Situation im Herkunftsland bedrückt christliche Exil-Syrer

Christinnen doppelt gefährdet

Während die islamistische Interimsregierung versichert, Minderheiten-Rechte wahren zu wollen, erhalten christliche Syrer in Deutschland wenig optimistisch stimmende Nachrichten aus der Heimat. Besonders sorgen sie sich um Frauen.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Blick von der maronitischen Kathedrale von Aleppo (Syrien) am 17. Dezember 2018 auf Ruinen zerbombter Häuser der Stadt / © Jean-Matthieu Gautier (KNA)
Blick von der maronitischen Kathedrale von Aleppo (Syrien) am 17. Dezember 2018 auf Ruinen zerbombter Häuser der Stadt / © Jean-Matthieu Gautier ( KNA )

"Stellt gefälligst Weihnachtsbäume auf!" So der Befehl der Islamisten an die christliche Gemeinde vor Ort. "Sie übertragen das im Live-Stream – zum Beweis dafür, wie toll sie die Christen schützen." Was George erzählt, haben ihm seine Eltern aus einem Dorf in der Nähe von Homs in Syrien geschildert.  

Um seine Verwandten in Syrien nicht zu gefährden, will George nicht, dass sein wirklicher Name genannt wird. Er ist Ende 20 und seit zehn Jahren in Deutschland, geflohen vor dem Assad-Regime. Dass der Diktator vor knapp zwei Wochen gestürzt ist, freut auch ihn. Gleichzeitig stimmen ihn die Nachrichten aus der christlichen Community im Heimatland überaus sorgenvoll. 

Solange die Kameras laufen, so seine Beobachtung, versprechen die neuen Führer um Ahmed al-Sharaa alias al-Dscholani Rechte und Sicherheit für die Minderheiten im Land. Was aber, wenn die Scheinwerfer und Mikrofone wieder aus sind? 

Leichen von Christen gefunden

Gerade erst, so George, seien in einem Dorf die Leichen von vier Christen gefunden worden – ohne Köpfe. Außerdem habe es Übergriffe auf die christliche Kirche samt Friedhof in Hama in der Nähe von Homs gegeben. Islamisten hätten auf Kruzifixe und Marienbilder im Gotteshaus geschossen und Kreuze auf den Gräbern zerstört, berichtet George. 

Ein zerrissenes Bild des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auf dem Boden / © Roni Rekomaa (dpa)
Ein zerrissenes Bild des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auf dem Boden / © Roni Rekomaa ( dpa )

Ausschreitungen, von denen auch Mariam weiß, ihre dort ansässige Tante hat ihr davon erzählt. Wie George lebt die 27-Jährige aus der der Nähe von Damaskus seit mittlerweile einem Jahrzehnt in Deutschland, wie er will auch sie nur unter einem Pseudonym zitiert werden. Er ist syrisch-orthodox, sie katholisch. Die beiden kennen sich nicht, berichten aber sehr ähnliche Dinge; Dinge, die sie von Verwandten, Freunden und Social-Media-Kontakten hören. 

Eine von Mariams Facebook-Freundinnen hat ihr beschrieben, wie HTS-Milizen sie auf der Straße anhielten, als sie geschminkt und unverschleiert unterwegs war. "Bist du Christin oder Alawitin? Eine Muslima würde nicht so herumlaufen!" Die Freundin jedenfalls fühlte sich bedroht. 

Genauso wie die andere, die im Auto gemeinsam mit jungen Frauen und Männern gestoppt wurde. Es zieme sich nicht, dass sich die Geschlechter mischten, damit sei jetzt Schluss, habe es da geheißen. 

Christen tragen keine Kreuzanhänger mehr

In einer kleinen christlichen Ortschaft, so wurde George zugetragen, seien eine Bar attackiert und Flaschen mit Alkohol zerstört worden. Als eine Frau protestierte, sollen die Angreifer sie angeherrscht haben: "Misch dich nicht ein, zieh lieber ein Kopftuch über." 

