Bischof aus Damaskus spricht über Zukunft der Christen in Syrien

"Es muss eine rechtstaatliche Verfassung geben"

Wie sieht die Zukunft der Christen in Syrien aus? Am Wochenende gab es ein Treffen zwischen Kirchen und Machthabern. Die Gläubigen machen sich große Sorgen. Auf Weihnachten mag sich niemand so recht freuen.

Menschen in Damaskus halten die Flagge Syriens hoch / © Leo Correa (dpa)
Menschen in Damaskus halten die Flagge Syriens hoch / © Leo Correa ( dpa )

DOMRADIO.DE: Vor knapp einer Woche ist die über 50jährige Herrschaft des Assad-Regimes zu Ende gegangen. Wie haben Sie diese Machtübernahme persönlich erlebt? 

Bischof der armenisch-orthodoxen Kirche in Damaskus Armash Nalbandian (Armenische Apostolische Kirche)

Armash Nalbandian (Bischof der armenisch-orthodoxen Kirche in Damaskus): Das war wirklich ein historischer Moment, niemand hat das erwartet. Wir erleben derzeit hier in Damaskus eine Art Frieden und Sicherheit. Und ja, es herrscht Freude, dass das alte Regime gegangen ist. Das erfüllt die Menschen mit Freude, aber auch mit großer Sorge und Angst vor dem, was auf uns zukommt. Aber das ist ein historischer Moment, das erlebt hier jeder. 

DOMRADIO.DE: Die Rebellen haben einen islamistischen Hintergrund, geben sich jetzt aber gemäßigt. Sehen Sie Anzeichen dafür, dass sie ihr Versprechen halten? Dass sie wirklich nicht mehr extremistisch sind, sondern bereit, mit allen Gesellschafts- und Religionsgruppen zu sprechen und ihre Rechte in einem künftigen Staat zu wahren?  

Nalbandian: Es ist noch viel zu früh, etwas dazu zu sagen. Diese neue Regierung - wenn man sie so nennen darf - hat politische Erfahrung im Norden von Syrien, wo sie die Provinz Idlib regiert und eine gewisse Ordnung geschaffen haben. Aber ob dieses Muster für Damaskus und ganz Syrien geeignet ist, ob diese politische Erfahrung für das ganze Land reicht, da bin ich skeptisch. 

Vor wenigen Tagen haben wir Vertreter dieser neuen Regierung getroffen, den Zuständigen für die Gemeinden, Kirchen, Religionen und religiöse Gemeinschaften. Das Treffen fand in einer Kirche statt und teilgenommen haben ungefähr 40 Bischöfe und Priester. Wir hatten ein langes Gespräch von mehr als zweieinhalb Stunden, in dem wir alle unsere Sorgen auf den Tisch gelegt haben und man uns versprochen hat, dass alles gut wird.  

Armash Nalbandian

"Wir befürchten, dass Syrien jetzt so etwas wie ein Versuchslabor wird, und das bereitet uns Sorgen".

Unsere Frage ist, ob diese Muster aus Idlib auch für ganz Syrien angemessen sind, wir sind da skeptisch. Wir befürchten, dass Syrien jetzt so etwas wie ein Versuchslabor wird, und das bereitet uns Sorgen: Wird das jetzt lange dauern und werden die neuen Machthaber das, was sie versprechen, halten? Wir wissen es nicht und können nur abwarten und schauen, wie es sich entwickelt. 

DOMRADIO.DE: Bisher hat die islamistische Miliz HTS die Provinz Idlib regiert. Was können Sie über den Umgang mit Christen und andere religiöse Minderheiten sagen? 

Nalbandian: Wir wissen, dass diese Rebellen ihre Wurzeln bei Al-Kaida haben und sich später davon getrennt haben. Jetzt nennen sie sich "Befreier Syriens". In Idlib haben sie eine gewisse "Ordnung" oder Regierung geschaffen, die alle militanten und bewaffneten Gruppen unter Kontrolle gehalten und sich für ein gutes Zusammenleben mit den Christen eingesetzt hat. In der Region leben ungefähr 90 christliche Familien und darauf berufen sie sich, wenn sie sagen, dass sie Erfahrung haben. Ob das ein Modell für ganz Syrien sein kann, ist noch ein großes Fragezeichen.

DOMRADIO.DE: Was überwiegt bei Ihnen: Hoffnung oder Skepsis?

Nalbandian: Wie gesagt: Die Freude darüber, dass wir uns von diesem Regime befreien konnten ist groß, auch wenn gleichzeitig Sorge und Angst mitschwingen. Diese neuen Herrscher, die sich "Befreier von Damaskus" nennen, haben bereits in anderen Städten Ordnung geschaffen. 

Derzeit geben sie sich nicht militant und die Menschen sind froh über jeden, der ihnen eine bessere, friedvolle Zukunft verspricht. Wir müssen warten, bis sich die neue Regierung gebildet hat und ob sie ihre Versprechen auch in die Tat umsetzt. 

