Heilig-Land-Verein kommentiert Lage der Christen in Syrien

Ruf nach mehr Beteiligung

Nach dem Umsturz in Syrien mahnen Politiker den Schutz ethnischer und religiöser Minderheiten an. Nach Jahrzehnten der säkularen Diktatur fürchten viele einen islamistischen Gottesstaat. Ein Gastkommentar des Heilig-Land-Vereins.

Autor/in:
Matthias Vogt
Syrische Kinder verlassen ihre Schule nach dem Unterricht im Zentrum von Syriens Hauptstadt Damaskus. / © Leo Correa/AP/dpa (dpa)
Syrische Kinder verlassen ihre Schule nach dem Unterricht im Zentrum von Syriens Hauptstadt Damaskus. / © Leo Correa/AP/dpa ( dpa )

Ein Gastkommentar von Matthias Vogt (Generalsekretär des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande):

In den letzten Jahren schien sich die Lage in Syrien einigermaßen stabilisiert zu haben. Das Assad-Regime hielt sich mit der Hilfe Russlands, des Iran und der Hisbollah im größten Teil des Landes an der Macht. Die islamistischen Rebellen waren auf die Region Idlib im Nordwesten zurückgedrängt. Im Nordosten musste sich das Assad-Regime mit der Autonomie der Kurden unter Führung der PKK-nahen YPG abfinden. 

Bischöfe schwiegen zu Menschenrechtsverletzungen

Deutscher Verein vom Heiligen Lande

Seit mehr als 160 Jahren engagiert sich der Deutsche Verein vom Heiligen Lande (DVHL) für die Menschen im Nahen Osten – immer vor dem Hintergrund des interreligiösen Dialogs und friedenspolitischen Engagements. "Mit Erfahrung und Kompetenz sind wir auf einzigartige Weise im Nahen Osten präsent. Wir engagieren uns dort, wo Menschen konkrete Hilfe brauchen, und treten mit ihnen für eine bessere Zukunft ein." Im Spannungsfeld von Judentum, Christentum und Islam stehen sie für Verständigung, Versöhnung und Frieden.

Blick auf Jerusalem / © Kyrylo Glivin (shutterstock)

Die in Syrien verbliebenen Christen und die Kirchenleitungen hatten sich mit der Situation arrangiert. Kritik an den Machthabenden konnte in keinem der drei Landesteile geübt werden und so schwiegen die Bischöfe zu den furchtbaren Menschenrechtsverletzungen durch das Assad-Regime und die erzwungene Einbindung der Kirchen in die Kurdifizierungspolitik der YPG, die nicht unbedingt im Sinne der arabischen, aramäischen und armenischen Christen der Region war. 

Unter dem Druck der islamistischen Herrschaft in Idlib mussten Christen ohnehin stillhalten und sich dankbar dafür zeigen, dass sie innerhalb der Kirchengebäude Gottesdienst feiern durften und nicht ausgewiesen oder zur Annahme des Islam gezwungen wurden.

Soweit die Situation bis Anfang Dezember. Doch was kommt nun? Werden sich die neuen Machthaber, die nun den größten Teil des Landes bis auf die kleine kurdische Region im Nordosten kontrollieren, auf ein gemeinsames Programm einigen können? Werden sich die Islamisten durchsetzen oder doch eher moderate Gruppen? Wie soll der Wille des syrischen Volkes, der in diesen Tagen so oft beschworen wird, zum Ausdruck kommen? 

Wenige Kirchen und Christen nach 13 Jahren Bürgerkrieg

Schließlich ist nach über 13 Jahren Bürgerkrieg etwa die Hälfte der syrischen Bevölkerung innerhalb oder außerhalb des Landes auf der Flucht. Können unter solchen Umständen demokratische Wahlen stattfinden? Wie können Menschen ausgewählt werden, die eine neue Verfassung für Syrien erarbeiten und dabei so gut wie möglich die unterschiedlichen Volks- und Religionsgruppen und die verschiedenen politischen Strömungen vertreten? Welche Rolle können Christen im neuen Syrien noch spielen? 