Dass Christinnen und Christen seit dem Machtwechsel in vorauseilender Vorsicht in der Öffentlichkeit keine Kreuzanhänger mehr tragen, haben sowohl Mariam als auch George von unterschiedlichen Personen erfahren. "Es heißt, all das seien Einzelfälle", kommentiert George. "Irgendwie sind es sehr viele Einzelfälle."

Christliche und sunnitische Mädchen in einer Straße in Homs, Syrienv / © Jean-Matthieu Gautier (KNA)
Christliche und sunnitische Mädchen in einer Straße in Homs, Syrienv / © Jean-Matthieu Gautier ( KNA )

Sowohl Mariam als auch George stören sich zudem daran, dass die frisch installierte Interimsregierung ausschließlich aus Männern besteht – Männern aus dem selbst erklärten "Kalifat" Idlib sowie übrig gebliebenen Vertretern der Assad-Regierung. Das stimme nicht gerade hoffnungsfroh, was etwa die Stellung von Frauen im Syrien der näheren Zukunft anbelangt. 

"Jeder weiß, wie die Islamisten Frauen versklavt und misshandelt haben", gibt Mariam zu bedenken. Für sie steht fest, dass Leute mit einem solchen Frauenbild Töchter und Gattinnen, Schwestern und Nichten am liebsten wieder in Küchen und Kinderzimmer verbannen würden.  

Wenig Anlass zu Optimismus

 Während auch manch christliche Führungspersönlichkeit sich in diesen Tagen "vorsichtig optimistisch" zur Lage in Syrien äußert, sehen die beiden in Deutschland lebenden jungen Syrer aktuell wenig Anlass zu Optimismus. "Man muss immer an das Gute glauben, aber hier glaube ich, dass es dringend Druck von außen braucht", meint George. 

Weil das total heruntergewirtschaftete Land dringend auf finanzielle Unterstützung aus dem Westen angewiesen sei, könne dieser beispielsweise Sanktionen verhängen, um die Festschreibung von Frauen- und Minderheiten-Rechten in der künftigen Verfassung durchzusetzen. Weiter rät George westlichen Regierungen, Vertreter nach Syrien zu schicken, um im geschützten Raum mit Angehörigen der Minderheiten zu sprechen. Nur so könne sie sich ein realistisches Bild jenseits potenzieller Propaganda machen. 

Asylantrag / © Julian Stratenschulte (dpa)
Asylantrag / © Julian Stratenschulte ( dpa )

Denn wie auch Mariam findet er, dass westliche Medien teilweise zu naiv und auch zu positiv über die neue islamistische Führung berichten. Wie auch Mariam war George regelrecht geschockt, als in seiner neuen Heimat Deutschland direkt nach dem Sturz Assads die Diskussion über eine schnelle Rückführung syrischer Geflüchteter ins Herkunftsland entbrannte. 

In einer Übergangslage wie der jetzigen sei doch noch völlig unklar, wie es für die vulnerablen Gruppen weitergehe. Genau deshalb empört Mariam auch, dass vorerst alle Asylanträge syrisch-stämmiger Menschen in Deutschland eingefroren sind. "Gerade Christen aus Syrien könnten sehr bald sehr dringend ein Recht auf Asyl brauchen. Gerade jetzt." 

Christen in Syrien

Syrien gilt als Wiege des Christentums. Vor dem 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg waren laut Daten der Linzer "Initiative Christlicher Orient" etwa 7 Prozent der damals 21 Millionen Syrer christlich. Aktuelle Zahlen sind schwer zu ermitteln, auch weil mindestens 5,5 Millionen Syrerinnen und Syrer aus dem Land geflohen sind. Nach verschiedenen Schätzungen soll es noch maximal 500.000 Christen in Syrien geben. Rund drei Viertel der Syrer sind sunnitische Muslime, etwa 12 Prozent gehörten vor dem Krieg der Sekte der Alawiten an, darunter auch der nun gestürzte Assad-Clan. 

Außenansicht der Kirche Sankt Georg in Izra (Syrien) / © Karin Leukefeld (KNA)
Außenansicht der Kirche Sankt Georg in Izra (Syrien) / © Karin Leukefeld ( KNA )
Quelle:
DR