Armash Nalbandian

"Wir Christen verstehen uns hier in Syrien nicht als Minderheit, sondern als unzertrennlicher Bestandteil der Gesellschaft."

Auf jeden Fall muss es eine Verfassung geben, die die Rechte von allen Menschen in Syrien wahrt, da sind wir Bischöfe uns einig. Bei unserem Treffen war die Rede von christlichen und anderen religiösen Minderheiten. Das lehnen wir ab, denn wir Christen verstehen uns hier in Syrien nicht als Minderheit, sondern als unzertrennlicher Bestandteil der Gesellschaft. Wir wollen uns beteiligen und mitreden bei der Bildung einer neuen Regierung, einer neuen Ordnung und Verfassung.  

DOMRADIO.DE: Sie haben gute Beziehungen zu Deutschland, unter anderem, weil Sie in Nürnberg und Tübingen studiert haben und in verschiedenen süddeutschen Gemeinden Gemeindepfarrer waren: Was wünschen Sie sich von den Deutschen? 

Nalbandian: Ich wünsche mir von den Christinnen und Christen in Deutschland das Gebet. Denn ohne Gebet können wir das nicht schaffen und es hilft uns, diese Herausforderungen zu überwinden. Ich wünsche mir von den Schwesterkirchen auch humanitäre Hilfen, dass man mit Wort den Kirchen hier hilft. Denn je stärker die Kirche hier ist, desto stärker die Präsenz der Christen in der Region. 

Von der Regierung in Deutschland und denen in Europa erbitten wir uns Hilfe bei der Schaffung einer rechtstaatlichen Ordnung und einer Verfassung, die auf den Menschenrechten basieren muss und nicht zwischen Religionen oder Ethnien unterscheiden darf. 

Armash Nalbandian

"Natürlich hoffen wir auf eine Demokratie, aber das ist nicht leicht, denn diese kann man sich nicht kaufen oder importieren, sondern das ist ein Prozess."

Natürlich hoffen wir auf eine Demokratie, aber das ist nicht leicht, denn diese kann man sich nicht kaufen oder importieren, sondern das ist ein Prozess. In Europa haben Demokratien Jahre, Jahrzehnte gebraucht, um sich zu entwickeln und ich wünsche mir, dass man uns mit diesen Erfahrungen in Rat und Tat beisteht. Es wäre wichtig, auch die diplomatischen Vertretungen hier wieder zu öffnen, denn die Präsenz ausländischer Partner würde uns beim Aufbau eines neuen Landes helfen.  

DOMRADIO.DE: Wie ergeht es den ganz normalen Gläubigen bei Ihnen in Damaskus in der aktuellen Situation? Wie werden sie Weihnachten feiern?  

Nalbandian: Vergangenen Sonntag war der erste Sonntag seit dem Sturz des Assad-Regimes und meine Kirche war voll. Das freut mich, denn das bedeutet, dass die Menschen sich Gottes Geleit wünschen. Nach dem Treffen mit den Vertretern der neuen Regierung, von dem ich sprach, haben wir Bischöfe gemeinsam beraten und beschlossen, dass wir Weihnachten und Neujahr in sehr bescheidener Weise feiern werden, also nur Gottesdienste und Gebete. 

Viele Gemeinden werden auf Weihnachtsmärkte und -bäume verzichten, denn wir wollen es nicht so festlich gestalten, wenn es den Menschen zugleich nicht gut geht. Derzeit ist die Lage ruhig und wir hören keine Schießereien, aber wir wissen nicht, wie sich das entwickeln wird. Das Volk hat noch viele offene Fragen. 

DOMRADIO.DE: Wie werden Sie persönlich Weihnachten feiern? 

Nalbandian: Ich werde Weihnachten im Gebet und in der Liturgie feiern, ohne Schmuck und Festlichkeiten.

Das Interview führte Ina Rottscheidt. 

Christen in Syrien

Syrien gilt als Wiege des Christentums. Vor dem 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg waren laut Daten der Linzer "Initiative Christlicher Orient" etwa 7 Prozent der damals 21 Millionen Syrer christlich. Aktuelle Zahlen sind schwer zu ermitteln, auch weil mindestens 5,5 Millionen Syrerinnen und Syrer aus dem Land geflohen sind. Nach verschiedenen Schätzungen soll es noch maximal 500.000 Christen in Syrien geben. Rund drei Viertel der Syrer sind sunnitische Muslime, etwa 12 Prozent gehörten vor dem Krieg der Sekte der Alawiten an, darunter auch der nun gestürzte Assad-Clan. 

Außenansicht der Kirche Sankt Georg in Izra (Syrien) / © Karin Leukefeld (KNA)
Außenansicht der Kirche Sankt Georg in Izra (Syrien) / © Karin Leukefeld ( KNA )
Quelle:
DR