Von den 1,5 Millionen Christen, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien lebten, sind wohl nur noch 250.000 im Land. Kirchen sind zwar in den historischen Innenstädten von Damaskus, Homs und Aleppo unübersehbar, aber in den neu entstandenen, dicht bevölkerten Neustädten gibt es weder Kirchen noch Christen. Die allermeisten syrischen Muslime haben mit Christen in ihrem eigenen Land noch nie etwas zu tun gehabt. Das Geschichtsbewusstsein vieler Christen verdeckt den Blick auf die heutige Realität.

Kirchenvertreter zögern

Nur zögerlich äußern sich Kirchenvertreter in Syrien. Nachdem sich einige Patriarchen und Bischöfe in den letzten Jahren eng an die Seite Assads gestellt hatten, herrscht offensichtlich Ratlosigkeit, wie mit der neuen Situation umzugehen ist. Nur ein Bischof hat bisher eindeutig die neue Freiheit begrüßt. 

Der neue starke Mann Syriens: Abu Mohammed al-Dschulani spricht in der Umayyaden-Moschee in Damaskus. / © Omar Albam/AP (dpa)
Der neue starke Mann Syriens: Abu Mohammed al-Dschulani spricht in der Umayyaden-Moschee in Damaskus. / © Omar Albam/AP ( dpa )

Der syrisch-orthodoxe Patriarch Mor Ignatios Aphrem II. hat inzwischen gefordert, dass "die Gleichheit aller gesellschaftlichen Gruppen und aller syrischen Bürger, unabhängig von ihrer ethnischen, religiösen und politischen Zugehörigkeit, auf der Grundlage einer Staatsbürgerschaft, die die Würde eines jeden Bürgers garantiert," respektiert werden muss. 

Sein griechisch-orthodoxer Kollege in Damaskus, Patriarch Johannes X. al-Yazidji, erklärte vergangenen Sonntag in seiner Predigt: "Wir [Christen] sind keine Gäste in diesem Land. […] Das Syrien, das wir wollen, ist ein ziviler Staat, in dem jeder die gleichen Rechte und Pflichten hat." Dafür müsse die Verfassung bürgen. Daher sei es wichtig, dass der Prozess der Ausarbeitung einer neuen Verfassung alle einbeziehe.

Syrische Christen wollen mehr

Syrische Gläubige äußern unterdessen besorgt, dass die Anliegen der Christen allein von den Patriarchen und Bischöfen vorgebracht werden. Sie fordern, dass auch Laienvertreter dabei sind. Sonst drohe auch im neuen Syrien nur "Weihrauchschwenken und Messefeiern" erlaubt zu sein. Jeglichen Einfluss engagierter Christen in der Gesellschaft ausschalten, dem Evangelium seine Strahlkraft nehmen, genau das hat das Assad-Regime bisher getan. 

Das gleiche könnte im Sinne der Islamisten sein: Gottesdienste erlauben, aber das Evangelium hinter Kirchenmauern einschließen. Das aber wollen viele syrische Christen nicht mehr. Sie wollen etwas beitragen zum Aufbau der Gesellschaft, damit es wirklich ein neuer Anfang wird und die Menschen in Syrien eine bessere Zukunft haben.

Ein Gastkommentar von Matthias Vogt (Generalsekretär des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande).

Christen in Syrien

Syrien gilt als Wiege des Christentums. Vor dem 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg waren laut Daten der Linzer "Initiative Christlicher Orient" etwa 7 Prozent der damals 21 Millionen Syrer christlich. Aktuelle Zahlen sind schwer zu ermitteln, auch weil mindestens 5,5 Millionen Syrerinnen und Syrer aus dem Land geflohen sind. Nach verschiedenen Schätzungen soll es noch maximal 500.000 Christen in Syrien geben. Rund drei Viertel der Syrer sind sunnitische Muslime, etwa 12 Prozent gehörten vor dem Krieg der Sekte der Alawiten an, darunter auch der nun gestürzte Assad-Clan. 

Außenansicht der Kirche Sankt Georg in Izra (Syrien) / © Karin Leukefeld (KNA)
Außenansicht der Kirche Sankt Georg in Izra (Syrien) / © Karin Leukefeld ( KNA )
Quelle:
DR