheint. Dass Russland es trotz aller Verhandlungsbereitschaft, die immer wieder signalisiert wird, nicht bereit ist, in Richtung Frieden und Verhandlungen zu gehen. Es macht den Leuten auch Sorgen, immer mehr Menschen verlieren zu müssen. Die Notlage im Militär ist groß.
Die Menschen haben große Angst davor, dass wir sie vergessen. Das ist etwas, was ich immer wieder gesagt bekomme: Vergesst uns nicht. Hört nicht auf, uns wahrzunehmen. Wir sind euch unendlich dankbar, aber ihr dürft uns nicht vergessen. Es wird immer schwerer. Es wird nicht leichter für uns.
DOMRADIO.DE: Das Land geht in seinen dritten Kriegswinter. Was brauchen die Menschen dort ganz akut?
Schwartz: Wir sehen, dass die Kinder Orte brauchen, wo sie geschützt und einfach als Kinder spielen können. Das machen wir gerade auch mit unseren Partnern, dass wir das organisieren, Schutzräume zur Verfügung stellen, dass die Kinder, die in Land geblieben sind, ein Stück unbeschwerte Kindheit ermöglicht bekommen. Sie haben ein Recht dazu. Wir müssen zudem unterstützen, dass die Menschen nicht frieren müssen. Ganz konkret: Wie können wir weiterhin finanziell helfen, dass Heizaggregate und Möglichkeiten zur Stromversorgung zur Verfügung stehen. Der Bedarf ist bei weitem noch nicht gedeckt.
DOMRADIO.DE: Der Kampf gegen die Kälte, gegen den Winter ist gerade wirklich ihre Hauptaufgabe?
Schwartz: Das ist eine der großen Aufgaben. Die Menschen hier leisten Unglaubliches, eine Kreativität, die ich hier wahrnehme. Wenn wir in Deutschland manchmal so kreativ mit unseren Problemen umgingen, hätten wir manche Probleme einfach gar nicht. Das macht mir auch Hoffnung.
DOMRADIO.DE: Sie besuchen noch die ukrainisch-katholische Universität in Lemberg. Dort fördert Renovabis rund 700 Stipendiatinnen und Stipendiaten. Warum ist das in Kriegszeiten wichtig?
Schwartz: Diese jungen Leute kommen nicht raus aus dem Land. Sie haben oftmals keine Möglichkeit mehr zu studieren. Das kostet Geld und die Eltern haben ihre Einkünfte verloren. Wir versuchen auf diese Weise, in die Zukunft zu investieren, ein Zeichen der Hoffnung zu geben, um diesen jungen Menschen zu sagen, dass wir an ihre Zukunft im Land glauben. Dafür wollen wir arbeiten, dafür wollen wir euch helfen.
Das Interview führte Carsten Döpp.